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Libanon unter Bombenterror

Israel führt einen Krieg der USA. Libanesischer Widerstand eröffnete Chance einer dauerhaften Friedenslösung. Internationales Tribunal gegen Kriegsverbrecher gefordert

Von Klaus von Raussendorff

Aus: „Freidenker“ 3/06, der Zeitschrift des Deutschen Freidenker-Verbandes (erscheint im August 2006)

Am Mittwoch, den 12. Juli 2006, unternahm eine Guerilla-Einheit der Hisbollah an der Grenze zwischen Israel und Libanon einen Angriff auf zwei gepanzerte Fahrzeuge der israelischen Armee. Drei israelische Soldaten wurden getötet, zwei wurden gefangen genommen. Wenige Stunden später erklärte der Chef der Hisbollah, Scheich Hassan Nasrallah, auf einer Pressekonferenz als Ziel der Aktion die Herbeiführung eines Gefangenenaustausches, bei dem die beiden gefangenen israelischen Soldaten gegen libanesische Gefangene, ausgetauscht werden sollen, die seit langem in israelischer Haft sind. Nasrallah erklärte, „er wünsche nicht, die Region in einen Krieg hineinzuziehen.“ Und er fügte hinzu, dass „unsere gegenwärtige Zurückhaltung nicht durch Schwäche bedingt ist … Falls sie (die Israelis) sich auf eine Konfrontation einlassen wollen, müssen sie auf Überraschungen gefasst sein.“

In der Vergangenheit sind zwischen Israel und der Hisbollah mehrfach Gefangene ausgetauscht worden. Doch in scharfem Kontrast zu früheren israelischen Reaktionen auf Grenzgefechte mit der Hisbollah entschloss sich die israelische Regierung noch am selben Tag zu einer massive Offensive gegen den Libanon. Das Kabinett unter Premierminister Ehud Olmert entschied „einhellig“, dass die libanesische Regierung, der die Hisbollah angehört, für den Angriff verantwortlich gemacht werden solle. Gegen 21 Uhr 50 desselben Tages hatte Israel bereits Brücken in der Mitte Libanons angegriffen. Unmittelbar darauf startete die Hisbollah ihre Raketen-Angriffe auf den Norden Israels. Gegen Morgen des folgenden Tages flog die libanesische Luftwaffe ihren ersten Angriff auf Beirut und zerstörte den internationalen Flughafen. Bereits innerhalb der ersten Stunden des Krieges waren auf libanesischer Seite mehr als 90 zivile Todesopfer zu beklagen. Zwei Israelis starben bei den ersten Raketen-Angriffen der Hisbollah. Danach stiegen die Opferzahlen von Tag zu Tag weiter an.

„Schock und Schrecken“-Strategie

Doch auch nach vier Wochen der „Schock und Schrecken“-Strategie, wie 2003 von den USA gegen Irak vorexerziert und von Israel gleichfalls seit Anfang Juni gegen Gaza praktiziert, hat auch im Libanon das Wüten der völkermörderischen Hochtechnologie nichts gebracht als Tod, Leid, Vertreibung und Zerstörung. Die israelische Armee, die 1967 in sechs Tagen die Armeen mehrerer arabischer Staaten überrannte, hat bei ihrem Einmarsch in den Südlibanon gegen die Guerilla-Armee des Libanon bisher kaum Geländegewinne erzielen können. Von der vollmundig angekündigten Entwaffnung oder gar totalen Vernichtung der Hisbollah kann keine Rede sein. Nun soll die „internationale Gemeinschaft“ mit einer Eingreiftruppe die Kastanien für die Kriegsbrandstifter aus dem Feuer holen. „Israel wird den Kampf einstellen, wenn die internationale Streitmacht im Süden des Libanon präsent sein wird,“ erklärte der israelische Premierminister Ehud Olmert am 2. August. Denn, so Olmert weiter: „Wir können vorher nicht aufhören, denn wenn es dort nicht die Präsenz einer sehr wirkungsvollen und robusten internationalen militärischen Kraft gibt, dann wird die Hisbollah dort sein, und wir werden nichts erreicht haben.“ Die schlichte Wahrheit sei, so der israelische Friedensaktivist Uri Avnery, „dass bis zum 22. Tag des Krieges nicht ein einziges militärisches Ziel erreicht wurde.“ Präsident Bush sei, Medienberichten zufolge frustriert, weil die israelische Armee bisher nicht „geliefert“ hat, was von Washington bestellt wurde. „Bush hat sie in den Krieg geschickt,“ so Avnery, „weil er glaubte, dass die mächtige Armee, mit den neuesten amerikanischen Waffen ausgestattet, in ein paar Tagen ‘den Job erledigen’ werde. Sie sollte die Hisbollah ausschalten, Libanon den Strohmännern der USA übergeben, Iran schwächen und vielleicht die Möglichkeit eines ‘Regimewechsels’ in Syrien eröffnen. Kein Wunder, dass Bush wütend ist.“

