Israels Massenvernichtungswaffen: eine Bedrohung des Friedens

John Steinbach (Marxistische Blätter Mai/2002)

«Sollte im Nahen Osten wieder ein Krieg ausbrechen ... oder sollte irgendeine arabische Nation Israel mit Raketen beschießen, wie es die Iraker taten, wäre eine nukleare Eskalation, die früher undenkbar war – außer als ultima ratio – jetzt eine ernstzunehmende Möglichkeit» Seymour Hersh

«Die Araber mögen das Öl haben – wir haben die Zündhölzer.» Ariel Scharon

Mit 200 bis 500 Kernwaffen und einem hochentwickelten Trägersystem hat Israel ohne Aufsehen Großbritannien vom Platz fünf der großen Atommächte der Welt verdrängt und kann jetzt mit Frankreich und China rivalisieren, was Art und Entwicklungsgrad des Kernwaffenbestandes betrifft. Obgleich ein Nuklear-Winzling verglichen mit den USA und Russland, die beide mehr als 10.000 Kernwaffen besitzen, ist Israel eine große Nuklearmacht und sollte als solche in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Seit dem Golfkrieg 1991 wurde zwar der Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen große Aufmerksamkeit geschenkt, der Hauptschuldige in der Region aber, nämlich Israel, wird weitgehend ignoriert. Israel als Besitzer chemischer und biologischer Waffen, eines hochentwickelten Kernwaffenbestandes und mit einer aggressiven Strategie für ihren tatsächlichen Einsatz liefert den größten Antrieb für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen in der Region und bildet eine akute Bedrohung des Friedens und der Stabilität im Nahen Osten. Das Kernwaffenprogramm Israels ist ein großes Hindernis für die Abrüstung und Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen. Israel ist, wie Indien und Pakistan, ein potenzieller nuklearer Brandherd. (Aussichten auf eine wirkliche Nichtweiterverbreitung sind trügerisch, so lange die Kernwaffenmächte auf der Beibehaltung ihrer Bestände bestehen.) Menschen, denen an einer Beendigung der Sanktionen gegen den Irak, an einem gerechten Frieden im Nahen Osten und atomarer Abrüstung liegt, müssen sich entschieden gegen das Kernwaffenprogramm Israels aussprechen.

Geburt der israelischen Bombe

Das israelische Kernwaffenprogramm begann Ende der 40er Jahre unter der Leitung von Ernst David Bergmann, dem «Vater der israelischen Bombe», der 1952 die Israelische Atomenergiekommission gründete. Es war jedoch Frankreich, das den Großteil der frühen Unterstützung für das israelische Nuklearprogramm lieferte. Höhepunkt war die Errichtung von Dimona, einer Fabrik in der Nähe von Bersheba in der Negev-Wüste, mit einem Reaktor, der von Schwerem Wasser gebremst und mit natürlichem Uran betrieben wurde, und einer Plutoniumgewinnungsanlage. Israel hatte von Beginn an einen aktiven Anteil am französischen Kernwaffenprogramm, indem es kritische technische Gutachten lieferte. Das israelische Kernwaffenprogramm kann als ein Ausdruck dieser früheren Zusammenarbeit angesehen werden. Dimona ging 1964 in Betrieb, die Plutonium-Wiederaufbereitung begann kurz danach. Die Israelis behaupteten, Dimona sei «eine Mangananlage oder eine Textilfabrik,» die angewendeten extremen Sicherheitsmaßnahmen erzählten eine ganz andere Geschichte. 1967 schoss Israel eine eigene Mirage-Maschine ab, die Dimona zu nahe kam, und 1973 schoss es ein libysches Zivilflugzeug ab, das vom Kurs abgekommen war, und tötete so 104 Menschen.

Es gibt glaubwürdige Annahmen, dass Israel Mitte der 60er Jahre eine oder vielleicht auch mehrere Kernwaffen in der Negev-Wüste nahe der israelisch-ägyptischen Grenze zündete und dass es sich aktiv an den französischen Atomtests in Algerien beteiligte. Während des «Jom-Kippur-Krieges» 1973 besaß Israel einen Bestand von wahrscheinlich mehreren Dutzend einsatzfähiger Atombomben und ging in volle atomare Alarmbereitschaft.

