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Streit in der Friedensbewegung über Widerstand im Irak?

Einige Anmerkungen über grob unfaire Beiträge in "Friedensforum" und "Zivilcourage", sowie sich daraus ergebende Fragen

Die Zeitschriften "Friedensforum" und "Zivilcourage" nahmen in ihren ersten Ausgaben des Jahres mit Beiträgen von Felix Oekentorp und Stefan Philipp (beide DFG/VK) noch einmal Stellung bzgl. der Debatte über die Unterstützung des irakischen Widerstands, die durch die Panoramasendung im Dezember entfacht worden war.

Ich will im folgenden nicht noch einmal inhaltlich auf die Thematik eingehen. Dies habe ich bereits mehrfach an anderen Stellen getan – an den beiden Autoren ging dies leider spurlos vorbei. (Die wesentlichen Texte sind unter http://www.antikriegsforum-heidelberg.de/irakkrieg2/aktionen/panorama_index.htm zu finden.) Ich möchte mich auf die Art und Weise beschränken, wie hier versucht wird, mich und andere, die sich gegen die Irak-Besatzung engagieren, zu diffamieren.

Während andere Zeitungen stets Beiträge beider Seiten brachten, wollten die Redaktionen dieser beiden Zeitschriften der Friedensbewegung den Lesern den Weg zur gewünschten Ansicht wohl einfacher machen. Sieht man von einer privaten E-Mail von mir ab, die ohne mich zu fragen in der "ZivilCourage" abgedruckt wurde, kam keiner der Angegriffenen zu Wort. Selbst Internet-Adressen auf entsprechende Stellungnahmen sucht man vergeblich, wie leicht könnte jemand beim Surfen in seinen Ansichten irritiert werden.

Das "Friedensforum" hatte mich zwar gleichzeitig mit Felix Oekentorp um einen Diskussionsbeitrag gebeten, sich dann aber entschieden, meinen nicht abzudrucken. Der Artikel hätte nicht dem entsprochen, was sie von dem Beitrag erwartet hätte, antworte mir auf mein verwundertes Nachfragen die zuständige Redakteurin, Christine Schweitzer, "z.B. Informationen zu den Trägern des irakischen Widerstandes und seinen Zielsetzungen. Ihr Beitrag ... schien hingegen eher eine Apologetik als eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu sein."

Vermutlich bot mein Beitrag nicht das erhoffte Futter für erneute Empörungen. An der fehlenden "sachlichen Auseinandersetzung" kann es kaum gelegen haben, wie man am Beispiel des abgedruckten Beitrags von Felix Oekentorp sieht, der bzgl. Sachlichkeit kaum zu unterbieten ist.

Felix Oekentorp kümmert sich darin weder um die bereits gelaufene Diskussion noch um den Wortlaut von Stellungnahmen. Schon die Einleitung seines Artikels erreicht BILD-Zeitungs-Niveau:

"Der Aufruf dieser Kampagne beinhaltet in seinem Wortlaut zwar nicht direkt den Hinweis, dass es sich dabei um eine Unterstützung von Selbstmordattentaten handelt, aber auf der Internetseite von Panorama www.ndrtv.de/panorama/20031211/irak.html waren Hinweise auf Internetbeiträge des Antikriegsforums Heidelberg und zum Duisburger Friedensforum."

Er unterstellt damit, dass eine Unterstützung von Selbstmordattentaten sehr wohl beabsichtigt sei, und legt sogar nahe, dass die Links zu den Internetseiten des Heidelberger und des Duisburger Forums eine solche Unterstützung explizit enthalten.

Seine ganze Argumentation fußt darauf – analog zu den"antideutschen" Autoren der Panoramasendung – den irakischen Widerstand auf den militärischen zu reduzieren und diesen dann pauschal mit terroristischen Anschlägen auf Zivilisten und internationale Organisationen gleichzusetzen.

Wie auf den genannten Internetseiten leicht nachzulesen ist, wurde von allen Gewalt gegen Unbeteiligte ausdrücklich ausgenommen, wenn vom Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung die Rede war. Nur in dem er dies bewusst ignoriert und auch die eigentliche Gewalt, also die der Besatzer, völlig außer Acht lässt, kann Oekentorp sich über die "Terrorunterstützung" durch die Besatzungsgegner in der Friedensbewegung ereifern.

"Ist der Vergleich mit Nazideutschland gerechtfertigt?" fragt Oekentorp scheinheilig weiter unten. Niemand hat die US-Politik mit der des deutschen Faschismus auf eine Stufe gestellt. Wer aber militärischen Widerstand ganz pauschal verurteilt, muss sich natürlich auch die Frage der Legitimität des Widerstands gegen die deutsche Besatzung gefallen lassen. Es gehört schon viel Frechheit dazu, dies mit Verweis auf die "Einzigartigkeit der Verbrechen Nazideutschlands" unterbinden zu wollen.