Die Außenministerin der USA wollte am Sonntag, den 30. Juli, zu Gesprächen nach Beirut fliegen. Doch der libanesische Premierminister Fuad Siniora sagte den Besuch ab. Es gebe nichts zu besprechen, bevor nicht ein Waffenstillstand eingetreten sei, teilte er Condoleezza Rice lakonisch mit: „Sie rief mich heute morgen an, und ich sagte ihr, dass jetzt endlich der Zeitpunkt gekommen ist, einen Waffenstillstand zu verkünden.“ Um 7 Uhr morgens desselben Tages hatte die israelische Armee in dem Dorf Kana ein Haus bombardiert und dabei 57 Zivilpersonen, darunter mindestens 27 Kinder, ermordet. Die Weltöffentlichkeit war empört. Israel musste eine Pause des Luftterrors ankündigen, die es jedoch nicht einhielt.

Die Konferenz von Rom

Die Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Verbündeten hoffen weiterhin die Früchte zu ernten, die ihnen die israelische Armee bisher nicht „liefern „ kann. Daher soll über eine vom Westen kontrollierte Eingreiftruppe verhandelt werden. Noch bei dem G8-Gipfel in Sankt Petersburg (16.-19. Juli) war der US-amerikanische UNO-Botschafter John Bolton nicht bereit, über eine multilaterale Truppe zu reden, geschweige denn über einen Waffenstillstand. Doch dann am 15. Tag des Krieges sollte auf der internationalen Konferenz, die am 26. Juli in Rom stattfand, nach dem Willen der USA und ihrer europäischen Lakaien über nichts anderes geredet werden als über eine imperiale Besatzungstruppe, wie sie die NATO bereits in Kosovo, Afghanistan und Sudan im Einsatz hat. Mit nicht zu überbietender zynischer Grausamkeit lehnten nicht nur Condoleezza Rice sondern auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeyer die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand ab. Die Militärmaschinerie Israels sollte noch mehr Zeit bekommen, die libanesische Bevölkerung zur Geisel ihres Bombenterrors zu machen. Der Libanon sollte für eine imperialistische „Friedens“-Lösung reif gemacht werden. UN-Generalsekretär Kofi Anan hatte am 17. Juli vorgeschlagen, die UN-Beobachtermission zu verstärken. Diese  2000 Mann starke United Nations Interim Force for Lebanon (UNIFIL) ist seit 1978 im Süden Libanons stationiert. Sie überwacht die Grenze und das Gebiet, aus dem sich die israelische Armee nach 18jährigem Widerstandskampf der Hisbollah im Mai 2000 zurückziehen musste. Seither ist es immer wieder zu israelischen Übergriffen gekommen, die in der Regel eine unverzügliche militärische Antwort der Hisbollah provozierten. Die Armee Israels begann nach Äußerungen israelischer Wissenschaftler (Tanya Reinhart, Gerald Steinberg) schon unmittelbar nach ihrem Rückzug einen neue Invasion zu planen. UNO-Generalsekretär Kofi Anan schlug nun vor, eine verstärkte UNIFIL solle der libanesischen Regierung helfen, „die Frage der Entwaffnung der Miliz zu regeln.“ Doch just am Vortag der Konferenz von Rom griffen die Israelis einen Posten von UNIFIL an. Vier UN-Blauhelme mussten ihr Leben lassen. Der Verbindungsoffizier von UNIFIL zur israelischen Armee hatte laut BBC die Israelis sechsmal gewarnt, dass ihre Bombardierungen, „das Leben des Personals der UNO gefährden“. „Schockiert“ erhob sich Kofi Anan beim Eintreffen der Nachricht von dem Tisch, an dem er gerade mit Condoleezza Rice und dem libanesischen Premierminister Fuad Siniora zu Abend speiste. Später erklärte Anan öffentlich, Israel habe dieses Ziel anscheinend „vorsätzlich“ getroffen. Damit wollte er wohl nicht nur seiner Empörung Ausdruck verleihen sondern vermutlich auch zu verstehen geben, dass mit dem Anschlag nach seiner Meinung die Absicht verfolgt wurde, seinen Vorschlag einer echten nicht-kämpfenden UN-Friedenstruppe zu desavouieren.