Im Besitz einer fortgeschrittenen Nukleartechnologie und mit Atomwissenschaftlern der «Weltspitzenklasse», war Israel schon früh mit einem Hauptproblem konfrontiert: der Beschaffung des notwendigen Urans. Israels eigene Uranquelle waren die Phosphatlager in der Negev-Wüste, die aber dem sich rasch erweiternden Programm überhaupt nicht genügten.

Die kurzfristige Antwort war, Kommandounternehmen in Frankreich und Großbritannien zu starten, die erfolgreich Urantransporte entführten und 1968 in Zusammenarbeit mit Westdeutschland 200 Tonnen Uranoxid («Yellowcake») umleiteten. Später wurde diese geheime Beschaffung des Urans für Dimona durch die verschiedenen beteiligten Länder vertuscht.

Es gab auch den Verdacht, ein USA-Unternehmen namens Nuclear Materials and Equipment Corporation (NUMEC) habe von Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre Hunderte Kilo angereichertes Uran nach Israel umgeleitet. Trotz Untersuchungen des FBI und der CIA und Anhörungen im Kongress der USA wurde dafür niemand jemals gerichtlich verfolgt, obwohl die meisten, die dieser Sache nachgingen, annehmen, diese «Umleitung» habe tatsächlich stattgefunden.

In den späten 60ern löste Israel das Uranproblem durch die Entwicklung enger Beziehungen zu Südafrika mit einem quid-pro-quo-Arrangement, wonach Israel mit Technologie und Gutachten die «Apartheid-Bombe» unterstützte, während Südafrika Uran lieferte.

Südafrika und die Vereinigten Staaten

1977 wurden die USA von der Sowjetunion über Satellitenfotos informiert, die auf die Vorbereitung eines Atomwaffentests Südafrikas in der Kalahariwüste hinwiesen. Wegen des ausgeübten Drucks unterließ das Apartheidregime den Test. Im September 1979 entdeckte ein Satellit der USA den Test einer kleinen Atombombe in der Atmosphäre über dem Indischen Ozean vor der Küste Südafrikas. Wegen der offensichtlichen Beteiligung Israels wurde der Bericht rasch durch einen sorgfältig ausgewählten wissenschaftlichen Ausschuss «weißgewaschen», der die wesentlichen Einzelheiten im Dunkeln ließ. Später wurde aus israelischen Quellen bekannt, dass es dort tatsächlich drei sorgfältig abgesicherte Tests israelischer miniaturisierter atomarer Artilleriegranaten gegeben hatte.

Die Kollaboration Israel-Südafrika endete nicht mit dem Test der Bomben, sondern wurde bis zum Sturz der Apartheid fortgesetzt, speziell mit der Entwicklung und Erprobung von Raketen mittlerer Reichweite und moderner Artillerie. Südafrika unterstützte Israel nicht nur mit Uranlieferungen und den Testmöglichkeiten, sondern auch mit großen Summen von Investitionsmitteln, während Israel dem Apartheidstaat den Zugang zu einem großen Markt bot, der das Umgehen internationaler Wirtschaftssanktionen ermöglichte.

Obwohl in erster Linie die Franzosen und die Südafrikaner für das israelische Nuklearprogramm verantwortlich waren, trifft auch die USA ein Großteil der Schuld. Mark Gaffney schrieb: Das israelischen Nuklearprogramm «war nur möglich [Hervorhebung im Original] aufgrund der bewussten Täuschung seitens Israels und der willigen Komplizenschaft seitens der USA.»

Von Beginn an waren die USA am israelischen Nuklearprogramm aufgrund der Bereitstellung von Nukleartechnologie wie etwa einem kleinen Forschungsreaktor (1955 im «Atome für den Frieden»-Programm) wesentlich beteiligt. Israelische Wissenschaftler wurden weitgehend an US-Universitäten ausgebildet und hatten generell Zugang zu den Atomwaffen-Labors. In den frühen 60ern wurden die Bedienungselemente für den Dimona-Reaktor heimlich von einer Firma namens Tracer Lab bezogen, der Hauptlieferantin für die entsprechenden Instrumente in US-Militärreaktoren, gekauft über eine belgische Tochterfirma und offensichtlich mit Zustimmung der Nationalen Sicherheitsagentur (NSA) und der CIA.

1971 genehmigte die Nixon-Regierung den Verkauf Hunderter von Krytonen (Hochgeschwindigkeitsschalter, die für die Entwicklung modernster Kernwaffen erforderlich sind) an Israel. Und 1979 wurden unter Carter ultra-hochauflösende Fotos vom KH-11 Satelliten geliefert, die zwei Jahre später bei der Bombardierung des irakischen Osirak-Reaktors genutzt wurden. Der Transfer entwickelter Technologie nach Israel erfolgte unter Nixon und Carter, mit einer dramatischen Steigerung unter Reagan, und wurde bis heute unvermindert fortgesetzt.

