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1.) Richtigstellungen 
zu Vorwürfen, mit denen der Krieg gegen den Libanon gerechtfertigt wird


- Behauptung 1: Hisbollah hat mit der Gefangennahme zweier Soldaten den Krieg begonnen

 - Behauptung 2: Israel hat das Recht sich vor den Raketenangriffen der Hisbollah zu schützen
    Einschub: Shebaa Farmen

 - Behauptung 3: Hisbollah schießt mit der Absicht, Zivilisten zu töten, während die israelische Armee alles tut, um Zivilisten zu schonen.

 - Behauptung 4: Hisbollah postiert seine Kämpfer und seine Waffen direkt zwischen Zivilisten und ist daher für die hohe Zahl ziviler Opfer verantwortlich

 - Behauptung 5: Hisbollah ist der verlängerte Arm Syriens und/oder Irans 

 - Behauptung 6: Hisbollah stehe im Gegensatz zum übrigen Land, Entwaffnung sei im nationalen Interesse 

 2.) "Gottesstaat" nicht mehr im Programm

3.) Keine Rache an Kollaborateuren

4.) Auszüge deutschsprachiger Artikel


Eine Auswahl deutsch- sprachiger Artikel, die ein  differenzierteres Bild der Hisbollah zeichnen
(Auszüge s. unten)

Prof. Werner Ruf, 16. 8. 2006
Hisbollah - eine Terrororganisation?
Über die Brille, durch die im Westen die Politik im Nahen Osten betrachtet wird und die nicht nur die Wirklichkeit verzerrt, sondern sie geradezu auf den Kopf stellt

Mona Sarkis, telepolis,  24./26.08.2006 
Die Hisbollah: Zwischen Dschihad und Mandat. 
Teil I: Verwurzelung und Entstehung
Teil 2: Von libanesisch bis panislamisch
- die rätselhafte Identität der "Partei Gottes"
Teil 3: Die "Libanonisierung" der Hisbollah

Thomas Hildebrandt, junge Welt, 31.08.2006 
»Die Hauptlast wird Hisbollah schultern« - Gespräch mit ATTAC Libanon über ihr ambivalentes Verhältnis zur Schiitenpartei. 

Thomas Hildebrandt, taz, 18.8.2006
Rückkehr zum nationalen Dialog
Die Entwaffnung der Hisbollah stand schon vor dem Krieg auf der Tagesordnung. Doch wer sie erreichen will, muss sich erst mit der Logik im Libanon vertraut machen

Timur Goksel, SPIEGEL, 27. 7. 2006
Unifil-Berater  "Jeder Kampftag ist ein Sieg für die Hisbollah"
Mehr als 20 Jahre lang war Timur Goksel Berater der Unifil-Truppen im Süd-Libanon. Im Interview erklärt der Hisbollah-Experte, warum die Miliz so erfolgreich ist 

Günter Pleuger im Interview 
"Die Entwaffnung der Hisbollah ist Selbstmord" Der frühere dt. UNO-Botschafter über Blauhelme im Nahen Osten, das Scheitern der UN-Reform und den iranischen Atomkonflikt.

Armin Köhli, Wochenzeitung WOZ (Schweiz), 3. 8. 2006
Das provozierte Chaos - Israels Blamage
 
"darüber, dass die Hisbollah nie ausserhalb des Libanon agierte, sich ins politische System des Libanon integrierte; im Südlibanon kein "Gottesstaat" entstand, sondern Toleranz, Meinungs- und Organisations- freiheit herrschen, Frauen ohne Kopftuch zum Stadtbild gehören wie auch Alkohol.

Stefan Rosiny, taz vom 9.8.2006
"Das ist reine Propaganda" 
Was will die Hisbollah Herr Rosiny
Der Berliner Islamwissenschaftler Stefan Rosiny hat sich intensiv mit der Hisbollah beschäftigt. Er meint: Die Hisbollah rede zwar von der Vernichtung Israels. Doch sie sei vor allem eine Widerstandsbewegung mit nationalistischen Programm

Mitch Prothero, Salon.com, 28.7.2006
Der Mythos vom "Verstecken unter Zivilisten"
Israel rechtfertigt Bomben auf Zivilisten damit, die Hisbollah würde sich unter sie mischen. Tatsächlich hält sich die militante Gruppe schon aus Gründen effektiver Geheimhaltung von Zivilisten so weit wie möglich fern.

Rainer Matthias, junge Welt, 8. 8. 2006
Der Aufstieg der Hisbollah 
Die Mitglieder der "Partei Gottes" gelten als neue Helden in der arabischen Welt. Ein historischer Rückblick

Thomas Immanuel Steinberg, 2.8.2006
Hat die Hisbollah vor dem 12. Juli 2006 nordisraelische Städte beschossen?

Gilbert Achcar, Socialist Outlook, 1. 8. 2006
Der Nahe Osten in Flammen 
"Die Brutalität der israelischen Aggression ist kontraproduktiv für die israelischen Absichten"

Rania Masri, junge Welt, 3.8.2006
Krieg seit 1948
In Südlibanon gibt es seit fast 60 Jahren keine Woche ohne israelische Angriffe. Hisbollah ist ein integraler Bestandteil Libanons. 

Alexander Cockburn, ZNet 21.07.2006
Hisbollah, Hamas und Israel: alles was man über sie wissen sollte 

Eine gefährliche Exkursion in die entfernte Vergangenheit, die vor nur 7 Wochen begann


junge Welt, 02.08.2006
»Letztlich ist es ein Klassenkrieg«
Viele Menschen in der arabischen Welt unterstützen Hisbollah. Ein Gespräch mit Yossi Schwartz, Rechtsanwalt aus Haifa. 

Der Standard (Wien), 27. Juli 2006
87 Prozent im Libanon für Kampf der Hisbollah gegen Israel - laut Umfrage wird die Gefangennahme israelischer Soldaten auch von der Mehrheit der Christen gutgeheißen


Beispiel für eine nicht untypische Hetzpropaganda in deutschen Medien:

Die unheimliche Allianz - Wie radikale Moslems mit Hitler paktierten
report MÜNCHEN, Bayerischer Rundfunk Sendung vom 17.07.2006


Englische Texte

BBC Monitoring, 23.9.2006
Hezbollah Leader Addresses "Victory Rally" in Lebanon
Hasan Nasrullah's speech on Friday to an enormous crowd in bombed-out South Beirut.

Interview von Al-Jazeera mit Hasan Nasrallah, dem Generalsekretär der Hisbollah, vom 20.7.2006 lesen. 

Statement by Workers in the Public Cultural Sphere in Lebanon Beirut, July 25, 2006
"conscious support for the Lebanese national resistance"

Haaretz, 12.09.2006
IDF commander - We fired more than a million cluster bombs in Lebanon

Stephen R. Shalom, ZNet, 7.8. 2006
Lebanon War Question and Answer
  

Charles Glass, London Review of Books, 17.8. 2006
Hizbullah: Learning from Its Mistakes

Helena Cobban April/May 2005 issue of Boston Review 
Hizbullah’s New Face 
In search of a Muslim democracy

Daniel Sobelman, Strategic Assessment Vol.  8, No. 1, June 2005 (Jaffee Center for Strategic Studies JCSS),
Hizbollah after the Syrian Withdrawal

Daniel Sobelman, Strategic Assessment Vol. 7, No. 2, August 2004 (JCSS)), 
Four Years after the Withdrawal from Lebanon: Refining the Rules of the Game 

Juan Cole, Informed Comments, 23.7.2006
War on Lebanon Planned for at least a Year The Bush Administration's Grand Strategy and the Birth Pangs of Terror 

Larry Hales, Workers World, 10.8.2006
Islam, Malcolm X and the right to self-determination
 

Aljazeera, 13.8. 2006
Red Cross: Civilian deaths unacceptable

 

Was man über die Hisbollah wissen müßte -
aber nicht in den Nachrichten findet

Zusammenfassung einiger wesentlichen Informationen über die Organisation 
Joachim Guilliard, Stand 26.8.2006
(siehe auch die Zusammenfassung über den Libanonkrieg allgemein)

"hizb ullah – 'Partei Gottes' – welch grässlicher Name für säkulare Ohren! Vereinen sich darin nicht all jene Vorstellungen von religiösem Fanatismus, anti-aufklärerischer Wut, kurz jenen Ängsten, die das Bild vom „Kampf der Kulturen“ speisen und den Hintergrund bilden für die Einstufung dieser Bewegung als einer im Kern schon terroristischen Organisation? Dies ist die Brille, durch die im Westen die Politik im Nahen Osten betrachtet wird und die nicht nur die Wirklichkeit verzerrt, sondern sie geradezu auf den Kopf stellt".  
(Prof. Werner Ruf, Hisbollah - eine Terrororganisation?)