Die Rom-Konferenz war insofern bemerkenswert, als sie einige neue Faktoren der Mittel-Ost-Politik veranschaulichte. Erstens hat die Agenda der Bush-Regierung für die Umgestaltung des Mittleren Ostens, die im Irak ins Stocken geraten ist, dazu geführt, dass Israel als regionaler Verbündeter der USA noch aggressiver auftritt, dabei allerdings durchaus ein eigenes israelisches „Mittel-Ost-Programm“ (Tanya Reinhart) verfolgt. Zweitens erhebt auch die EU verstärkt Anspruch auf Einmischung in der Region. Drittens folgen daraus deutliche strategische Differenzen und Spannungen zwischen USA und Europa. Und schließlich schälte sich bei der Konferenz als gemeinsamer Nenner der imperialistischen Politik heraus, mit beispielloser Einseitigkeit Hisbollah allein und ausschließlich für den Krieg verantwortlich zu machen.

Die Sicherheitsratsresolution 1559

Mit seinem Vorschlag, UNIFIL solle bei der „Entwaffnung“ der Hisbollah „helfen“, befand sich Kofi Anan durchaus im Einklang mit der von Washington und Paris ausgeheckten völkerrechtswidrigen Sicherheitsratsresolution 1559 vom 2. September 2004. Diese Resolution hat zum Ziel, den Libanon wehrlos zu machen. Sie soll der westlichen Einmischung im Libanon (und Syrien) den Schein der UNO-Legitimität verschaffen. Sie fordert erstens den Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon. Dieser erfolgte bekanntlich im April letzten Jahres nach der Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar 2005. Nahezu einhellig wurde Syrien in den westlichen Medien für die Tat verantwortlich gemacht. Die Meinungen in der arabischen Welt sind wie meist - dank geringerer medialer Idiotisierung - differenzierter. Für die Beschuldigung syrischer Täter, geschweige denn der Regierung von Präsident Assad gibt es bis heute keine Beweise. Der Verdacht könnte genauso gut oder noch eher auf jene fallen, die aus dem feigen Mord an Hariri politisches Kapital geschlagen haben, um die Ziele der Resolution 1559 durchzusetzen. Rafik Hariri, der Chef eines global operierenden Konzerns, war eine nationale Integrationsfigur. Nach einem Wort von Hassan Nasrallah war Hariri „Mr. Libanon“. Ihn zu beseitigen, bedeutete das Land zu destabilisieren. Daran konnte Syrien, das an seiner Ostgrenze bereits durch die Instabilität im Irak bedroht war, nicht das geringste Interesse haben. Ferner war Hariri in gewisser Weise ein Garant des französischen Einflusses im Libanon. Die durch den Mord ausgelösten antisyrischen Proteste im Libanon wurden im Westen zu einer „Zedernrevolution“ hochgejubelt, ein im Libanon gänzlich ungebräuchlicher Ausdruck. Fast unbeachtet blieben im Westen die über eine