Die Vanunu-Enthüllungen

Nach dem Krieg von 1973 intensivierte Israel sein Kernwaffenprogramm, während es seine Politik bewusster «nuklearer Verdunkelung» fortsetzte. Bis Mitte der 80er Jahre schätzten die meisten Geheimdienste den israelischen Kernwaffenbestand auf eine Größenordnung von zwei Dutzend. Das änderte sich jedoch über Nacht infolge der explosiven Enthüllungen Mordechai Vanunus, eines Atomtechnikers, der in der Dimona Plutonium-Wiederaufbereitungsanlage arbeitete. Als linker Sympathisant Palästinas glaubte sich Vanunu gegenüber der Menschheit verpflichtet, Israels Kernwaffenprogramm vor der Welt zu enthüllen. Er schmuggelte Dutzende von Fotos und wertvollen wissenschaftlichen Daten über die Grenzen Israels, und 1986 wurde seine Geschichte in der Londoner Sunday Times veröffentlicht. Exakte wissenschaftliche Untersuchungen der Daten Vanunus ließen erkennen, dass Israel etwa 200 hochentwickelte miniaturisierte thermonukleare Bomben besaß. Seine Informationen bewiesen, dass die Kapazität des Dimona-Reaktors auf ein Mehrfaches vergrößert worden war und dass Israel genug Plutonium produzierte, um zehn bis zwölf Bomben pro Jahr produzieren zu können. Ein leitender US-Geheimdienstler sagte über die Vanunu-Daten: «Ihre Tragweite ist viel größer als wir dachten. Dies ist ein ungeheuerlicher Vorfall.» Kurz vor der Veröffentlichung seiner Informationen wurde Vanunu von einer «Mata Hari» des Mossad nach Rom gelockt, geschlagen, unter Drogen gesetzt, nach Israel entführt und nach einer Desinformations- und Verleumdungskampagne in der israelischen Presse durch ein Geheimes Sondergericht wegen Landesverrats zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Er verbrachte elf Jahre in Einzelhaft in einer 2 mal 3 Meter großen Zelle. Nach einem Jahr bedingter Freilassung (der Kontakt zu Arabern war ihm verboten) wurde Vanunu wieder in Einzelhaft genommen und hat drei weitere Haftjahre vor sich.

Wie vorauszusehen war, wurden die Vanunu-Enthüllungen von der Weltpresse weitgehend ignoriert, besonders in den Vereinigten Staaten, und Israel hatte weiterhin relativ freie Hand in seinem Kernwaffenstatus.

Israels Massenvernichtungsarsenal

Gegenwärtig schätzt man Israels Kernwaffenbestand auf mindestens 200 bis über 500. Egal welche Zahl, gibt es doch kaum einen Zweifel daran, dass Israels Atomwaffen, die vor allem für die Kriegführung im Nahen Osten vorgesehen sind, zu den am höchsten entwickelten der Welt gehören. Einen Teil des israelischen Kernwaffenbestandes bilden Neutronenbomben, miniaturisierte Atombomben, mit einem Maximum tödlicher Gammastrahlung bei einem Minimum an Sprengwirkung und langfristiger Strahlung –im Wesentlichen dazu bestimmt, Menschen zu töten und ihren Besitz zu schonen. Zu den Waffen gehören auch ballistische Raketen und Bomber, die Moskau erreichen können, Flügelraketen (Cruise missiles), Landminen (in den 80ern verlegte Israel nukleare Landminen entlang der Golanhöhen) und Artilleriegeschosse mit einer Reichweite von 70 km. Im Juni 2000 traf eine von einem israelischen U-Boot abgeschossene Flügelrakete ein Ziel in 1.500 km Entfernung, das war zuvor nur den USA und Russland gelungen. Von diesen praktisch nicht zu besiegenden U-Booten wird Israel drei stationieren, jedes ist mit vier Flügelraketen ausgerüstet.

Das Spektrum der Bomben reicht von «Städte-Knackern» («city-busters»), größer als die Hiroshima-Bombe, bis zu taktischen Mini-Atomwaffen. Israels Bestand an Massenvernichtungswaffen lässt die tatsächlichen oder potenziellen Bestände aller anderen Nahost-Staaten zusammengenommen recht mickrig erscheinen, und übersteigt bei weitem jegliches nachvollziehbare Bedürfnis nach «Abschreckung».