Ganz so plump ist Stefan Philipps Beitrag in der "ZivilCourage" zum Glück nicht. Dennoch ist auch er so verfälschend und tendenziös, dass ich über meine Entscheidung, ein nichtöffentliches Streitgespräch mit Jürgen Grässlin abzusagen, das er moderieren und in der "ZivilCourage" veröffentlichen wollte, auch im nachhinein froh war.

Auch er berücksichtigt die bis dahin gelaufene Debatte nicht und kritisiert an keiner Stelle die Panoramasendung, sondern nimmt sie dankend als Munition für seine Attacken. Wenn er schon nicht die Diskussion abwarten konnte, die (auch als Ersatz für das Streitgespräch) am 4. März in Heidelberg zwischen mir, Jürgen Grässlin und weiteren Heidelberger Aktivistinnen in konstruktiver Atmosphäre stattfand, so hätte er wenigstens auf die Argumente zurückgreifen können, die in schriftlicher Form bereits ausgetauscht worden waren.

Er hätte die Sache dann viel ruhiger angehen können, da es den von ihm präsentierten "Streit in der FB" so gar nicht gibt – steht doch eine unmittelbare Unterstützung irakischer Organisationen kaum irgendwo ernsthaft zur Debatte.

Doch auch Stefan Philipp geht es anscheinend weniger um die inhaltliche Auseinandersetzung, als um Diskreditierung eines unliebsamen Teils der FB. Wie Felix Oekentorp baut er seine Argumentation darauf auf, den irakischen Widerstand auf terroristische Anschläge – UNO, Rotes Kreuz etc. – zu reduzieren. "Geld sammeln für terroristische Attentate" heißt es denn auch gegen besseres Wissen in der Einleitung des Artikels.

Das Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung wird zwar prinzipiell eingeräumt. Da dem irakischen Widerstand aber auch Terroraktionen zugeschrieben werden, haben die Iraker dieses Recht nach Stefan Philipps Ansicht verwirkt. Auch die Garantien des internationalen Rechts spielen für ihn keine Rolle, da "aus pazifistischer Sicht Krieg und Gewalt auch abzulehnen sind, wenn sie staatsrechtlich oder völkerrechtlich legal sind". Dies ist nicht nur aus "pazifistischer Sicht" der Fall, sondern entspricht prinzipiell linkem Selbstverständnis, geht aber am eigentlichen Thema vorbei: Denn was ist, wenn ein Land mit Krieg überzogen wird und Menschen mit brutaler, lebensbedrohender Gewalt konfrontiert sind? Es waren schließlich nicht die Iraker, die über die USA hergefallen sind. (Das scheint man manchen Friedensfreunden immer wieder ins Gedächtnis rufen zu müssen)

Auf genauere Recherchen, was sich tatsächlich alles hinter dem irakischen Widerstand verbirgt, was die besonderen Bedingungen sind, auf denen die einzelnen Widerstandsströmungen beruhen, wer wohl hinter den Massakern an Zivilisten stecken könnte etc. glaubt er – obwohl Chefredakteur einer Zeitschrift mit kritischem Anspruch – verzichten zu können. Da reichen ihm anscheinend "investigative Medien" a la Panorama.

Der Widerstand gegen die Besatzung "könnte eventuell auch mit rein zivilen Mitteln zum Erfolg führen" werde ich an einer Stelle – durchaus korrekt – zitiert. "Nach dieser Argumentation heiligt der Zweck die Mittel," schlussfolgert Stefan "weshalb jedes Mittel, wenn es denn nur zur Beendigung der Besatzung führt, gerechtfertigt ist". Für ein solche blödsinnige und böswillige Unterstellung geben weder die zitierte noch andere Stellen bei mir Anlass. Für Stefan Philipp reicht es, um den Schluss zu ziehen, dass ein Pazifist der grundsätzlich gegen jeden Krieg ist, mit so jemand wie mir keine Übereinstimmung erzielen könne.

Er zählt viele Beispiele auf, was mit gewaltfreien Methoden erreicht werden konnte, das ist aber gar nicht strittig. Die Frage ist doch, ob es Situationen gibt, wo gewaltfreier Widerstand versagt, weil er z.B. zu hohe Opfer fordert, und ob daher die Entscheidung nicht den Betroffenen zu überlassen ist. Hier ist sicherlich der Verweis auf den Widerstand gegen den dt. Faschismus gerechtfertigt. Es ist ein äußert übeler Stil, wenn Stefan Philipp dem durch fiese Vergleiche mit Scharping, Fischer etc. auszuweichen versucht, die mit ganz anderen Argumenten und zu einem ganzen anderen Zweck auf den deutschen Faschismus zurückgriffen haben.