Million Libanesen, die zu einer von Hisbollah und anderen patriotischen Formationen organisierten Massendemonstration für ein freundschaftliches Verhältnis zu Syrien und gegen ausländische Bevormundung auf die Straße gingen. Der Versuch, die libanesische Politik in eine Frontstellung gegen Damaskus zu manövrieren, war in den letzten zwölf Monaten völlig gescheitert. Noch weniger konnte es zweitens mit der Resolution 1559 gelingen, den Hisbollah-Kämpfern durch libanesische Strohmänner die Waffen zu entwenden, mit denen sie die Heimat von der israelischen Besatzung befreit hatten. Die „Waffen des Widerstands“ sind etwas wesentlich anderes als das frühere Bürgerkriegsarsenal libanesischer Clan-Gruppen, das ihnen von den Syrern dankenswerterweise weitgehend abgenommen wurde. Die Sicherheitsratsresolution 1559 spricht von der Entwaffnung von „Milizen“. Damit sind nach dem US-amerikanischen Diktat im Sicherheitsrat der bewaffnete Arm der Hisbollah gemeint (sowie die bewaffneten palästinensischen Gruppen, die vor allem dem Schutz der etwa 400.000 Flüchtlinge in libanesischen Lagern dienen, die die israelisch-maronitischen Massaker von Sabra und Shatila nicht vergessen haben). Eine idiotisierte Medienöffentlichkeit halluziniert die Fata Morgana des staatlichen Gewalt-„monopols“ als Rechtfertigung ausländischer Einmischung, also das genaue Gegenteil wirksamer demokratischer Legitimierung staatlicher Gewalt und deren strikter Bindung an nationales und internationales Recht. Die libanesische Politik steht in dieser Hinsicht auf einem höheren Niveau politischer Kultur als die in den Kernländern des Imperialismus grassierende Interventionsideologie. Der im Februar d. J. eingeleitete  „Nationale Dialog“ der 14 maßgeblichen politischen Formationen des Libanon hat in bisher acht Verhandlungsrunden zu der schwierigen Frage einer nationalen Verteidigungsstrategie noch keine Einigung gebracht. Aber Konsens ist: Was mit den Waffen der Hisbollah geschieht, wie sich die Guerilla des Widerstands und die reguläre libanesische Armee zu einander verhalten, ist allein eine innere Angelegenheit der libanesischen Politik. Diese Position findet selbstverständlich auch die Unterstützung der Kommunistischen Parteien des Libanon, Syriens und Jordaniens. Nach Gesprächen in diesen Ländern erklärte die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands, Aleka Papariga, kürzlich: „Die Frage der Grenzen der Zuständigkeit der libanesischen Armee ist eine innere Angelegenheit und ob im Süden des Libanon die Hisbollah ist oder die libanesische Armee ist eine Angelegenheit, die auf innenpolitischer Ebene zu diskutieren ist.“