Die Hisbollah (arabisch für „Partei Allahs“) ist eine schiitische Organisation im Libanon, die 1982 durch Zusammenschluss verschiedener Gruppen zum Kampf gegen die israelische Invasion enstand. Seit 1992 ist sie auch als politische Partei im Parlament vertreten. Zur Zeit stellt sie 14 von 128 Parlamentsabgeordneten und den Energieminister in der aktuellen libanesischen Regierung. 

Die Hizbollah ist zweifellos geprägt von einer religiösen Ausrichtung, die (zumindest zu Beginn) der Linie der Mullahs in Teheran folgte. "Zugleich aber akzeptiert sie," so Werner Ruf, "den religiösen Pluralismus des Libanon und setzt sich als konsequent nationalistische Partei für die Einheit des Landes." Parallel dazu entwickelte sie sich, "zu einer äußerst erfolgreichen Vertretung der Interessen der schiitischen Bevölkerung und baute mustergültige soziale Sicherungssysteme auf". 

Während die Hisbollah im Libanon wachsende Unterstützung erhält, wird sie nicht nur von Israel und den USA, sondern auch (in abgeschwächter Form) von allen EU-Staaten als feindliche Organisation behandelt. Die EU widersetzte sich bisher dem Wunsch der Bush-Administration, Hisbollah auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen, doch auch in Verlautbarungen deutscher Politiker findet immer häufiger das Adjektiv "terroristisch" Verwendung. Die westlichen Medien haben dieses Feinbild übernommen, so dass in der Berichterstattung hier in der Regel nur ein sehr einseitiges Bild von ihr gezeichnet wird. 

Auch in der Zusammenarbeit der deutschen Friedensbewegung, linken Organisationen und Gewerkschaften mit arabischen Gruppen führt die unterschiedliche Einschätzung dieser Bewegung zu massiven Problemen. Solidaritätsbekundungen arabischer DemonstrantInnen mit der Hisbollah sorgen auf Demonstrationen häufig zu Auseinandersetzungen mit deutschen TeilnehmerInnen.

Von staatlicher Seite wird es wahrscheinlich demnächst Verbote gegen jegliche öffentliche Solidarisierung mit Hisbollah geben. In Berlin gibt es sie schon als Demonstrationsauflage ( Da dies gegen die Meinungsfreiheit verstößt, wird dies juristisch angefochten.)

Wir wollen im folgenden daher Informationen zusammenfassen, die ein differenziertes Bild ermöglichen sollen. Im Vordergrund steht dabei nicht die ideologische Ausrichtung der stark religiösen schiitischen Organisation. 
Es geht darum, einer verbreiteten Dämonisierung Fakten entgegenzusetzen, vor allem bzgl. der Vorwürfe mit denen der Krieg gegen den Libanon und die massive Unterstützung dieses Krieges durch die USA und die EU gerechtfertigt werden. 

Im Anschluß runden Auszüge aus differenzierteren deutschsprachigen Artikeln das Bild ab. 

Ein Überblick über Geschichte der Organisation geben Werner Ruf, Hisbollah - eine Terrororganisation? sowie Mona Sarkis in telepolis, Die Hisbollah: Zwischen Dschihad und Mandat

Anregungen und Kritik bitte an: auk@antikriegsforum-heidelberg.de 


Richtigstellungen zu Vorwürfen, mit denen der Krieg gegen den Libanon gerechtfertig wird

Eine sehr gute Analyse hierzu und zum Krieg gegen den Libanon allgemein hat der US-Politologe Stephen R. Shalom verfaßt, die es leider bisher nur auf englisch gibt: Lebanon War Question and Answer, ZNet, August 07, 2006. Das Folgende stützt sich zu einem guten Teil auf diesen Text.

Behauptung 1: Hisbollah hat mit der Gefangennahme zweier Soldaten den Krieg begonnen

Dass die Gefangennahme zweier Soldaten der Grund für den Krieg war, behauptet selbst die israelische Regierung nicht mehr. Auf die Frage der Leipziger Volkszeitung „Hätte Israel die Aktion gegen Hisbollah auch ohne die Entführung der beiden Soldaten begonnen?“ antwortete der stellvertretender Botschafter Israels in Deutschland, mit einem klaren: „Ja, davon bin ich überzeugt.“ (siehe Wortlaut des Interviews auf der Homepage der israelischen Botschaft)

Über die Hinweise, dass die Kriege von langer Hand zusammen mit den USA geplant wurde, siehe die Zusammenfassung zum Libanon und Gaza auf unsere Homepage.

Unabhängig davon kann eine begrenzte Aktion eines nichtstaatlichen Akteurs keinesfalls einen Krieg als Akt der Selbstverteidigung rechtfertigen, wie es u.a. auch von der die deutsche Regierung behauptet wird (siehe auch Hans Voß, "Krass missdeutetes Recht auf Selbstverteidigung", ND v. 10. 8. 2006) 
Hisbollah wollte auch keinesfalls eine Eskalation provozieren. Ziel der Aktion war, wie schon mehrfach zuvor, die Freilassung von Libanesen aus israelischer Gefangenschaft.

Behauptung 2: Israel hat das Recht sich vor den Raketenangriffen der Hisbollah zu schützen

Da die Gefangennahme von Soldaten nicht lange die Angriffe auf das gesamte Territorium des Nachbarlandes rechtfertigen konnte,  wurde die Behauptung, durch den Krieg sollten die häufigen Raketenangriffe der Hisbollah auf Nordisrael unterbunden werden, zur wichtigsten Rechtfertigung für Israels Krieg.

Kein Journalist der großen Medien hat sich die Mühe gemacht, diese Behauptung zu überprüfen. Dabei hätten sie sich, um ihre Hausaufgaben zu machen, nur die leicht zugänglichen Berichte des UN-Generalsekretärs anschauen müssen, die wiederum auf den Protokollen der UN-Bobachter an der israelisch-libanesischen Grenze beruhen. Stephen Shalom hat daraus eine vollständige Liste aller Raketenangriffe vom Libanon auf Israel vom Zeitpunkt des Abzugs der israelischen Truppen im Mai 2000 bis zum 12. Juli 2006 zusammengestellt. 

Diese Tabelle macht deutlich:

  • Nicht ein einziger israelische Zivilist wurde in diesem Zeitraum durch eine Rakete aus dem Libanon getötet.

  • Bis zum 28. Mai gab es keine einzige Rakete, die anerkannter Maßen von Hisbollah auf zivile Ziele abgefeuert wurde. Sie könnte selbstverständlich in den Fällen verantwortlich gewesen sein, wo die Täter unbekannt blieben. Das würde aber der Erfahrung widersprechen, dass sich die Hisbollah stets zu ihren Aktionen bekannte und Angriffe ohne Bekenntnis und Begründung politisch für sie auch keinen Sinn machen.

  • Die meisten der ca. 15 Angriffe mit Katjuscha-Raketen wurden von palästinensischen Gruppen als Reaktion auf israelische Angriffe in Westbank und Gaza durchgeführt (z.B. die blutige Offensive im Frühjahr 2002) und von Israel stets auch prompt durch entsprechende Vergeltungsschläge auf palästinensische Lager im Libanon beantwortet.

  • Am 28. Mai 2006 kam es nachmittags zu einem Feuerwechsel zwischen Hisbollah und der israelischen Armee (IDF). Vorausgegangen waren am Morgen Raketenangriffe, bei denen drei Raketen IDF-Stellungen trafen, ohne aber jemanden zu verletzen. Hisbollah wies jede Verantwortung dafür zurück. Die IDF reagierte mit Luftangriffen, Mörser- und Panzergranaten, die zwei libanesische Zivilisten verwundeten. Daraufhin schoss Hisbollah mit Raketen, Granaten und Gewehren zurück.

(Siehe hierzu auch den Beitrag von Thomas Immanuel Steinberg, vom 2.8.2006
Hat die Hisbollah vor dem 12. Juli 2006 nordisraelische Städte beschossen?)