Die in ihrer Tendenz sehr ähnlichen Artikel werfen einige Fragen auf, die über schlechten redaktionellen Stil hinausgehen:

So wiederholen sich in beiden Texten die Appelle, sich von den Teilen der Friedensbewegung, die ihren dogmatischen und missionarischen Pazifismusbegriff nicht teilen, zu distanzieren.

Wird diese Position von den Organisationen hinter den beiden Zeitschriften geteilt?

Da sich die Angriffe auch gegen Arundhati Roy richten (Stefan Philipp nennt Roy abschätzig "Ikone der globalisierungskritischen Bewegung" und widmet ihr, die Auszüge eines offenen Briefs von Jürgen Grässlin eingerechtet, eine ganze Seite), liegt die Frage nahe, ob es hierbei im Kern tatsächlich um die "Haltung zur Gewalt" geht, oder nicht vielmehr darum, welche Haltung man generell in Konflikten wie im Irak einnehmen soll.

Roy hat ja eigentlich ein gewaltfreies Widerstandskonzept par excellence vorgelegt. Wenn DFG/VK-Sprecher und ZivilCourage dennoch Wortklaubereien betreiben und ihr vorwerfen, sie spalte die Globalisierungsbewegung, liefere "den Besatzern die Legitimation für weitere Gewaltakte" und nehme "die gezielte Verstümmelung oder Ermordung von Menschen im Irak in Kauf", dann wollen sie offensichtlich den Gesamtinhalt der Rede gar nicht zu Kenntnis nehmen.

Reiben sich die Kritiker aus dem Friedenslager deshalb an Roy, weil sie ganz einfach ihre Zielsetzung nicht teilen? Wollen sie nicht, dass sich die FB vorbehaltlos gegen die Besatzung engagiert (und damit auch gegen deren Unterstützung durch die eigene Regierung), zumindest nicht, dass dies zu einer zentralen Kampagne wird.

DFG/VK und die Gruppen hinter dem "Friedensforum" gehörten ja auch zu den maßgeblichen Organisatoren der Demonstration in Ramstein am 20.3., die demonstrativ jegliche Stellungnahme zur Besatzung des Iraks (und Afghanistan, Palästina ...) vermied (s. auch den Offenen Brief des Trierer Bündnis gegen Krieg an die Trägerorganisationen). Damit scherte ein Teil der dt. FB aus dem "internationalen Aktionstag gegen die Besatzung" aus und distanzierte sich somit von dessen Zielsetzung. (Die einzige Rede, die die Forderung nach Rückzug der Besatzer enthielt, war bezeichnender Weise das übermittelte Grußwort des stets aufrechten Bischof Gumbletons, der sicherlich von einer anderen inhaltlichen Ausrichtung der Veranstaltung ausging)

Auffallend finde ich auch, dass von den Sprechern der DFG-VK ab Beginn des Irak-Krieges im März letzten Jahres keine Stellungnahme oder Presserklärung zum Krieg oder zur Besatzung mehr kam. Erst im Dezember und Januar meldeten sich ihre Sprecher wieder zu Wort – jeweils gegen Gegner der Besatzung: gegen die von Panorama Vorgeführten und gegen Arundhati Roy.

Auch angesichts der Eskalation der Gewalt der Besatzer in Falludscha, die bis Ostern mehr als 700 Iraker tötete, war nichts zu vernehmen.

Joachim Guilliard,
Heidelberg, 24.4.2004

P.S.:

Um wie viel reifer der Stand der Bewegung im Irak ist, kann beispielsweise dem Bericht von Hana Ibrahim (International Occupation Watch Center, Bagdad) über das Projekt "Einer nationalen Konferenz für einen unabhängigen und vereinten Irak" entnommen werden. "Ein irakisches Projekt, dass über die falsche Auswahl zwischen Diktatur und Besatzung hinausweist." (http://www.occupationwatch.org/article.php?id=3534 )

Vertreter von etwa 50 Organisationen haben sich schon mehrfach getroffen, um auf eine Nationale Konferenz hinzuarbeiten. Vertreten waren nahezu alle ideologischen Strömungen: religiöse aller Konfessionen, säkulare, nationale und linke. Anwesend waren Wissenschaftler, Stammes- und Religionsführer, ehemalige Minister usw., sowohl Vertreter Ayatollah Sistanis, wie Moktadar Al Sadrs.

Die Hauptforderung ist das Ende der Besatzung. Erst dann entstünden Bedingungen um eine Verfassung zu schreiben und eine unabhängige Gesellschaft aufzubauen, bestimmt durch "Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Frieden".

Zunächst ginge es darum, politische Strukturen zu schaffen, um den Irak zu befreien – mit allen legitimen Mitteln. In erster Linie bedeute dies, politische, organisatorische Arbeit.