Hisbollah

Die „Partei Allahs“ ist die stärkste Partei des Libanon. Sie ist in Parlament und Regierung vertreten. Sie ist nach 1982 im Kampf gegen die israelische Besatzungsmacht entstanden. Soweit sie in diesem Befreiungskampf Märtyrer-Attentäter einsetzte, richteten sich diese gegen das Militär der Okkupanten. (Robert Pape in The Guardian v. 6.8.06). Hisbollah hat als Weltanschauungsgemeinschaft ihre Wurzeln im schiitischen Islam. Sie unterscheidet sich von solchen schiitischen und sunnitischen Kräften, die einen Scharia-Staat oder ein supranationales Kalifat anstreben. Was jene antidemokratischen, panislamistischen, fundamentalistischen Strömungen und Kräfte im Islam zusammenhält und aktiviert ist die Ideologie und das Geld des US-Verbündeten Saudi Arabien wie auch die mehrfach nachgewiesene Infiltration westlicher Dienste. Hisbollah dagegen ist eine etablierte Partei der libanesischen Demokratie. Ihre soziale Basis, die schiitische Bevölkerung, die etwa 40 Prozent ausmacht und überwiegend zu den ärmeren Schichten zählt, ist nicht nur im Süden und in den südlichen Stadtteilen Beiruts konzentriert sondern über das ganze Land verstreut. Insofern ist Hisbollah eine „nationale“ Partei. Im Prozess der Überwindung des Konfessionalismus und Partikularismus der libanesischen Politik spielt Hisbollah eine führende Rolle. Insofern ist sie ein wichtiges Element der demokratisch fortschrittlichen Entwicklung im Libanon. Ihr Führer, Scheich Hassan Nasrallah, ist eine Schlüsselfigur der libanesischen Politik, dessen persönliche Integrität unbestritten ist. Nasrallah ist zugleich ein libanesischer Patriot und ein überzeugter Anhänger der Einheit der arabischen Völker. Hisbollah hat öffentlich erklärt, von Syrien und Iran militärisch unterstützt zu werden. Aber Nasrallah agiert aber als Vertreter libanesischer Interessen unabhängig und eigenständig.

Im Februar diesen Jahres verständigte sich Nasrallah mit Michel Aoun, dem Chef der „Freien Patriotischen Kräfte“, der stärksten Formation des ansonsten zerfallenen „christlichen Lagers“ über wichtige Fragen, wie die Beziehungen zu Syrien, die Notwendigkeit einer nationalen Verteidigungsstrategie und die Ablehnung ausländischer Einmischung. Aoun war lange Jahre der entschiedenste Gegner des syrischen Einflusses im Libanon war. Auch er ist ein libanesischer Patriot, auch er will den Konfessionalismus überwinden. Dass im Verhältnis zu Hisbollah aus kommunistischer Sicht „ernste Meinungsverschiedenheiten“ bestehen, wird von Aleka Papariga nicht verschwiegen. Aber, so die führende griechische Kommunistin, „Echte Solidarität, die den Völkern des Libanon und Palästinas jetzt erwiesen werden muss, besteht darin, die Gründe des Krieges offen zu legen und zu verurteilen und eine Feuereinstellung einzig und allein von den Führern Israels zu verlangen, denn sie sind für diesen Krieg verantwortlich. „ Internationalistische Solidarität zeigte auch Noam Chomsky, eine Leitfigur der Linken weltweit, als er Nasrallah am 13. Mai in seinem Beiruter Hauptquartier besuchte. „Ich denke,“ erklärte Chomsky anschließend bei einer Pressekonferenz, „Nasrallah hat vernünftige und überzeugende Gründe, dass sie (die Waffen) in den Händen von Hisbollah sein sollten.” Kriegspolitiker hoffen natürlich, dass andere Teile der Friedensbewegung wieder einmal zu den sich verteidigenden arabischen Opfern der Aggression auf gleiche Distanz gehen wie zu den amerikanisch-israelischen Aggressoren. So entblödete sich der für die Berliner Polizei zuständige Innensenator Körting (SPD) nicht, Bilder Hassan Nasrallahs, des in der arabischen Welt angesehendsten Politikers, bei einer Demonstration zu verbieten.

