Liebe Freunde,
es gäbe so viel zu berichten, täglich könnte ich schreiben. Es schmerzt, wenn man sich ständig mit all der Schwere befasst. Heute habe ich mich entschlossen das Thema "Mauer" näher zu bringen. Das nächste Mal, schreibe ich über die interne palästinensische Situation, danach wieder über meine Arbeit mit den Jugendlichen, die sehr gut weiter geht und Quelle meiner Kraft und Hoffnung ist.
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Fünf Haupttore und 26 "Agrar-Tore", an denen jeweils Passierscheine verlangt werden, sind errichtet worden. Es ist sehr schwer solche Passierscheine zu bekommen, die Beantragung bzw. Bewilligung dauert Tage, mitunter Wochen.
Die Schäden für die Wirtschaft, Bildung, das soziale Leben durch diese, den Menschen auferlegte Bewegungseinschränkung, der Verlust von Land und Eigentum sind jetzt schon unermesslich hoch und bedrohen in einem noch stärkeren Maße als bisher die Existenz der Palästinenser. Wie wird es erst nach Fertigstellung der Mauer sein? Für den Beobachter liegt die Vermutung nahe, dass sich mit all dem die Absicht verbindet, den Menschen das Leben so schwer zu machen, dass sie es nicht mehr ertragen können und sich entschließen das Land zu verlassen. Ist damit die Sicherheit wieder hergestellt?
Die jetzige Politik verfolgt ehrgeizig den Mauerbau, ungeachtet der Schäden und des Leids, welche der israelischen Gesellschaft und den Menschen in Israel und Palästina zugefügt wird.
Die Hudna- Waffenstillstand
Endlich war es möglich, dass ein Hudna, Waffenstillstand, seitens der Palästinenser, erreicht wurde. Hoffnungsvolle Atmosphäre und Erleichterung wurden spürbar, verknüpft mit beginnender Verbesserung der Alltagssituation. Dem israelischen Militär passte die Hudna nicht, denn das würde bedeuten, die Militäraktionen müssen gestoppt werden. Die Taktik von Ben Gurion passte genau: "Provozieren um zu reagieren, wir sagen Ja, wenn sie Nein sagen, und wir sagen Nein, wenn sie Ja sagen". Die Israelische Regierung verkündete, dass Hudna eine palästinensische Angelegenheit sei, und Israel die Politik der Ausschaltung politischer Aktivisten weiter führen werde. Die Hudna wurde vom Militär - wie Uri Avnery, ein israelischer Schriftsteller, schrieb - wie folgt kommentiert:" Jeder Tag Hudna ist ein Desaster! Die Reduktion der Gewalt auf fast Null ist ein großer Unglück: Unter dem Deckmantel der Hudna können sich die Terrororganisationen erholen und neu formieren. Jeder verhinderte Anschlag heute wird uns morgen umso härter treffen."
Innerhalb der ersten sechs Wochen Hudna, tötete israelisches Militär 21 Palästinenser, und verletzte mehr als 160 Menschen bei der sog. "gezielten Tötung" von Aktivisten, mit Raketen und Bomben auf offener Strasse, sodass auch viele Zivilisten, darunter Kinder getötet oder verletzt wurden. Hauszerstörungen, Landnahme und Mauerbau gingen weiter. Damit war die Hudna zum Scheitern verurteilt. Der Kreis der Gewalt und Gegengewalt war eingeleitet: Am 8. August 2003 töteten israelische Soldaten zwei Hamas Kämpfer in Nablus. Die Vergeltung fand am 12. September, sechs Wochen nach Beginn der Waffenruhe seitens der Palästinenser statt: Hamas Attentäter töteten einen Israeli in Rosh-Ha'ayn und einen Siedler in Ariel Siedlung. Dies war nun der Anfang neu ausbrechender und eskalierender Gewalt. Jeden Tag werden Menschen getötet, andere verletzt, gefangen genommen und gefoltert. Das Leiden wird schrecklicher und blockiert den Weg zur Versöhnung. Solange Besatzung, Unterdrückung und Ungerechtigkeit herrschen, so lange wird es Widerstand geben. Tausende sind bereit sich zu wehren - und das mit allen Mitteln.
Wie viele müssen noch getötet werden, und wie erreicht man, dass keine neue Generationen von Kämpfern folgen werden? Die Antwort ist: Ende der Besatzung und eine gerechte Lösung, entsprechend der internationalen Legitimität, die einen wahren Frieden für beide Seiten bringt. Beide Gesellschaften leiden schwer und erkranken zunehmend am Verlust ihrer Menschlichkeit und Moral. Wir brauchen eine internationale Intervention, die beiden Seiten zur Vernunft verhilft. Anschläge auf Zivilisten und jegliches Töten sind Verbrechen, das niemals akzeptiert werden dürfen. Dieser Kreislauf muss sofort enden. Jede Verletzung, Tötung, jedes Unrecht vertieft die Gräben der Feindseligkeit und erschwert die Heilung und Genesung auf beiden Seiten. Wir müssen Rechenschaft ablegen uns selbst gegenüber, müssen unser Versagen zugeben und Verantwortung wahrnehmen. Wir müssen unsere Menschlichkeit wahren und unsere Vernunft wieder finden. September, 2003
Ihre/eure Sumaya Farhat-Naser,
Birzeit Palästina
September 2003