Man kann somit nicht ernsthaft davon reden, dass der Raketenbeschuss durch die Hisbollah einen Krieg rechtfertigen würde. Die massenhaften Raketenangriffe der Hisbollah begannen erst als Reaktion auf den Krieg. Der einfachste Weg, sie zu stoppen, wäre, die Angriffe einzustellen. Hassan Nasrallah, der Führer der Hisbollah, hat von Anfang zugesagt, das sie ihre Angriffe unmittelbar einstellen werden, wenn Israel seine einstellt. (siehe Shalom)

Die UNO-Berichte verraten noch etwas anderes. Festgehalten wurden auch die unzähligen Grenzverletzungen durch Israel. Israelische Kampflugzeuge haben fast täglich den libanesischen Luftraum verletzt. Manchmal reagierte Hisbollah mit Boden-Luft-Raketen, die allerdings allesamt ihre Ziele verfehlten. Einige davon gingen auf israelischem Boden nieder. In einem Fall wurden dabei zwei Israeli verletzt, am 10.8.2003 tötete ein Geschoss einen Jugendlichen und verletzte vier weitere Zivilisten. Hisbollah stoppte daraufhin, angesichts massiver internationaler Kritik, seine Versuche, Flugzeuge abzuschießen.

Streitpunkt "Shebaa-Farmen"

Seit Mai 2000, so auch das Fazit von Rainer Matthias, beschränkte sich die Hisbollah auf die Bekämpfung israelischer Militärstellungen im Gebiet der Schebaa-Farmen, ein 14 km langes und durchschnittlich 2,5 km breites Gebiet, das Israel weiterhin besetzt hält. (siehe Wikipedia) Soweit dabei in wenigen Ausnahmefällen nordisraelisches Gebiet in Mitleidenschaft gezogen wurde, ergab es sich unmittelbar aus den Kampfhandlungen. 

Israel behauptet, die Schebaa-Farmen wären Teil der syrischen Golan-Höhen, die Israel 1967 besetzt und im Dezember 1981 - unter Mißachtung mehrerer UNO-Resolutionen - förmlich annektiert hat. Obwohl auch Syrien das Gebiet dem Libanon zuspricht, stellte sich der Sicherheitsrat hinter die israelischen Auffassung - ohne aber auf Rückgabe der annektierten Golan-Höhen zu drängen. (s. entsprechenden Abschnitt bei Shalom). 

Doch auch die Angriffe auf das Gebiet der Schebaa-Farmen erfolgten in den letzten Jahren nur noch sporadisch und verursachten kaum Schäden. 

Daniel Sobelman vom Jaffee Center for Strategic Studies (Universität Tel Aviv), der in westlichen Medien als Hisbollah-Experte gilt, kam daher in seiner Studie vom August 2004 zum Schluß, dass angesichts des noch bestehenden Kriegszustandes zwischen Israel und Libanon, "Israels Nordgrenze relativ stabil und friedlich war und Zeichen ökonomischen Fortschritts zeigen" würde. 

In seiner Studie Hizbollah after the Syrian Withdrawal im Juni 2005 ergänzt er dies noch: 

".. im militärischen Kontext definiert sich Hisbollah aktuell vorwiegend als strategische Abschreckung gegen Israel, und zu einem viel geringeren Grad, als eine Organisation, die in einer täglichen taktischen Kriegsführung engagiert ist." Während es in der Phase von Oktober 2000 bis Ende 2002 noch alle paar Wochen Angriffe auf "Mount Dov", die israelische Bezeichnung für das Gebiet, gegeben hätte, hätten ab 2003 Angriffe nur noch im Abstand von mehreren Monaten stattgefunden, "in erster Linie als Antwort auf Aktionen, die die Organisation als israelische Provokation betrachtete." Nach dem Rückzug Israels "bemühen sich Hisbollah-Führer hervorzuheben, dass der Schwerpunkt der Organisation darin liegt Frieden, Sicherheit und Stabilität im Land aufrecht zu erhalten." 

Das deckt sich auch vollständig mit den Ausführungen Hasan Nasrallahs, dem Generalsekretär der Hisbollah im seinem Interview mit Al-Jazeera vom 20.7.2006. Hier nennt Nasrallah vier Konfliktpunkte mit Israel:

  • "Der 1. Punkt ist die fortgesetzte Besetzung der Shebaa-Farmen. In dieser Hinsicht können wir uns Zeit nehmen. Dies ist ein begrenztes Stück Land. Wir wollen nicht wegen dieser Farmen in den Krieg ziehen."

  • Die zweite Angelegenheit seien die Verletzung des libanesischen Luftraums und der libanesischen Küstengewässer, diese "Verletzungen unser Souveränität werden verurteilt, aber wir würden deswegen keinen Krach schlagen (raise hell)". 

  • Es gäbe aber zwei Probleme die keinen Aufschub vertragen würden. Das erste wäre das Gefangenenproblem, da es menschliches Leid betrifft und das zweite seien Angriffe auf Zivilisten. "Ich habe ihnen [den libanesischen Regierungsmitgliedern] bei mehr als einer Gelegenheit gesagt, dass wir das Problem der Gefangenen sehr ernst nehmen und dass es nur durch Kidnapping israelischer Soldaten gelöst werden kann." 

Behauptung 3: Hisbollah schießt mit der Absicht, Zivilisten zu töten, während die israelische Armee alles tut, um Zivilisten zu schonen.

Der Abschuss von Raketen auf zivile Ziele ist stets ein Kriegsverbrechen, da machen die Angriffe der Hisbollah keine Ausnahme. An diesem Urteil würde sich auch nichts ändern, wenn Hisbollah angeben würde, sie würden nur auf militärische Ziele feuern und die zivilen Opfer wären Folge der Ungenauigkeit ihrer Raketen. Grundsätzlich darf nach dem „humanitären Kriegsvölkerrecht“ eine Kriegspartei keine Waffen einsetzen, die gleichermaßen Zivilisten wie militärische Ziele treffen können (siehe Amnesty International zitiert von Shalom).

Die Kritik gilt selbstverständlich in weit größerem Maße für die israelischen Angriffe. Israel hat sehr zielgenaue Waffen. Dennoch wurden in vier Wochen über 1.000 Zivilisten getötet. Den Raketen der Hisbollah fielen in der selben Zeit knapp 40 Zivilisten zum Opfer  Zum Einsatz kamen bei den israelischen Angriffen zudem - auch in dichtbesiedelten Gebieten - Waffen zum Einsatz, die geächtet sind: 
 - Clusterbomben, die in hohem Maße die Bevölkerung treffen und die betroffenen Gebiete mit den Blindgängern verminen 
- Phosphorbomben, die als besonders grausam verboten sind
- vermutlich auch DU-Munition, die das Land auf lange Zeit verseucht und im Südirak für die extreme Steigerung von Krebs, Mißbildungen und Fehlgeburten verantwortlich gemacht werden.

Von einem „Schonen der Zivilbevölkerung“ kann auf keinen Fall die  Rede sein. Human Rights Watch (HRW), z.B. listet eine ganze Reihe schwerster Verstöße durch Israels Armee auf:

„Seit dem Start des Krieges, haben israelische Truppen ständig Artillerie- und Luftangriffe durchgeführt mit begrenztem oder zweifelhaftem militärischem Gewinn aber mit exzessiven zivilen Kosten. In Dutzenden Fällen beschossen sie Gebiete ohne jegliches militärisches Ziel. In einigen Fällen legen Timing und Intensität der Angriffe, das Fehlen militärischer Ziel so wie als Folgeangriffe auf Rettungskräfte, nahe, dass die israelischen Einheiten vorsätzlich auf Zivilisten zielten.“ (Human Rights Watch, "Israeli Cluster Munitions Hit Civilians in Lebanon," July 24, 2006.)

