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Außenansicht
Sanktionen gegen Israel
Die Staatengemeinschaft muss sich auf ihre Verantwortung besinnen und massivem Druck auf Israel ausüben. Nur so kann Premier Olmert vom Kriegskurs abgebracht werden.

Von Judith Bernstein
Süddeutsche Zeitung, 01.08.2006          
http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/833/81752/

Judith Bernstein ist Mitglied der "Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost". Die deutsche Sektion der "European Jews for a Just Peace" hat Mitglieder in mehreren deutschen Städten.
 
Nur ein souveräner lebensfähiger Staat Palästina kann die Existenz des Staates Israel in Frieden dauerhaft garantieren. Wenn dieser nicht weiterhin als Fremdkörper in der Region wahrgenommen werden soll, müssen aus der blutigen Konfrontation mit der Hisbollah entsprechende Konsequenzen gezogen werden.

Ein Ende des asymmetrischen Verhältnisses der Palästinenser zu den Israelis würde auch ein Ende der asymmetrischen Gewalt nach sich ziehen. Die Geschichte Israels und Palästinas belegt seit 1948 unmissverständlich: Durch Krieg und Zerstörung kann ein dauerhafter Frieden nicht erzielt werden, vielmehr haben sie den Menschen neues Leid und neuen Hass gebracht.

In Israel haben die Militärs über die Politik gesiegt, in Beirut ist die Regierung zur Kontrolle jener Kräfte zu schwach, die sich seit den achtziger Jahren wie ein Staat im Staat aufführen.

Gegenwärtig scheinen sich beide Seiten ihres Erfolgs so sicher zu sein, dass sie Aufforderungen missachten, die Verbindlichkeiten der Genfer Konvention einzuhalten. Premier Ehud Olmert hat mit flächendeckenden Bombardements seine Ankündigung auf grausame Weise wahr gemacht, die zwei am 12. Juli entführten israelischen Soldaten zu befreien und die Terrorstrukturen der "Partei Gottes" zu zerschlagen.

Ohne die Intervention der Regierungen der Völkergemeinschaft drohen die gegenwärtigen Kriegshandlungen Israels zu einem Flächenbrand mit Auswirkungen auf die gesamte Region zu eskalieren.

Die israelische Politik nach dem Junikrieg 1967 hat die gesamte arabische und islamische Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Wie in einem Brennglas spiegeln sich im Konflikt mit den Palästinensern jene Probleme wider, von denen die Region heimgesucht wird.

Die territorialen, ethnischen und religiös-kulturellen Gärungen haben hier einen Dreh- und Angelpunkt, der aktive Intervention verdienen würde. Ohne die systematische Siedlungspolitik gäbe es keine Hamas und ohne den israelischen Libanon-Krieg von 1982 keine Hisbollah.

Während sich die Diplomatie von einer Enttäuschung zum nächsten Fehlschlag schleppt, erreicht der Krieg zahllose libanesische, israelische und palästinensische Städte und Ortschaften.

Abschreckungspolitik hat Hisbollah und Hamas gestärkt

Solange die Regierungen vor allem die Unverhältnismäßigkeit der militärischen Angriffe auf Wohnviertel und lebenswichtige Einrichtungen beklagen, statt die allseits bekannten Ursachen aufzurollen, ist ein Frieden unerreichbar.

Olmert hat wie sein Amtsvorgänger Ariel Scharon erwartet, dass ihm der Abzug aus dem Gaza-Streifen eine lange Verschnaufpause verschaffen würde.

Diese Hoffnung hat sich zerschlagen, weil sein Plan eines Teilrückzugs aus der Westbank faktisch in weitläufige Annexionen mündet. Sie würden einen souveränen Staat Palästina auf einem geschlossenen Territorium verhindern.

Die Fortsetzung israelischer Angriffe im Gaza-Streifen und in der Westbank, denen täglich neben angeblichen "Terroristen" viele Frauen, Kinder und Zivilpersonen zum Opfer fallen, wird von der Öffentlichkeit als unvermeidlicher Kollateralschaden kaum mehr registriert.

