Erneut deutsche „Militärhilfe“ für das Besatzungsregime im
Irak
Dringend gebotene humanitäre Hilfe für Hungernde und Flüchtlinge bleibt
aus
Joachim Guilliard
Zeitung gegen den Krieg, März 2008
Gerhard Schröder machte 2002 weltgeschichtlich Furore als er, mit der
drohenden Niederlage bei den Bundestagswahlen konfrontiert, eine
deutsche Beteiligung am Krieg gegen den Irak kategorisch ausschloss.
Zur selben Zeit begann Deutschland zu einem der wichtigsten
Aufmarschgebiete der US-Armee zu werden. „I am not convinced – ich bin
nicht überzeugt“ schleuderte Außenminister Joseph Fischer dem
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entgegen, als dieser auf der
„Münchner Sicherheitskonferenz“ im Februar 2003 die vom Irak
ausgehenden Gefahren beschwor. Anschließend wurde diese Konferenz, kurz
vor Kriegsbeginn, genutzt, um abzuklären, wie mit dem Dissens
konstruktiv umgegangen werden könnte. Das Ergebnis ist bekannt: die
Schröderregierung durfte weiterhin mit ihrer öffentlichen
Kriegsgegnerschaft punkten, überließ den britischen und amerikanischen
Waffenbrüdern aber Deutschland als wichtigste logistische Drehscheibe.
Die Bundeswehr stellte 2003 bis zu 4.200 Soldaten zur Bewachung von
US-Kasernen, um US-Kollegen für den Kriegseinsatz freizusetzen, sandte
Patriot-Abwehrraketen in die Türkei und stationierte ABC-Schutzpanzer
in Kuwait. Deutsche Agenten erkundeten sogar mögliche Angriffsziele in
der irakischen Hauptstadt.
War Deutschland damit bereits einer der wichtigsten Partner im
Kriegsbündnis, so stellte sich die Bundesregierung bald nach dem die
ersten Bomben auf Bagdad fielen, faktisch hinter die Aggression. Nach
dem der Krieg nun leider begonnen habe, so Außenminister Fischer, könne
man nur hoffen, dass die US-geführte Koalition rasch den Sieg davon
trage, alles andere wäre eine Katastrophe.[1]
Beide Bundesregierungen unterstützen seither nahezu uneingeschränkt die
US-Politik im Irak. Nach wie vor wird der größte Teil des Nachschubs
der US-Truppen über deutsche Luft- und Seehäfen abgewickelt, wichtige
Führungsstäbe organisieren von hier den Krieg und Zigtausende
verwundete GIs wurden schon im US-Krankenhaus in Landstuhl
zusammengeflickt. Ohne ihr deutsches Hinterland könnten sich die
Besatzungstruppen im Moment kaum eine Woche im Irak halten.
Daneben leistete Deutschland auch direkte Besatzungshilfe, vor allem
durch Ausbildung und Ausrüstung der neuen, unter US-Führung stehenden
Armee und Polizei. Die Bundeswehr setzt diese Hilfe auch in diesem Jahr
fort. Wie das Magazin „Focus“ voller Stolz berichtete, werden in Abu
Dhabi bald 70 deutsche Ausbilder 250 irakischen Soldaten beibringen,
„wie man einen Logistik- und Nachschubverband organisiert“ und „einen
50-Tonnen-Tieflader durch losen Sand steuert“.[2]
Ob sie dafür tatsächlich die Hilfe des „weißen Mannes“ brauchen, darf
in einem Land, das seit den 1980ern Jahren fast dauernd im Krieg ist,
bezweifelt werden. Wichtiger ist sicherlich die Bereitstellung der
Hardware für einen neuen Transportverband der irakischen Streitkräfte:
20 Schwerlasttransporter, 100 Krankenwagen und ca. 250 weitere
Fahrzeuge im offiziellen Wert von 7,5 Mio. Euro.
Nach dem 2006er Rüstungsexportbericht der GKKE (Gemeinsame Konferenz
Kirche und Entwicklung) betrug der Wert der Rüstungslieferungen 2004
insgesamt 32,9 Millionen und 2005 ca. 25 Millionen Euro.[3]
Die BRD ist, wie Militärminister Franz Josef Jung bei der
Unterzeichnung des Vertrags über die neue Lieferung betonte, sehr um
eine langfristige militärische Zusammenarbeit mit dem Irak bemüht.[4]
Die Bundesregierung verkauft ihre militärische Unterstützung als
humanitäres Engagement, als Hilfe zur Stabilisierung eines Landes, das
nach der US-geführten Invasion in tiefes Chaos stürzte. Tatsächlich ist
es aber eine direkte Beteiligung an der Besatzung. Wichtiger, als der
verhältnismäßig bescheidene materielle Umfang, ist die damit verbundene
politische Unterstützung Washingtons dabei, eine abhängige, von
radikal-islamischen und separatistischen Parteien getragene Regierung
zu etablieren und aus deren Anhang eine US-loyale Armee aufzubauen.