Auch das Internationale Rote Kreuz klagt Israel wegen der "unakzeptablen Ziviltoten" an. Die für ihre politische Zurückhaltung bekannte Hilfsorganisation verurteilte u.a. einen israelischen Luftangriff auf einen Autokonvoi von Hunderten von Flüchtlingen bei Marajayoun am 11.8.2006 bei dem mindestens 6 Menschen getötet und 32 schwer verwundet wurden. Ein libanesischer Rotkreuzhelfer wurde bei diesen Angriffen getötet, als er erste Hilfe leisten wollte. (Red Cross: Civilian deaths unacceptable, Aljazeera, 13.8. 2006)

"Was wir taten war wahnsinnig und monströs, wir bedeckten ganze Städte mit Streubomben," so der Chef einer Raketeneinheit der israelischen Armee (IDF) in Bezug auf den Einsatz von Cluster- und Phosphorbomben" gegenüber der israelischen Tageszeitung Haaretz (IDF commander - We fired more than a million cluster bombs in Lebanon).  Die IDF feuerte ca. 1.800 Clusterbomben die insgesamt 1,2 million Bomblets über die Zielgebierte verstreuten. Schätzungsweise ein Zehntel davon ist nicht explodiert und gefährdet die zurückgekehrte Bevölkerung. 12 Libanesen wurden in den ersten Wochen getötet, Dutzende, vor allem Kinder schwer verletzt. Zudem bestätigten israelische Soldaten den Einsatz von Phosphorgranaten, die gemäß internationalem Recht streng verboten sind. Die meisten Bomben und Granaten wurden nach ihren Angaben in den letzten 10 Tagen des Krieges abgefeuert.

Auch wenn Hisbollah ihre Raketen recht ungenau auf israelische Städte feuert, so besteht nach eigenen Angaben das Ziel nicht darin, möglichst viel Zivilisten zu töten oder Gebäude zu zerstören. Die Schäden, die ihre Waffen anrichten können, seien aufgrund der baulichen Schutzmaßnahmen in Nordisrael gering. Sie reichen aber aus, so ihr Führer Hasan Nasrallah, das wirtschaftliche Leben stark zu beeinträchtigen und damit die Kosten des Krieges auf israelischer Seite in die Höhe zu treiben. (Interview mit Hasan Nasrallah (auf englisch), Al-Jazeera, 20.7.2006).
Unabhängig davon ob es stimmt, ändert dies nichts an der Völkerrechtswidrigkeit, es würde aber die obige Behauptung widerlegen. 

Behauptung 4: Hisbollah postiert seine Kämpfer und seine Waffen direkt zwischen Zivilisten und ist daher für die hohe Zahl ziviler Opfer verantwortlich

Human Rights Watch (in der Regel eher pro-westlich ausgerichtet und sicherlich jeglicher Sympathie für Hisbollah unverdächtig) hat die Vorwürfe untersucht und keinen Fall gefunden, wo tatsächlich Hisbollah die Zivilbevölkerung als Schutzschild gegen israelische Angriffe missbraucht hätte. 

„In keinem der [von HRW] dokumentieren Fälle von zivilen Opfer gibt es Hinweise dafür, dass Kräfte der Hisbollah oder im oder nahe dem Gebiet lag, dass die IDF bombardierte, weder während noch kurz vor dem Angriff.“ (HRW, Fatal Strikes: Israel's Indiscriminate Attacks Against Civilians in Lebanon, 3.8.2006)

Unabhängig davon würde die Anwesenheit von Hisbollah-Kämpfern Israel selbstverständlich kein Recht zum „Feuer frei“ auf Zivilisten geben. Wenn ein Krimineller aus einem Appartement auf die Polizei feuert, so würde dies der Polizei auch nicht erlauben, die Luftwaffe aufzufordern, das Gebäude platt zu machen, so Stephen R. Shalom.

Die IDF hat die Definition von militärischen Zielen extrem ausgedehnt, so dass es aus deren Sicht zwangsläufig zu einer Vermischung mit zivilen Bereichen kommt. Z.B. wurden die Privatwohnungen von politischen Führern der Hisbollah angegriffen, die -- kaum überraschend -- tatsächlich mitten in normalen Wohngebieten liegen. (Mit der gleichen Logik, könnte Hisbollah Wohngebiete von Tel Aviv ins Visier nehmen, wo israelische Politiker leben). Auch Parteibüros, Fernsehsender etc. der Hisbollah – einer legalen Partei, mit Sitzen im Parlament und zwei Ministern im Kabinett – wurden zu militärischen Zielen erklärt.

Da die Hisbollah keine stehende Armee ist, sondern eine Widerstandsbewegung, leben und arbeiten die Kämpfer/innen mitten unter der übrigen Bevölkerung, die sie deckt und unterstützt. Damit steht die israelische Armee vor dem selben Dilemma, wie alle Besatzungstruppen, die sich einem von der Bevölkerung getragenen Widerstand gegenübersehen. Wie alle kolonialistischen und imperialistischen Armeen bekämpft auch die IDF den Widerstand, indem sie Krieg gegen die Bevölkerung führt.

Mitch Prothero weist in seinem Artikel Der Mythos vom "Verstecken unter Zivilisten"  darauf hin, dass sich die Kämpfer der Hisbollah - im Gegensatz zu den politischen Aktivisten der Partei - schon aus Gründen effektiver Geheimhaltung von Zivilisten so weit wie möglich fernhalten. "Viel geschickter und besser ausgebildet als die Kämpfer der PLO und der Hamas wissen sie, dass sie, wenn sie sich unter Zivilisten mischen, früher oder später von Kollaborateuren verraten werden - wie das so vielen militanten Palästinensern geschehen ist."

Die israelische Führung bestreitet zudem gar nicht, dass ihre Bomber gezielt zivile Ziele wie Elektrizitätswerke, Versorgungsbetriebe, Fabriken, Flug- und Seehäfen, Brücken, Schnellstraßen angegriffen haben. Der israelische Stabschef Dan Halutz erklärte z.B., sie würden „die Infrastruktur angreifen und die Uhr im Libanon um 20Jahre zurückdrehen“, wenn die beiden Soldaten nicht unverzüglich freigelassen würden. Die Offensive, so Halutz, sei „mit offenem Ende. Nichts ist sicher [im Libanon], so einfach ist das.“ (Our aim is to win – nothing is safe, Israeli chiefs declare, Times, 14.7.2006)

Behauptung 5: Hisbollah ist der verlängerte Arm Syriens und/oder Irans

Diese Behauptung wird in der Regel nicht näher begründet. In Bezug auf den Iran reicht es auf den gemeinsamen religiös-ideologischen Hintergrund hinzuweisen, in Bezug auf Syrien auf den gemeinsamen Feind. Dabei sprechen sowohl die Geschichte der Organisation, als auch die aktuelle Praxis eindeutig gegen die Vermutung, Hisbollah sei von ausländischen Mächten gesteuert. Die Stärke der Hisbollah ist ihre Verwurzelung in der Bevölkerung im Süden (nicht nur der schiitischen), sie wäre undenkbar, würde sie sich überwiegend an ausländischen Interessen orientieren. Hisbollah hat sich als nationale Kraft in das politische System des Landes integriert, ihre patriotische Orientierung wird ihr nur von wenigen politischen Gegnern abgesprochen.

"Zweifelsohne genießt Hisbollah die Unterstützung des Irans. Falsch wäre es jedoch ihre – gerade durch den Ausgang der Aggression Israels gegen den Libanon gestärkte – Autonomie und selbständige Politikfähigkeit zu unterschätzen", so auch Werner Ruf. "Die propagandistische Darstellung der Hisbollah als verlängerter Arm der Regierung in Teheran unterschätzt nicht nur die Kraft dieser Bewegung, sie erscheint auch als gefährliche propagandistische Vorbereitung für den geplanten Krieg gegen den Iran."

Obwohl Hisbollah Unterstützung aus Syrien und dem Iran erhält, ist die Organisation stark genug um unabhängig zu bleiben, meint auch Charles Glass in den London Review of Books. Glass und kann dies u.a. auch mit einer persönlichen Erfahrung untermauern: Er war 1987 von Hisbollah-Kämpfern entführt worden und wurde zu seinem Leidwesen trotz erheblichen Drucks aus Syrien nicht gleich wieder freigelassen. 

Hisbollah verfügt zum einen über eigene Unternehmen (siehe Brian Whitaker vom britischen Guardian), zum anderen fungieren als weitere Einnahmequelle die religiösen Stiftungen und Abgaben der Schiiten (siehe Mona Sarkis in Telepolis). Aktuell erhalten sie zudem viele private Spenden aus anderen arabischen Ländern, mit denen sie nun Hilfen für die Bevölkerung und die ersten Wiederaufbaumaßnahmen finanziert. (Auch hier heißt es in den Medien, das Geld käme aus dem Iran. Die Quelle hierfür ist der politisch äußerst wendige Drusenführer Walid Dschumblatt, entschiedener Hisbollah-Gegner und aktuell im Bündnis mit den USA. Der Iran hingegen, hat zwar prinzipiell Hilfe zugesagt, eine Entscheidung darüber würde es aber erst im September geben.)