Die Abschreckungspolitik Israels hat mit den Jahren die Hisbollah und Hamas nur gestärkt. Guerillakämpfer sind durch mächtige Armeen nicht zu besiegen. Es werden neue Anläufe für einen umfassenden Frieden in der Region dringender denn je gebraucht.

Die Zeit drängt. Eine Beilegung der Feindseligkeiten und eine vertragliche Übereinkunft für eine dauerhafte Lösung hängen maßgeblich davon ab, dass die Regierung Israels ihre Weigerung aufgibt, mit der gewählten Regierung Palästinas zu verhandeln und auf die friedliche Koexistenz auf der Grundlage nationalstaatlicher Ebenbürtigkeit in den Grenzen von 1967 zuzusteuern und für den Interessenausgleich mit den arabischen Anrainerstaaten zu sorgen.

Der Hauptdruck der internationalen Gemeinschaft muss daher gegen Israels Politik gerichtet sein, die unter Missachtung einschlägiger Bestimmungen des internationalen Rechts allein auf militärische Gewalt setzt. Die Staatengemeinschaft muss sich auf ihre Verantwortung besinnen, damit Israels Regierung vom Pfad der Konfrontation abrückt - notfalls mit Sanktionen.

Der Aufbau der Vereinten Nationen nach der Niederschlagung der Naziherrschaft 1945, die UN-Charta und das Regelwerk des Völkerrechts verfolgten den Zweck, die Herrschaft eines Volkes über ein anderes zu verhindern und es vor Unterdrückung zu bewahren. Die Territorialgrenzen sollen im international verbürgten Geltungsbereich respektiert werden.

Diese Errungenschaften im Völkerverkehr werden preisgegeben, wenn die Staatengemeinschaft zwar die Hisbollah auf die UN-Resolution 1559 verpflichtet, aber gegenüber Israel davon absieht, auf die Anerkennung aller bisher verabschiedeten UN-Resolutionen zu dringen.

Die Bundesregierung bekennt sich zur Besonderheit der Beziehungen zu den fünf Millionen Juden in Israel. Statt sich in Europa als Bremser zu betätigen und Waffen an Israel zu liefern, schließt diese Selbstverpflichtung auch konstruktive Beiträge zum Schutz der palästinensischen Bevölkerung ein.

Einseitige Konzentration auf Gewalt ist verhängnisvoll

Die in zehn Staaten tätigen Gruppierungen "European Jews for a Just Peace" haben frühzeitig vor der Illusion gewarnt, dass der Frieden allein durch diktierte Forderungen an die Palästinenser erreicht werden kann. Deshalb halten ihre Mitglieder die einseitige Konzentration auf das Mittel der Gewalt für verhängnisvoll.

Da auch die Mitglieder der "European Jews for a Just Peace" in Deutschland Verwandte und Angehörige in Israel haben, unterstützen sie die dortigen Gruppen der Friedensbewegung. Aus Sorge um die Zukunft des Staates und seiner Bevölkerung sind diese Gruppierungen grundlegend anderer Auffassung als die hiesigen jüdischen Gemeinden.

Sie widersprechen ganz deutlich jenen Behauptungen, die anscheinend in blinder Gefolgschaft auf die Politik der israelischen Regierung setzen. Die plurale deutsche Gesellschaft schließt unterschiedliche Meinungen ein; deshalb kann niemand im Namen aller Juden sprechen.

Erfolgt Israels Abkehr vom Konfrontationsdenken zu spät, wird das Tor zu einer dauerhaften Regelung endgültig zugeschlagen. Mehr noch: Die friedliche Zukunft der beiden Staaten Israel und Palästina bietet die Chance, dass es in anderen Teilen des Nahen Ostens zur Beruhigung innenpolitischer Konflikte kommt, denn Palästina ist heute für alle arabischen Völker des Nahen Ostens zum Symbol der Unterdrückung geworden.

(SZ vom 1.8.2006)