[home]

 

»Wir sind die Gemäßigten«

Irak, Libanon, Palästina – Europa will Syriens Standpunkt in zentralen Nahostfragen nicht verstehen
Von Faruk Al Schara
junge Welt, 14.12.2006 / Schwerpunkt / Seite 3
http://www.jungewelt.de/2006/12-14/052.php

Joshua Landis, Kodirektor des Zentrums für Friedensstudien an der Universität von Oklahoma, verbreitet auf seiner Webseite syriacomment.com einen Grundsatzbeitrag des syrischen Vizepräsidenten Faruk Al Schara zur Außenpolitik seines Landes. Eine ausführliche Fassung des Aufsatzes erschien zuvor beim syrischen Internetdienst Champress auf arabisch.

Wir bedauern, daß Frankreich, das wichtigste europäische Land, uns gegenüber feindselig eingestellt ist. Präsident (Jacques) Chirac greift wiederholt zum Telefon und ruft politische Führer in aller Welt an, um sie dazu zu bringen, in den Vereinten Nationen gegen uns zu stimmen, oder sie davon zu überzeugen, geplante Besuche in Syrien abzusagen.
Es ist nicht richtig, uns Extremisten zu nennen und uns von den »Gemäßigten« in der arabischen Welt zu trennen. Syrien hat sich seit Jahrzehnten an dieselben grundlegenden Prinzipien gehalten. Ich muß das wissen. Wir verteidigten 1990 Saudi-Arabien und Kuwait, weil wir die Besetzung eines arabischen Landes nicht billigten. Das war keine Entscheidung, für die es große populäre Unterstützung gab. Nichtsdestoweniger ging es um ein Prinzip – dasselbe Prinzip, das wir auf Irak anwenden. Wir sind die Gemäßigten, und die sogenannten Gemäßigten sind jene, die sich unterworfen haben.
Unsere Beziehungen mit dem Libanon werden stärker sein als zu der Zeit, als wir unsere Armee in diesem Land hatten. Sie werden sehen (...) die Geschichte wird uns bestätigen (...) die kommenden Tage, Wochen und Monate werden es zeigen.
Wir mögen (Michel) Aoun (den Führer der »Freien Patriotischen Bewegung« des Libanon) (...) Aouns Erklärungen sind aufrichtig, logisch und weise gewesen. Wir haben grundsätzlich zugestimmt, unseren Botschafter in den Libanon zu entsenden, sobald die Beziehungen wieder normal geworden sind. Wir werden auch syrische Konsuln in jede libanesische Stadt entsenden.
Einige der europäischen Führer, die Syrien besuchen, wiederholen einfach wörtlich die amerikanischen Forderungen, andere wiederholen einige dieser Forderungen, während es noch anderen peinlich ist, sie zu wiederholen. Sie hören sich unsere Auffassungen an. Aber die meisten Besuche sind zu kurz für einen aufrichtigen Meinungsaustausch, der zur Verständigung führt. Vielleicht ist das der entscheidende Punkt bei den kurzen Besuchen. Man will nicht versuchen, unseren Standpunkt zu verstehen.
Was das Konzept einer internationalen Konferenz über den Irak betrifft, so haben uns viele europäische Länder diese empfohlen. Wir unterstützen die Formel aber nur, wenn wir wissen, was das angestrebte Ergebnis einer solchen Konferenz ist. Sie muß einen vernünftigen Zweck haben, für den zu arbeiten wir zustimmen können.
Wir werden nicht irgendeinen politischen Prozeß im Irak unterstützen, wir werden ihn nur unterstützen, wenn er die Interessen all der verschiedenen Gruppen im Irak berücksichtigt, wenn die Einheit des Landes erhalten bleibt, und wenn es einen Zeitplan für den Rückzug (der US-Truppen) gibt.
Die USA sind im Irak schrecklich gescheitert. Der Baker-Hamilton-Bericht ist ein Anzeichen dafür, daß das amerikanische Volk sich der Tatsache bewußt wird, daß es im Irak durch seine Regierung übel getäuscht worden ist. Manche behaupten, daß der Irak durch Dialog mit Syrien und Iran stabilisiert werden kann. Wir sind nicht so arrogant zu glauben, daß Syrien das Irak-Problem allein lösen kann, was weltweite Auswirkungen haben wird. Vielleicht kann nicht einmal die Zusammenarbeit aller Länder helfen, das Problem des Irak zu lösen, aber es muß unser Anliegen sein, die Bescheidenheit zu besitzen, einander anzuhören und zu versuchen, was wir können.
Wir werden keinem irakischen Führer helfen, der nicht gegen die Besatzung des Irak ist und nicht versucht, sie zu beenden. Das haben wir (allen bisherigen irakischen Premierministern) Allawi, Dschafari und Maliki gesagt. Wir sind gegen die fremde Besatzung.
Wir erwarten nicht, daß sich viel an der amerikanischen Position ändert. Höchstens einige kleine Änderungen oder kosmetische Änderungen oder taktische Änderungen wird es geben. Obgleich die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten gegen den Krieg ist, gibt es dort mächtige Gruppen, die sagen: »Wir werden nicht mit leeren Händen abziehen, nachdem wir im Irak 450 Milliarden ausgegeben haben.«
Was Palästina angeht, so haben die Israelis die Palästinenser mit einer Blockade eingekesselt. Sie hungern ein ganzes Volk aus und erlauben niemandem, ihm zu Hilfe zu kommen. Sie halten eine ganze Nation als Geisel. Sie beklagen sich, daß die Palästinenser einen israelischen Soldaten als Geisel festhalten. Sind wir so weit gekommen, daß eine israelische Geisel eine ganze Nation wert ist? Das gab es nicht einmal im Zeitalter der Sklaverei. Wie weit ist es mit uns gekommen?

Faruk Al Schara gehört zu den prominentesten Politikern Syriens. Er war von 1984 an Außenminister, bis er im Februar 2006 Vizepräsident seines Landes wurde.
Übersetzung: Klaus von Raussendorff,
Original: http://joshualandis.com/blog/?p=117