Eine häufige Behauptung in Bezug auf den jüngsten Krieg ist, der Iran habe die Hisbollah angestachelt, um von seinem Atomkonflikt abzulenken.

Hisbollah-Chef Nasrallah hat den Vorwurf, seine Organisation habe einen Krieg provoziert, um Iran oder Syrien im Konflikt mit den USA und der EU zu entlasten, in einem Interview mit Aljazeera auf recht einsichtige Weise ad absurdum geführt. Der Krieg gegen den Libanon würde evtl. ein paar Wochen, vielleicht sogar ein paar Monate dauern, aber in absehbarer Zeit beendet sein. Anschließend stehe das Thema der iranischen Atomindustrie genauso unverändert wieder auf der Tagesordnung in den USA und Europa wie die internationale Untersuchung gegen Syrien wegen des Mordes an Hariri.

Der in einem Interview mit der taz dazu befragte Berliner Islamwissenschaftler Stefan Rosiny vermutet sogar eher das Gegenteil:

"denn der Iran wäre damit ein gigantisches Risiko eingegangen: Er hätte den Israelis eine Steilvorlage geliefert, seine Atomanlagen im Iran zu bombardieren. Außerdem zeigt sich jetzt, dass der Iran zwar verbal die Aktionen der Hisbollah unterstützt, aber jegliche praktische Hilfeleistung unterlässt. Es sollen sogar Freiwillige, die aus dem Iran in den Libanon gehen wollten, an der Ausreise gehindert worden sein. Der Iran, Syrien und die Hisbollah sind drei unabhängige Akteure. Da, wo sich ihre Interessen decken, ziehen sie an einem Strang. Wo nicht, da nicht.

Behauptung 6: Hisbollah stehe im Gegensatz zum übrigen Land, Entwaffnung sei im nationalen Interesse

US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair: Die UN-Truppe soll der libanesischen Regierung helfen, erstmals seit Beginn des Bürgerkrieges 1975 ihr Gewaltmonopol wiederherzustellen. (WamS, 30. Juli 2006, Friedenstruppe für Nahost rückt näher)

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die Hisbollah muss dazu gebracht werden, das Gewaltmonopol der libanesischen Regierung zu akzeptieren und das Existenzrecht Israels unmissverständlich anzuerkennen (im Interview mit "Die Welt")

Viele Befürworter eines "robusten" Vorgehens einer internationalen Truppe im Libanon gegen die Hisbollah begründen dies u.a. auch damit, dem Libanon helfen zu wollen, seine "Souveränität" zurückzuerlangen. Nicht die aktuelle Blockade des Landes durch Israel, nicht die fast täglichen Grenzverletzungen durch Israel seit Abzug seiner Truppen, nicht die Präsenz ausländischer Truppen, die Kontrolle seiner Grenzen und seiner Gewässer beinträchtigen demnach die Souveränität des Landes, sondern die bewaffneten Milizen der Hisbollah. Es wird suggeriert, es gäbe einen klaren Gegensatz zwischen Hisbollah und dem übrigen Land ("Staat im Staat") und die Entwaffnung der Organisation wäre im allgemeinen libanesischen Interesse. 

Die Entwaffnung der Milizen der Bürgerkriegsparteien war ein wichtiger Schritt zur Befriedung des Landes. Hisbollah war allerdings nie Bürgerkriegspartei, sondern richtete seine militärischen Kräfte ausschließlich gegen die Besatzungsmacht Israel und dessen lokale Hilfstruppe SLA. Aus diesem Grund fiel sie aus libanesischer Sicht auch nicht unter das Entwaffnungsgebot. 

Selbstverständlich stellen bewaffneten Milizen nicht nur eine massive Beeinträchtigung staatlicher Autorität, sondern auch ein Problem eine demokratische Entwicklung dar. Den Befürwortern einer Entwaffnung der Hisbollah geht es allerdings weniger um die Entwicklung des Libanons, als darum, an der Nordgrenze Israels eine Kraft auszuschalten, die in der Lage ist Israel militärisch ernste Schwierigkeiten zu bereiten. 

Da hier allein Israels (Sicherheits-) Interessen Rechnung getragen wird, sieht die Lage aus libanesischer Sicht völlig anders aus. Schließlich hat Israel mehrfach den Libanon überfallen und nicht umgekehrt. Daher wird hier auch die Rolle der Hisbollah völlig anders gesehen. Für die Mehrheit der Bevölkerung ist die Hisbollah die einzige Kraft, die Israel effektiven Widerstand entgegensetzen kann. So unterzeichneten viele namhafte Intellektuelle, Schriftsteller und Journalisten eine "Erklärung der Beschäftigten im öffentlich-kulturellen Bereich" (Statement by Workers in the Public Cultural Sphere in Lebanon Beirut) vom 25. Juli 2006, in der es heißt:

Wir, die Unterzeichner, erklären: 1. Unsere bewußte Unterstützung für den nationalen libanesischen Widerstand, der gerade einen Krieg zur Verteidigung unserer Souveränität und Unabhängigkeit führt ...
2. Unsere unzweideutige Widerlegung der Logik, welche die Hisbollah bezichtigt, den "Vorwand" für die israelische Invasion geliefert zu haben.

Der libanesische Präsident Emil Lahud wusste daher seine Landsleute hinter sich, als er sich nach Verabschiedung der UN-Resolution gegen eine Entwaffnung der Hisbollah aussprach, da sie die einzige Macht der arabischen Welt sei, der es bisher gelang, Israel die Stirn zu bieten. 

In der libanesischen Armee wird dies genauso gesehen. Mitte August war ein internes Schreiben der libanesischen Militärführung bekannt geworden, das alle Soldaten anweist, "an der Seite" der Hisbollah zu stehen, "die von der Welt wegen ihrer Standhaftigkeit bewundert wird und die den Nimbus der sogenannten unbesiegbaren Armee zerstört hat" (siehe Rainer Rupp, Im Libanon wird Kritik an Hisbollah laut)

Wie oben in Zusammenhang mit den Shebaa Farmen erwähnt, definiert sich die Hisbollah gemäß Daniel Sobelman von der Uni Tel Aviv in militärischer Hinsicht vorwiegend als "strategische Abschreckung gegen Israel". In seiner Studie von 2005 weist er zudem nach, dass dies auch vom "libanesischen Establishment" weitgehend unterstützt wird. Dies habe sich bereits im Mai 1999 gezeigt, als der libanesische Präsident den Chef der Republikanischen Garden zur Hisbollahführung sandte, um den Soldaten der Organisation Ehrenmedaillen für ihren Kampf im Südlibanon zu überreichen. 

Im Juli 2004 wurde, so Sobelman, der libanesische Oberbefehlshaber der Armee, Gen. Michel Suleiman mit der Äußerung zitiert, dass "solange der Libanon keine Kampfflugzeuge und keine starke Armee" besitze, mit der sich das Land Israel entgegenstellen könne, "fülle Hisbollah die Lücke" und werde zu Libanons "intelligenter Waffe (smart weapons)". 
Drei Monate später erklärte ein Mitglied des libanesischen Parlaments, Fares Bouez – aktuell ein Wortführer des antisyrischen Lagers: "Widerstandsaktivitäten sind von ihrer Natur her geheim, und wenn [Libanon] die traditionelle, klassischen [militärischen] Fähigkeiten hätte, es mit dem israelischen Feind aufzunehmen, würde die Armee diese Aufgabe übernehmen."
Ähnlich auch der frühere libanesische Verteidigungsminister Abd al-Rahim Murad: "unsere Möglichkeiten sind begrenzt und Libanon ist gebietsmäßig sehr klein, so dass wir glauben, dass eine Stärkung des Widerstands eine ideale Methode für uns ist.'"