Ein von langer Hand geplanter Krieg

Die pro-westlichen Kräfte im Libanon stellten nach den anti-syrischen Protesten und der Wahl im letzten Sommer den Premierminister, doch das komplizierte und auf seine Art demokratische Proporzsystem des Libanon funktioniert in entscheidenden Fragen meist nach dem Konsensprinzip. Die so genannten „Kräfte des 14. März“ (des Tages der anti-syrischen Demonstration) haben bis heute weder ein gemeinsames Programm, noch verfolgen sie eine gemeinsame Strategie. Wichtige Politiker des Landes wie Staatspräsident Emil Lahoud und Parlamentssprecher Nabil Berri sowie der Verteidigungsminister, der Außenminister, der Armeechef (ganz abgesehen Hassan Nasrallah und Michel Aoun) sind keineswegs bereit, nach der Pfeife Washingtons zu tanzen. Die Bush-Regierung trug selbst dazu bei, ihre libanesischen Freunde zu unterminieren. Sie verzögerte eine internationale Konferenz zur dringend notwendigen Konsolidierung der Schuldenlast des libanesischen Staates. Sie stellte der libanesischen Regierung mit der Forderung nach Entwaffnung der Hisbollah eine Bedingung, die sie einfach nicht erfüllen konnte.

Vor diesem Hintergrund, d.h. »Vor über einem Jahr begann ein höherer israelischer Armeeoffizier, US-Beamten und anderen, sowie Journalisten und Think Tanks einige nicht für die Öffentlichkeit bestimmte PowerPoint-Vorführungen zu präsentieren, die den Plan für die jetzige Operation in aufschlussreichen Details inszenierten.«, enthüllte der San Francisco Chronicle vom 21. Juli in einem Bericht seines Jerusalem-Korrespondenten Matthew Kallman. Unter der Überschrift „Israel unterbreitete Kriegsplan schon vor über einem Jahr. Die Strategie wurde in Gang gesetzt, als Hisbollah im Libanon an militärischer Stärke gewann“ berichtete Kallman, dieser namentlich nicht genannte Offizier habe Planungen für eine »dreiwöchige Kampagne« gegen Libanon vorgestellt. Später waren derartige Pläne nach Recherchen des US-amerikanischen Journalisten Wayne Madsen dann auch Gegenstand politischer Gespräche beim Weltforum, das vom neokonservativen American Enterprise Institute wie jedes Jahr am 17. und 18. Juni 2006 in Beaver Creek veranstaltet wurde. Der Likud-Führer Benjamin Netanjahu und der US-Vizepräsident Dick Cheney hätten sich lange darüber im Beisein von Richard Perle und Nathan Sharansky unterhalten. Das grüne Licht vom Weißen Haus sei in den Tagen danach erfolgt. Was immer an diesen Berichten „dran“ ist, schon die Art des israelischen und US-amerikanischen Vorgehens musste jeden unvoreingenommenen Beobachter zu der Überzeugung gelangen lassen, dass dieser Krieg von langer Hand vorbereitet wurde.

