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Die offizielle Propaganda nicht hinnehmen

– selbst aktiv werden gegen Irak-Besatzung und deutsche Unterstützung

Joachim Guilliard, 24.1.2004

Beitrag geschrieben für FriedensForum 04/1 (wurde aber, obwohl angefordertm nicht abdedruckt)

Die Frage einer unmittelbaren Unterstützung des bewaffneten Widerstands im Irak steht im Moment an sich gar nicht zur Debatte. Vielmehr geht es darum, ob wir uns für den raschen Abzug der Aggressoren engagieren und dabei den irakischen Widerstand in seiner Gesamtheit unterstützen oder aber uns zuallererst vom bewaffneten Teil distanzieren sollen. Dies steht auch hinter den wütenden Reaktionen einiger deutscher Aktivisten auf Arundhati Roys Aufruf in Mumbai, den Widerstand im Irak zu unterstützen.

Wenn in diesem Zusammenhang von inhumaner Gewalt und deren Opfer geredet wird und von Gewalt, die erst wieder Gewalt erzeugt, sollten wir uns zuerst die katastrophalen Verhältnisse im Irak unter Besatzung vor Augen führen. In allen gesellschaftlichen Bereichen sind die Bedingungen fürchterlicher, als sie es schon vor dem Krieg und unter dem Embargo waren. Diesen Lebensbedingungen fallen gegenwärtig weit mehr Menschen zum Opfer, als militärischer Gewalt –so hat sich z.B. die schon zuvor extreme Kindersterblichkeit noch einmal verdoppelt. Eine Verbesserung der Situation und ein Ende der Fremdherrschaft ist trotz der angekündigten Bildung einer provisorischen Regierung nicht in Sicht, die US-Regierung hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die Besatzungstruppen auf unbestimmte Zeit bleiben werden. Indem kooperationsbereite Teile der irakischen Bevölkerung gegen den Rest in Stellung gebracht werden, droht diese "Irakisierung" der Besatzungsherrschaft zu einer US-hörigen Diktatur und zum Bürgerkrieg zu führen. Jüngste Berichte über den Aufbau von Todesschwadronen und einer neuen Geheimpolizei aus Milizen verbündeter Organisationen und Angehörigen des alten Geheimdienstes Mukhabarat belegen dies nachdrücklich. (1)

Gleichzeit wird "der Reichtum des Landes nun in einer offenen internationalen Auktion verscherbelt," so Baqer Ibrahim, Mitglied des Politbüros der irakischen KP in einem Schreiben, das die aktuelle Parteiführung für ihre Kollaboration heftig kritisiert und zur Unterstützung des Widerstands aufruft.

Allein dieser Widerstand gegen die Besatzung – der viel vielfältiger ist, als hier bekannt – hat bisher verhindert, dass die USA ihre Pläne im gewünschten Tempo umsetzen konnten. Er zwang die USA zum taktischen Rückzug in Form der raschen Einsetzung einer provisorischen Regierung und zur Aussetzung einer Reihe bereits fest geplanter neoliberaler Wirtschaftsmaßnahmen. Er beeinträchtigt zudem entscheidend die Fähigkeit der US-Regierung, ihre aggressive Politik gegen andere Länder auszuweiten. Die politische Unterstützung des Widerstands im Irak, der so Arundhati Roy, zum "Kulminationspunkt von Neoliberalismus und Imperialismus" wurde, ist daher eine vordringliche Aufgabe der Friedens- und globalisierungskritischen Bewegung weltweit geworden.

Nun werden im Namen dieses Widerstands auch terroristische Anschläge verübt, denen Zivilisten zum Opfer fallen. Viele aus der Friedensbewegung lehnen daher oder aus prinzipiellen Gründen den bewaffneten Widerstand ab. Dies berechtigt aber nicht, ihn pauschal mit Terror gleichzusetzen und den Betroffenen gar generell das in der UN-Charta verankerte Recht zur bewaffneten Selbstverteidigung abzusprechen. Nicht ohne Grund erkannte die UNO Mitte der siebziger Jahre auch den Guerillakrieg – mit Ausnahme von Terroraktionen gegen unbeteiligte Zivilisten – explizit als legitime Form des Widerstands gegen koloniale Unterdrückung an.

Die massive Propaganda, die die Besatzungsherrschaft als legale und alternativlose Ordnung darstellt und die, die sich ihr widersetzen, pauschal als Terroristen, soll letztendlich den Weg zu einer direkten Unterstützung Deutschlands ebnen. Dem müssen wir uns entgegenstellen und mehr ins Bewusstsein rücken, dass schließlich erst die Gewalt der Besatzung die Gewalt dagegen provoziert.

Selbstverständlich gibt es im Irak, wie z.B. die großen Demonstrationen für freie Wahlen zeigen, auch ein großes Potential für einen zivilen Widerstand und sind Formen demokratischer Selbstorganisation durch breite Aktionen der Bevölkerung wichtig. Versuche aber, die gesamte irakische Opposition gegen die Besatzung auf das Vorgehen Gandhis verpflichten zu wollen, vernachlässigen den spezifischen damaligen Kontext und sind in hohem Grad anmaßend. Häufig schon in der Geschichte wurde der Bevölkerung die Entscheidung zum bewaffneten Widerstand durch die Brutalität der Besatzung aufgezwungen – meist nach qualvollem Scheitern friedlicher Befreiungsversuche. Oft ging ziviler und militärischer Widerstand Hand in Hand. Wir werden die Entscheidung über die Formen des Widerstands den Betroffenen selbst überlassen müssen.

Wir müssen hier vor Ort unsere eigenen Möglichkeiten des Widerstands gegen die deutsche Unterstützung der US-Kriegspolitik ausschöpfen und – zusammen mit der internationalen Bewegung – den Druck auf die Regierungen der USA und ihre Verbündeten erhöhen, sich schleunigst aus dem Irak zurückzuziehen.


(1) Joachim Guilliard (8.01.2004) Die Wiederkehr von Phoenix Kolonialisierung und Aufstandsbekämpfung im Irak