Im Laufe des Jahres 2005, schreibt Sobelman, möglicherweise als Teil eines Versuches des "libanesischen Verteidigungs-Establishments" Hisbollah gegen internationalen Druck in Schutz zu nehmen, wurde solche Äußerungen häufiger und konkreter. Führende Verantwortliche sprachen nun davon, Hisbollah in die libanesische Militärdoktrin aufzunehmen. Die Notwendigkeit "den Widerstand" (d.h. Hisbollah) zu schützen wurde sogar in einer speziallen Informationsschrift durch die Leitlinienabteilung (guidance department) der libanesischen Armee an die Soldaten verteilt, die erläuterte, dass "der Widerstand bei einer Gefahr durch Israel einen wesentlichen Teil der Stärke der libanesischen Position" bilde. 
"Unterstützung für den Widerstand ist eines der grundlegenden nationalen Prinzipien im Libanon und eine der Grundlagen, auf denen seine militärische Doktrin basiert," ergänzte General Suleiman wenige Tage danach. "Schutz des Widerstands ist grundsätzliche Aufgabe der Armee.

Unter diesen Umständen, schließt Sobelman, war nur natürlich, dass die weitere Diskussion um die Zukunft der Hisbollah die Debatte um die Integration der schiitischen Organisation - offiziell oder halb-offiziell - in die libanesische Armee sein würde.  
Die vorgeschlagenen Möglichkeiten waren eine integrierte Verbindung zwischen Hisbollah und der libanesischen Armee zu schaffen, die Integration der militärischen Einheiten der Organisation in die Armee oder die Deklaration, dass diese Einheiten eine "Unterstützungs"-Truppe der libanesischen Armee seien, als Teil einer separaten Sonderbrigade, die als "Widerstands-Brigade" bezeichnet werden soll

Der frühere Präsident Amin Gemayel, einer der Oppositionsführer, die schon seit längerem die Verlegung von Armeeeinheiten in den Süden fordern, bemerkte, dass nach libanesischem Recht, die Hisbollah unter der Kategorie "Armeeunterstützung" definiert werden könnte. Indem Hisbollah den Armeeunterstützern zugeteilt würde, würde sie unter der Oberaufsicht der Armee und deren Verantwortung agieren."

Hisbollah selbst hat ihre prinzipielle Bereitschaft zur Integration erklärt, unter dem Vorbehalt, dass Widerstand gegen mögliche israelische Aggressionen dadurch nicht beeinträchtigt wird. Unter den aktuellen Umständen, wird sie zwar einer engeren Kooperation mit der Armee zustimmen, aber ihre Selbständigkeit behalten.  


"Gottesstaat" nicht mehr im Programm

"Die Hizbollah ist zweifellos geprägt von einer religiösen Ausrichtung, die der Linie der Mullahs in Teheran folgt", schreibt Werner Ruf in seinem Artikel für das Friedensjournal. "Zugleich aber akzeptiert sie den religiösen Pluralismus des Libanon. Vor allem aber ist sie – wie auch die sunnitische Hamas in Palästina – eine konsequent nationalistische Partei." Parallel zum Kampf gegen die israelische Besatzung "entwickelte sie sich zu einer äußerst erfolgreichen Vertretung der Interessen der schiitischen Bevölkerung und baute mustergültige soziale Sicherungssysteme auf." 
Ganz im Gegensatz zu ihrem Namen, so Ruf, "erscheint sie weniger als religiöse Bewegung denn als soziale und politische Kraft, die nicht nur im politischen Leben des Libanon eine zentrale Rolle spielt, sondern in der gesamten nahöstlichen Welt eine Popularität gewonnen hat, die den dortigen Regierungen, die – außer Syrien und dem Iran - von der Gnade der USA abhängen, das Fürchten lehren dürfte."

Interessant im Hinblick auf eine Einschätzung des Charakters der Hisbollah ist auch der Artikel von Charles Glass in den London Review of Books v. 17.8. 2006 Hizbullah: Learning from Its Mistakes. Vom ursprünglichen, in ihrem Programm von 1985 festgehaltenen Ziel der "Errichtung eines islamischen Republick" so der langjährige Chef-Korrespondent für den Nahen Osten bei ABC News, habe sich die Hisbollah auf dem Weg zur politischen Partei verabschiedet. Sie spricht nun stattdessen davon, dass Christen, Muslime und Drusen in Harmonie leben sollen. Unter ihren Parlamentskandidaten waren stets auch Christen.

Wie Armin Köhli in der WOZ berichtet, hat sie auch nie versucht, im Südlibanon Ansätze zu einem "Gottesstaat" umzusetzen. Dort wird "in - für eine Kriegsregion - grösster Toleranz gelebt", und herrschen "Meinungs- und Organisationsfreiheit". Frauen ohne Kopftuch und in kurzen Jupes gehörten in einer "Hisbollah-Hochburg" wie Nabatije genauso zum Stadtbild wie auch Alkohol.

Das Wahlprogramm der Hisbollah sei "im Grunde ein nationalistisches Entwicklungsprojekt - die Wörter "Islam" und "Muslim" tauchen da nur am Rande auf, schreibt der Berliner Islamwissenschaftler Stefan Rosiny, in der taz vom 9.8.2006. "Die Hisbollah engagiert sich für die Bekämpfung der Korruption und für die Abschaffung des Konfessionalismus im Libanon" 

Die Führungsstrategie von Generalsekretär Nasrallah, so Helena Cobban, "global-affairs" Kolumnistin der US-Zeitung Christian Science Monitor Mitherausgeberin der Zeitschrift Boston Review, "die Bemühungen um Massenorganisation und Verhandlungen mit anderen Gruppen mit einem  'militanten' Image und gezielter Gewalt hat viele Parallelen mit der Politik die die Führer des Afrikanischen National Kongress in Südafrika in den  1980er und 1990en Jahren verfolgten." 


Keine Rache an Kollaborateuren

Charles Glass geht in seinem oben erwähnten Artikel u.a. auf die Phase im Kampf der Organisation gegen die israelische Besatzung ein, als Israel überraschend und ohne Vorwarnung am 23. Mai 2000 seine Truppen zurückzog, zwei Monate vor dem eigentlich angekündigten Termin. Sie ließen damit ihre langjährige Hilfstruppe, die für ihre Grausamkeit berüchtigte "Südlibanesische Armee" SLA  im Regen stehen - trotz eindringlicher Warnung der UNO vor einem Massaker an den nun nach 22 Jahren Besatzung schutzlos gewordenen SLA-Leuten.

Rache oder Selbstjustiz an Kollaborateuren, die sich im Dienste von Besatzern brutaler Verbrechen an der Bevölkerung schuldig gemacht haben, so Glass, waren in der Geschichte völlig üblich. Er verweist als Beispiel auf entsprechende Aktionen der französischen Resistance nach der Befreiung vom Faschismus.

Im Südlibanon übernahm die Hisbollah ab dem 23. Mai die militärische Kontrolle über das von den Israelis geräumte Gebiet -- die befürchteten Racheaktionen blieben aber aus. Hisbollah konfiszierte große Mengen israelischer Waffen übergab die SLA-Leute aber an die Regierung. "Ist dies barbarisch?", fragt Glass. 

Das Unterbinden von Morden an Kollaborateuren, so Glass, beeindruckte die Libanesen fast so sehr wie der Sieg Hisbollahs über die israelische Besatzungsmacht -- es ein Triumph über den Tribalismus, der die libanesische Gesellschaft seit Jahrzehnten plagte und spaltete. "Was sie nun suchte im Südlibanon, war nicht Revanche, sondern Wählerstimmen," nachdem sie sich zwischen 1982 und 2000 auch zu einer politischen Partei entwickelt hatte. 


Einige Auszüge aus deutschsprachigen Artikel:

Prof. Werner Ruf, 16. 8. 2006
Hisbollah - eine Terrororganisation?