Terror als Auftakt zum Krieg

Zur unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges gehört ein Terroranschlag. Am 26. Mai ermordete eine vom Mossad geführte libanesische Terrorgruppe in Sidon den Jihad-Führer Mahmoud Majzoub und seinen Bruder mit einer Autobombe. Der Chef der Gruppe, der Libanese Mahmoud Rafeh wurde knapp einen Monat später vom Geheimdienst der libanesischen Armee gefasst. Er gestand, den Mord im Auftrag des israelischen Geheimdienstes verübt zu haben. (London Times v. 17.6.06 und junge Welt v. 19.6.06) Aufgrund früherer Gefechte an der israelischen-libanesischen Grenze musste den Israelis klar sein, dass der israelische Mordanschlag durch die Hisbollah beantwortet werden würde. Am 28. Mai feuerte die Guerilla Katusha-Raketen auf ein israelisches Militärfahrzeug und auf eine israelische Militärbasis unweit der Grenze. Israel antwortete mit Luftschlägen gegen palästinensische Flüchtlingslager tief im Innern Libanons, was wiederum von Hisbollah mit Raketen- und Mörser-Angriffen auf weitere israelische Militärstützpunkte beantwortet wurde. Darauf folgten weitere israelische Luftschläge und „ein Artilleriedauerfeuer auf vermutete Hisbollah-Stellungen“ (NYT v. 29.5.06). Dies sei „die härteste und schärfste Antwort seit dem Rückzug“ der israelischen Truppen aus dem Libanon gewesen. So der kommandierende General Udi Adam. (Chikago Tribune v. 29.5.06) Auch der Angriff der Hisbollah, bei dem die beiden israelischen Soldaten gefangen genommen wurden, ist allem Anschein nach von Israel provoziert worden. Die „gekidnappten“, deren „Befreiung“ im ersten Augenblick als angeblicher Kriegsgrund herhalten musste, waren offenbar Mitglieder einer Kommandoeinheit im gezielten Einsatz auf libanesischem Gebiet. Sie wurden nach Angaben der libanesischen Polizei laut Presseberichten gefangen genommen, als sie in die libanesische Grenzstadt Aitaa al-Chaab eindrangen. Gleichzeitig sei die israelische Luftwaffe über Südlibanon aktiv gewesen. Kampfflugzeuge hätten Straßen nach der libanesischen Stadt Nabatiye, 60 Kilometer südlich von Beirut, bombardiert.

Libanesischer Sieben-Punkte-Plan

Die Libanesische Regierung lehnt einen Waffenstillstand ab, der nur neue Aggression und Einmischung zur Folge haben würde. Premierminister Siniora präsentierte die wichtigsten Elemente einer tragfähigen Lösung bereits der Konferenz von Rom. Sein 7-Punkte-Plan für einen für einen Waffenstillstand enthält folgende Punkte: Gefangenenaustausch, Rückzug der israelischen Truppen hinter die Demarkationslinie, Rückkehr der vertriebenen Zivilbevölkerung, Rückzug Israels aus Shebaa-Farmen (dem 1967 von Israel besetzten etwa 25 Quadratkilometer großen Gebiet, das zu Libanon gehört und nicht, wie Israel behauptet, zu Syrien), die vorübergehend unter UNO-Kontrolle gestellt werden sollen, Erstreckung der Regierungshoheit auf ganz Südlibanon, Verstärkung der bestehenden UN-Beobachtermission im Süden Libanons, Wiederbelebung des israelisch-libanesischen Waffenstillstandsabkommens von 1949, Wiederaufbau des Südens.

Der Plan von Siniora fand am Tag nach der Rom-Konferenz die Zustimmung des von einer großen Koalition gebildeten libanesischen Kabinetts. Die drei Hisbollah-Minister hatten zunächst erklärt, der Plan verpflichte allein den Premierminister. Doch nach sechsstündiger Diskussion kam es dann zu einer Einigung. Die „Partei Allahs“ bewies einmal mehr ihren politischen Pragmatismus und schloss sich den Grundlinien der Position von Siniora an. Sie blieb jedoch in wesentlichen Punkten fest. Um jeder Form von ausländischer Einmischung vorzubeugen, bestand Hisbollah- auf zwei „fundamentalen Vorbehalten“, wie der Abgeordnete der Partei, Hussein Hajj Hassan, dem französischen „Figaro“ (v. 29.7.06) erklärte. Der erste Vorbehalt betrifft die Natur des Mandats der internationalen Truppe, die der Premierminister vorgesehen hat. Der zweite bezieht sich auf die Shebaa-Farmen. Diese will die Hisbollah, ohne die Zwischenphase einer UNO-Verwaltung unmittelbar wieder libanesischer Hoheit unterstellen. „Unsere militärische Position ist sehr stark,“ so der Abgeordnete, „in diesem Augenblick werfen wir gerade zehn israelische Panzer bei Bint J’beil zurück. Resignieren kommt nicht infrage.“