Faktisch werden so einige extreme irakische Kräfte gegenüber allen
anderen in Stellung gehalten. Dies ist auch das Urteil der
transatlantisch orientierten International Crisis Group (ICG). Auch
deren Experten sind überzeugt, dass die dominierenden Kräfte in der
irakischen Regierung den Kreislauf aus intensivierter Gewalt und
Gegengewalt weiter anheizen, um Nutzen aus einer Polarisation der
Gesellschaft ziehen zu können. Gleichgültig gegenüber den nationalen
Erfordernissen, heißt es in einer ihren Analysen, würden deren
politische Führer zunehmend zu „Warlords.“ Ausgerechnet die
„Sicherheitskräfte“, die offensichtlich mitverantwortlich für den
aktuellen schmutzigen Krieg sind, zur Verringerung der Gewalt
auszubauen, habe „die Weisheit einer sich selbsterfüllenden
Prophezeiung: Schritte, die genau den Prozess beschleunigen werden, den
sie zu verhindern vorgeben.“ [5]
Wer nach Gründen für die fast vorbehaltlose Berliner Unterstützung der
USA im Irak sucht, muss sich nicht mit der Bündnistreue begnügen. Zwar
ist das Engagement deutscher Firmen im Irak noch recht zurückhaltend,
das Handelsvolumen hatte jedoch 2005 das Vorkriegsniveau längst
überschritten. Aktuell gehe es aber noch, so Vertreter der Industrie
und Handelskammer IHK, vor allem darum, Präsenz zu zeigen. Hier liegen
deutsche Firmen vorne. Bei der 4. internationalen „Rebuild Iraq“-Messe
im Mai letzten Jahres in Amman stellten sie den größten Pavillon.
Waffen und militärische Ausrüstung ist sicherlich das letzte, was der
Irak benötigt. Wer dem Land wirkliche Hilfe bringen möchte, hat viele
gute Möglichkeiten. So fehlen dem UN-Flüchtlingshilfswerk aktuell 261
Millionen Dollar, um die mehr als 2,2 Millionen Iraker versorgen zu
können, die außer Landes flohen.[6] Die
Nachbarländern Iraks, die mit der großen Zahl Flüchtlingen völlig
überfordert sind, müssten zudem rasch entlastet werden: Statt
irakischen Flüchtlingen den Flüchtlingsstatus zu entziehen, sollte
Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden und einen angemessen
großen Teil derer aufnehmen, die ein mit deutscher Hilfe geführter
Krieg vertrieben hat.
Die Bundesregierung sollte zudem auf den Internationalen Währungsfonds
und die Weltbank einwirken, dass diese ihre ultimative Forderung nach
Kürzung der Lebensmittelhilfen wieder zurücknehmen. Auf deren Druck hin
wurde zu Beginn des Jahres der Warenkorb, der seit 1996 das Überleben
der meisten Iraker sicherte weiter zusammengestrichen. Er enthält nun
nur noch fünf Grundnahrungsmittel und auch deren Menge wurde gekürzt.
Über 60 Prozent der Bevölkerung sind von der Lebensmittelzuteilung
abhängig, vier Millionen Iraker sind laut Oxfam ohnehin schon nicht
mehr ausreichend mit Lebensmittel versorgt – auf Deutsch: sie hungern. [7]
Dem irakischen Handelsministerium fehlen 5 bis 6 Milliarden Dollar, um
in diesem Jahr wenigstens dieselbe Menge wie 2007 verteilen zu können.
Auch die lag schon weit unter dem, was während des Embargos über das
Öl-für-Nahrung-Programm zur Verfügung stand. Die fehlende Summe
entspricht dem, was die USA aktuell innerhalb von 2 bis 3 Wochen für
den Krieg im Land ausgeben.
[1] Am 2. April 2003
trat Fischer in Brüssel mit seinem Krieg führenden britischen Kollegen
Straw vor die Kameras und wünschte sich mit ihm einen baldigen
Zusammenbruch des irakischen Regimes. Auch Kanzler Schröder wünschte
sich in einer Regierungserklärung am 3. April 2003 einen raschen
Zusammenbruch des irakischen Regimes „Politische
Lehren aus dem Irakkrieg“, WSWS, 10. April 2003
[2] „50-Tonner im
Wüstensand – Ausbildung irakischer Soldaten durch die Bundeswehr“,
Focus, 30.10.2007
[3] Rüstungsexportbericht
2006 der GKKE (Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung),
Dezember 2006
[4] Meldung auf der Homepage
der deutschen Botschaft in Bagdad im Dezember 2007
[5] “After
Baker-Hamilton – What to do in Iraq”, ICG, 19.12.2006
[6] „UNHCR
fordert 261 Millionen Dollar für Irak-Flüchtlinge“, AP, 8.1.208
[7] Dahr Jamail, Ahmed Ali, “Saddam
Provided More Food Than the U.S.”, Inter Press Service, 27,12.2007,
“Hungern
wie im Krieg, Bahnt sich im Irak eine neue Katastrophe an?“,
Telepolis, 08.01.2008