Vorausveröffentlichung eines Beitrag, der im "FriedensJournal" (Zeitung des Bundesausschusses Friedensratschlag) erscheinen wird.

hizb ullah – "Partei Gottes" – welch grässlicher Name für säkulare Ohren! Vereinen sich darin nicht all jene Vorstellungen von religiösem Fanatismus, anti-aufklärerischer Wut, kurz jenen Ängsten, die das Bild vom „Kampf der Kulturen“ speisen und den Hintergrund bilden für die Einstufung dieser Bewegung als einer im Kern schon terroristischen Organisation? Dies ist die Brille, durch die im Westen die Politik im Nahen Osten betrachtet wird und die nicht nur die Wirklichkeit verzerrt, sondern sie geradezu auf den Kopf stellt".  
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Die Hauptlast des Kampfes gegen Israel im Südlibanon trug, gestützt auf die dortige schiitische Bevölkerung, zunehmend die Hisbollah. Zugleich aber entwickelte sie sich zu einer äußerst erfolgreichen Vertretung der Interessen der schiitischen Bevölkerung und baute mustergültige soziale Sicherungssysteme auf. Die Hizbollah ist zweifellos geprägt von einer religiösen Ausrichtung, die der Linie der Mullahs in Teheran folgt. Zugleich aber akzeptiert sie den religiösen Pluralismus des Libanon. Vor allem aber ist sie – wie auch die sunnitische Hamas in Palästina – eine konsequent nationalistische Partei ....
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Israel begründete seinen Angriff vom 12. Juli 2006 auf den Libanon zunächst mit der Behauptung, die beiden Soldaten befreien zu wollen. Was allerdings folgte, war ein Vernichtungsfeldzug ungeheuren Ausmaßes, der das erklärte Ziel verfolgte, durch massive Zerstörungen und die Inkaufnahme zahlreicher ziviler Opfer – inzwischen sind es mehr als tausend – die libanesische Bevölkerung gegen die Hisbollah zu mobilisieren. Wäre dies gelungen, wäre der Libanon abermals in einen fürchterlichen Bürgerkrieg gestürzt worden.

Die brutale Zerstörung der libanesischen Infrastruktur, die Bombardierung von Flüchtlingstrecks ...  trugen dazu bei, den Hass aller Libanesen gegen den Angreifer zu schüren, die Hisbollah nicht als schiitische Miliz, sondern als Speerspitze des nationalen Widerstands erscheinen zu lassen.

In den Augen der Menschen im Nahen Osten erscheint die Hisbollah mittlerweile geradezu als heldenhafte Organisation, die es vermochte, dem „Erzfeind“ eine empfindliche Niederlage beizubringen: Hatte Israel 1967 noch binnen sechs Tagen drei hoch gerüstete arabische Armeen besiegt, so gelang es trotz der mörderischen Bombardements und des Einsatzes von bis zu 30 000 Mann Bodentruppen nicht, die Hisbollah zu besiegen, die tief in der Bevölkerung des Südlibanon verankert ist.
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Als Sieger im Konflikt erscheint so der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, der im Begriff ist, zum neuen Idol der arabischen Welt zu werden. 
...
Ganz im Gegensatz zu ihrem Namen erscheint sie weniger als religiöse Bewegung denn als soziale und politische Kraft, die nicht nur im politischen Leben des Libanon eine zentrale Rolle spielt, sondern in der gesamten nahöstlichen Welt eine Popularität gewonnen hat, die den dortigen Regierungen, die – außer Syrien und dem Iran - von der Gnade der USA abhängen, das Fürchten lehren dürfte.
 Zweifelsohne genießt sie die Unterstützung des Iran. Falsch wäre es jedoch ihre – gerade durch den Ausgang der Aggression Israels gegen den Libanon gestärkte – Autonomie und selbständige Politikfähigkeit zu unterschätzen.


Armin Köhli, Wochenzeitung WOZ (Schweiz), 3. 8. 2006
Das provozierte Chaos Israels Blamage
 

"die Hisbollah bietet ... geradezu den idealen Feind: bärtige Kämpfer, die die iranischen Ajatollahs verehren und von Syrien und dem Iran unterstützt werden; 
... 
Da spielt keine Rolle, dass die Hisbollah nie ausserhalb des Libanon agierte, sich als Partei ins politische System des Libanon integrierte und längst zu einem Teil dieses Systems geworden ist und gar Minister in der Koalitionsregierung stellt. 
Es spielt auch keine Rolle, dass im Südlibanon kein «Gottesstaat» entstanden ist, sondern in - für eine Kriegsregion - grösster Toleranz gelebt wird, Meinungs- und Organisationsfreiheit herrschen. Dass Frauen ohne Kopftuch und in kurzen Jupes in einer «Hisbollah-Hochburg» wie Nabatije genauso zum Stadtbild gehören wie auch Alkohol.


Stefan Rosiny, taz vom 9.8.2006
"Das ist reine Propaganda" 
Was will die Hisbollah Herr Rasiny
Der Berliner Islamwissenschaftler Stefan Rosiny hat sich mit der Geschichte und Ideologie der libanesischen Hisbollah beschäftigt. Er meint: Die Hisbollah rede zwar von der Vernichtung Israels. Doch sie sei vor allem eine Widerstandsbewegung mit einem nationalistischen Programm

"[Hisbollah sagt,] selbst wenn die Israelis Muslime wären, würden wir gegen sie kämpfen: Weil sie den Palästinensern das Land genommen haben - und nicht, weil sie Juden sind."

"Die Hisbollah hat in den letzten Jahren vor allem drei Ziele verfolgt: Erstens die Befreiung der Schebaa-Farmen, die nach libanesischer Auffassung zum Libanon gehören. Deshalb hat sie dort immer wieder Militäroperationen durchgeführt. Zweitens die Befreiung der verbliebenen libanesischen Gefangenen aus Israels Gefängnissen, die sie durch Gefangennahme israelischer Soldaten freizupressen versucht hat. Drittens wollte sie verhindern, dass Israels Luftwaffe libanesisches Territorium überfliegt, wie dies in den letzten sechs Jahren über tausendmal geschehen ist"

taz: Sieht man die Hisbollah im Libanon nicht als Hindernis für die Demokratie?

Es gibt natürlich viele Gegner, die ihre religiöse Agenda kritisieren. Aber es gibt auch Säkulare und sogar Atheisten, die sie gewählt haben, weil sie von vielen als eine professionelle, stabilisierende und demokratisierende Kraft wahrgenommen wird. So ist die Hisbollah die einzige Partei, die seit 1992 konsequent ein Wahlprogramm vorgelegt hat, während alle anderen Parteien vor allem mit den Köpfen ihrer Kandidaten werben.

taz: Trotzdem ist die Hisbollah eine religiöse Partei.

Ja, aber das Wahlprogramm der Hisbollah ist im Grunde ein nationalistisches Entwicklungsprojekt - die Wörter "Islam" und "Muslim" tauchen da nur am Rande auf. Die Hisbollah engagiert sich für die Bekämpfung der Korruption und für die Abschaffung des Konfessionalismus im Libanon, und weil sie ihre Viertel sehr effektiv verwaltet, hat sie bei fast jeder Wahl zulegen können.


Timur Goksel, SPIEGEL, 27. 7. 2006
Unifil-Berater  "Jeder Kampftag ist ein Sieg für die Hisbollah"

Mehr als 20 Jahre lang war Timur Goksel Berater der Unifil-Truppen im Süd-Libanon. Im Interview erklärt der Hisbollah-Experte, warum die Miliz so erfolgreich ist und sich niemals auf eine Nato-geführte Friedenstruppe einlassen wird.

"Man kann die Hisbollah nicht zerstören, denn sie ist eine Idee, nicht nur eine Miliz. Wenn man versucht, sie zu vernichten, wird sie nur noch radikaler. ... Man darf die Hisbollah nicht marginalisieren, nicht dämonisieren. Ihre Kämpfer Terroristen zu nennen, ist der größte Fehler."


Rainer Matthias, junge Welt, 8. 8. 2006
Der Aufstieg der Hisbollah 
Die Mitglieder der "Partei Gottes" gelten als neue Helden in der arabischen Welt. Ein historischer Rückblick

Seit Mai 2000 beschränkte sich die Hisbollah auf die Bekämpfung israelischer Militärstellungen im Gebiet der Schebaa-Farmen. Soweit dabei in wenigen Ausnahmefällen nordisraelisches Gebiet in Mitleidenschaft gezogen wurde, ergab es sich unmittelbar aus den Kampfhandlungen. Die Darstellung der israelischen Propaganda, die auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel übernommen wurde, die Hisbollah habe schon seit Monaten Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung geschossen, ist völlig falsch.

Die stärksten Reaktionen auf den Widerstand der Hisbollah zeigen die Schiiten Iraks. Das ist ganz natürlich. Zwar wird viel über die Unterstützung und angebliche Fernsteuerung der Hisbollah durch Iran und Syrien gesprochen. Aber die engsten, traditionellen Verbindungen bestehen zwischen den Schiiten Libanons und des Iraks. .... Am Freitag voriger Woche demonstrierten in Bagdad Hunderttausende unter den Rufen »Nieder mit Israel«, »Nieder mit den USA« ihre Solidarität mit dem libanesischen Widerstand. Aufgerufen hatte Muqtada Al Sadr, dessen Mahdi-Armee schon zwei Mal standhielt, als die US-Besatzer versuchten, sie militärisch zu zerschlagen.