Premierminister Siniora bestätigte in einem Interview (L’Orient v. 4.8.06) erneut, dass sein Plan die Unterstützung des Ministerrates bekommen habe (einschließlich der drei Hisbollah-Minister). Außerdem sei diese Position von dem Gipfeltreffen der religiösen Führer des Libanon bestätigt worden. „Die Zivilgesellschaft und die gewerkschaftlichen Organisationen haben dem Sieben-Punkte-Plan zugestimmt,“ so der Regierungschef. Nach einer elektronischen Meinungsumfrage der libanesischen Zeitung „L’Orient“, einem Sprachrohr der liberal-konservativen, christlichen, pro-westlichen Kräfte, haben sich 56 Prozent der Befragten (mehr als 40.000 Abstimmende) gegen „einen unmittelbaren Waffenstillstand ohne eine dauerhafte Lösung“ ausgesprochen. „Wir haben eindeutig erklärt,“ bekräftigte Siniora, „dass wir keine Streitkräfte der NATO wollen, und noch weniger eine multilaterale Truppe unter den Fahnen der jeweils teilnehmenden Länder. Wir sind für eine Truppe der Vereinten Nationen, die nicht aufgrund von Kapitel 7 der UNO-Charta mandatiert ist“ (das militärische und andere Zwangsmaßnahmen gestattet). Vielmehr wünscht Siniora eine UNO-Truppe, die „sich verteidigen kann“ und die „unter Kapitel 6“ der UNO-Charta agiert. (das friedliche Streitschlichtung) vorsieht. Seine Ablehnung des im Sicherheitsrat kursierenden französischen Vorschlag kleidete er delikater Weise in die Form einer Brüskierung des iranischen Außenministers Manouchehr Mottaki. Dieser hatte ihm angeblich im Einklang mit der Position Teherans geraten, von seinem Plan zunächst sechs Punkte zurückzustellen und zunächst nur einen Waffenstillstand anzustreben. Vor dem Hintergrund des Tauziehens um eine Sicherheitsratsresolution erfolgte zu Beginn der fünften Kriegswoche noch einmal eine Steigerung des israelischen Lufterrors, der sich insbesondere gegen Brücken richtete, d.h. gegen die Versorgung der Bevölkerung. Auch wurden vermehrt christliche Wohngebiete angegriffen. In welcher Absicht?

„Die Israelis müssen einen Verhandlungsprozess akzeptieren,“ forderte Michel Aoun in einem Interview mit Le Figaro (4.8.06) Wie Aoun, aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Präsidenten, zum Einsatz einer multilateralen Streitmacht steht, wollte der Figaro wissen: „Ich bin total dagegen. Diese Truppe würde gar nichts stabilisieren, sondern im Gegenteil einen neuen Krieg auslösen. Das wäre eine Besatzungsstreitmacht, um die Hisbollah zu bekämpfen und die Sicherheit Israels zu gewährleisten. Aber das lässt die Hisbollah nicht mit sich machen.“ Und Aoun fügt hinzu: „Das würde die Gefahr eines Bürgerkrieges erhöhen. Die Hisbollah würde sich verteidigen. Was machen dann die Libanesen? Die einen würden dafür, die anderen dagegen Partei ergreifen.“ Seit 50 Jahren nehme Israel bei Problemen mit seinen Nachbarn Zuflucht zu derselben Logik, derjenigen der Gewalt. Hisbollah könne die israelische Armee nicht ausschalten, die aber wiederum Hisbollah nicht ausmerzen könne. Am Ende leide nur die Zivilbevölkerung, so der ehemalige Armeechef. Und Aoun fügt hinzu: „Deshalb fordere ich die Schaffung eines internationalen Tribunals, das die verantwortlichen Israelis für die Kriegsverbrechen gegen Hunderte von unter ihren Bomben gestorbenen Libanesen zur Verantwortung zieht.“

Abgeschlossen am  5. August 2006