In Washington weiß man, was es bedeuten würde, wenn die bisher mehr oder weniger kooperative schiitische Mehrheit Iraks zum bewaffneten Widerstand überginge. 

Politisch noch beachtlicher als der »Millionen-Marsch« in Bagdad, wie Muqtada Al Sadr ihn nannte, war am Sonntag die Demonstration in der marokkanischen Stadt Casablanca. Mehrere hunderttausend Menschen füllten unter einem Meer von gelben Hisbollah-Flaggen, libanesischen und palästinensischen Fahnen die Straßen. Auf vielen Transparenten wurden die Reaktionen der arabischen Regierungen auf den Krieg als ängstlich und zögerlich kritisiert. Daß sich auch Sunniten mit der schiitischen Hisbollah solidarisieren, ist alles andere als selbstverständlich.


Günter Pleuger im Interview 
"Die Entwaffnung der Hisbollah ist Selbstmord" Der frühere dt. UNO-Botschafter über Blauhelme im Nahen Osten, das Scheitern der UN-Reform und den iranischen Atomkonflikt.

SZ: Der Sicherheitsrat streitet seit Wochen über eine UN-Friedenstruppe für den Libanon. Soll sie den Auftrag bekommen, die Hisbollah-Miliz zu entwaffnen?

Pleuger: Wenn die Hisbollah nicht zustimmt, wäre das für die Blauhelme ein Selbstmordkommando. Israel hat auch mit einer massiven Offensive die Hisbollah nicht schlagen können. ...

SZ: Geht Israels Offensive zu weit?

Pleuger: Ich teile die kritische Sicht von UN-Generalsekretär Kofi Annan. Die Grenze zum Libanon war nie ruhig. Nun hat Israels Regierung die Entführung zweier Soldaten zum Anlass genommen, große Teile des Landes und seiner Infrastruktur zu zerstören. Falls der Libanon zerbricht, entsteht ein Krisenbogen vom Libanon über Syrien, Irak, Iran, bis zu Afghanistan, der die Stabilität der gesamten Region gefährden könnte.

SZ: Sie haben 2004 im Sicherheitsrat selbst für die Resolution 1559 gestimmt. Sie fordert, die Hisbollah zu entwaffnen. Wurde im Rat jemals darüber gesprochen, wer das umsetzen soll?

Pleuger: Die Resolution galt vor allem der Souveränität und Unabhängigkeit der libanesischen Regierung durch einen Rückzug der Syrer aus dem Land. Die innerlibanesischen Aspekte standen damals nicht im Vordergrund.


Gilbert Achcar, Socialist Outlook, 1. 8. 2006
Der Nahe Osten in Flammen 
"Die Brutalität der israelischen Aggression ist kontraproduktiv für die israelischen Absichten"

Der historische Mißerfolg von nationalistischen Kräften und der Mißerfolg der Linken hat ein Vakuum geschaffen, das von islamischen Fundamentalisten gefüllt worden ist. 
...
Sogar eine plebejische Gruppe wie die Organisation von Muqtada Al Sadr im Irak ist eine größere soziale Bedrohung der Bourgeoisie als Hizbollah. Die Letztere ist natürlich radikal in ihrer Opposition zu Israel, .., aber in der libanesischen Politik ist Hizbollah völlig ins System integriert. Sie hat zwei Minister in der Regierung, die von Hariri-geführter US-Klientel beherrscht wird, und sie alliiert sich mit ganz reaktionären Figuren. Stimmt, sie organisiert Sozialeinrichtungen, aber nur wie Kirchen oder Wohlfahrtsorganisationen es tun - sie repräsentieren überhaupt keine soziale Bedrohung für die bürgerliche Gesellschaftsordnung.


Alexander Cockburn, ZNet 21.07.2006
Hisbollah, Hamas und Israel: alles was man über sie wissen sollte 

Eine gefährliche Exkursion in die entfernte Vergangenheit, die vor nur 7 Wochen begann


Rania Masri, junge Welt, 3.8.2006
Krieg seit 1948
In Südlibanon gibt es seit fast 60 Jahren keine Woche ohne israelische Angriffe

"Israels Politik ist die des alten Kolonialismus, und die Hisbollah-Milizen reagieren bislang noch zurückhaltend ... Wenn Israel wirklich will, daß Hisbollah verschwindet, dann müssen die Gründe für die Entstehung der Widerstandsbewegung beseitigt werden: Die Kriegsgefangenen müssen freigelassen werden, die permanenten Angriffe auf Zivilisten müssen eingestellt, das militärisch besetzte Shabaa-Farmland freigegeben und die militärischen Übergriffe auf libanesische Gebiete, die Küsten und den Luftraum müssen sofort eingestellt werden.

Hisbollah ist ein integraler Bestandteil Libanons. Hisbollah besteht nicht aus Büros, Gebäuden oder Straßen. Diese Widerstandsbewegung besteht aus Menschen und ihren Familien, die gemeinsam fest an die Befreiung ihres Landes glauben, für ihre Menschenwürde kämpfen und ihr Recht in Anspruch nehmen, ihre Heimat zu verteidigen.



Yossi Schwartz, junge Welt, 02.08.2006
»Letztlich ist es ein Klassenkrieg«
Viele Menschen in der arabischen Welt unterstützen Hisbollah. Ein Gespräch mit Yossi Schwartz, Rechtsanwalt aus Haifa. 

Es geht letztlich um einen Klassenkrieg und nicht um einen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Die Massen im Libanon und in der arabischen Welt unterstützen Hisbollah, auch Sunniten und Christen im Libanon. Es ist zwar eine reaktionäre Organisation, sie verteidigt aber die Unabhängigkeit des Landes.

... eine breite Mehrheit [in Israel] ist für den Krieg, weil sie um ihre Lebensgrundlage fürchtet. Insofern ist die Wirkung der Hisbollah-Bomben absolut reaktionär.


Der Standard (Wien), 27. Juli 2006
87 Prozent im Libanon für Kampf der Hisbollah gegen Israel - laut Umfrage wird die Gefangennahme israelischer Soldaten auch von der Mehrheit der Christen gutgeheißen

"87 Prozent der Libanesen unterstützen nach einer Umfrage den Kampf der schiitischen Hisbollah gegen Israel. Dies geht aus einer Umfrage des Beiruter Studien- und Informationszentrums (BCRI) hervor, deren Resultat am Donnerstag in der libanesischen Hauptstadt veröffentlicht wurde. 70 Prozent der Befragten beantworteten zudem die Frage bejahend, ob es richtig war, dass die Hisbollah am 12. Juli zwei israelische Soldaten verschleppte.

Der Umfrage zufolge befürworten 96 Prozent der Schiiten, 73 Prozent der Sunniten, 55 Prozent der Christen und 40 Prozent der Drusen die Soldaten-Verschleppung."


Erklärung der Beschäftigten im öffentlich-kulturellen Bereich /
Statement by Workers in the Public Cultural Sphere in Lebanon Beirut
July 25, 2006

Am 25. Juli verabschiedeten namhafte Intellektuelle, Schriftsteller und Journalistenin in Beirut eine "Erklärung der Beschäftigten des öffentlich-kulturellen Bereiches", die sich hinter den libanesischen Widerstand stellt, und von der libanesischen Regierung dasselbe verlangt. Sie rufen darüber alle libanesischen und arabische Intellektuellen auf, nicht Hisbollah, sondern Israel für den Krieg verantwortlich zu machen und den libanesischen Widerstand ebenfalls zu unterstützen

Auszug:

Wir, die Unterzeichner, erklären:
1. Unsere bewußte Unterstützung für den nationalen libanesischen Widerstand, der gerade einen Krieg zur Verteidigung unserer Souveränität und Unabhängigkeit führt, ein Krieg zur Befreiung von Libanesen, die in Israel im Gefängnis sitzen, ein Krieg, um die Würde des libanesischen und der arabischen Völker zu bewahren.

2. Unsere unzweideutige Widerlegung der Logik, welche die Hisbollah bezichtigt, den "Vorwand" für die israelische Invasion geliefert zu haben. Die israelische Invasion des Libanon, die Zerstörung seiner Infrastruktur, die Vertreibung und der Mord an der Bevölkerung geschah nicht aufgrund der heroischen Operation, die von der Hisbollah ausgeführt wurde..