Israel besitzt auch ein umfassendes Arsenal chemischer und biologischer Waffen. Nach Angaben der Sunday Times hat Israel chemische und biologische Waffenarten mit hochentwickelten Trägersystemen produziert. Mit den Worten eines hohen israelischen Geheimdienstlers: «Es gibt wohl keine einzige bekannte oder unbekannte Form chemischer oder biologischer Waffen ... die im Biologische Institut Nes Tziyona nicht erzeugt würde.» Derselbe Bericht beschrieb F-16 Kampfjets, die speziell für chemische und biologische Ladungen bestimmt sind und deren Besatzungen dafür ausgebildet wurden, diese Waffen in Windeseile zu bestücken.

1998 berichtete die Sunday Times, dass Israel unter Nutzung von Forschungsergebnissen aus Südafrika eine «Ethnobombe» entwickelte. «Bei der Entwicklung ihrer ‹Ethnobombe› versuchen die israelischen Wissenschaftler, Forschungsergebnisse der Medizin bei der Identifizierung eines besonderen Gens zu nutzen, das einige Araber haben, und dann genetisch modifizierte Bakterien oder Viren zu schaffen... Die Wissenschaftler versuchen, tödliche Mikroorganismen herzustellen, die nur Menschen mit diesen Genen angreifen.» Dedi Zucker, ein linker Abgeordneter der Knesset, des israelischen Parlaments, prangerte diese Forschung mit den Worten an: «Eine solche Waffe ist, wenn wir von unserer Geschichte, unserer Tradition und Erfahrung ausgehen, moralisch ungeheuerlich und muss geächtet werden.»

Israels Kernwaffenstrategie

Die israelische Bombe ist in der gängigen Vorstellung eine «Waffe der ultima ratio», die also in letzter Minute eingesetzt wird, wenn die vollständige Vernichtung droht, und viele gutwillige aber irregeführte Sympathisanten Israels glauben immer noch, dass dies der Fall ist. Mag sein, dass diese Vorstellung auch in den Köpfen der frühen israelischen Kernwaffenstrategen eine Rolle spielte – heute ist das israelische Kernwaffenpotenzial untrennbar in die allgemeine militärische und politische Strategie Israels integriert. Wie Seymour Hersh in klassischer Untertreibung sagte: «Die Samson-Option ist nicht länger die einzige Kernwaffen-Option, über die Israel verfügt.» Israel hat zahllose verschleierte atomare Drohungen gegen die arabischen Völker und gegen die Sowjetunion (und nach dem Ende des Kalten Krieges gegen Russland) geäußert. Ein erschreckendes Beispiel kommt von Ariel Scharon, dem gegenwärtigen Ministerpräsidenten. «Die Araber mögen das Öl haben – wir haben die Zündhölzer.» (1983 bot Scharon Indien an, gemeinsam mit Israel die pakistanischen Nuklearlagen anzugreifen, in den späten 70ern schlug er vor, israelische Fallschirmjäger nach Teheran zu schicken, um den Schah zu unterstützen, und 1982 rief er dazu auf, Israels Sicherheitsbereich von «Mauretanien bis Afghanistan» auszudehnen.) In einem anderen Fall sagte der israelische Nuklearexperte Oded Brosh 1992: «... wir müssen uns nicht schämen, dass die Kernwaffen-Option ein Hauptinstrument unserer Verteidigung als Abschreckung gegen alle ist, die uns angreifen.» In den Worten Israel Schahaks: « Nicht der Wunsch nach Frieden, wie so häufig angenommen, ist meines Erachtens Prinzip der israelischen Politik, sondern der Wunsch, die Herrschaft und den Einfluss Israels auszudehnen.» Und: «Israel bereitet sich auf einen Krieg vor, wenn es sein muss, auf einen Kernwaffenkrieg, um zu verhindern, dass es in einigen oder allen Staaten des Nahen Ostens zu inneren Veränderungen kommt, die ihm nicht passen... Israel bereitet sich eindeutig darauf vor, die offene Hegemonie über den gesamten Nahen Osten zu erreichen ... und zögert nicht, zu diesem Zweck alle verfügbaren Mittel zu nutzen, einschließlich nuklearer.»

Israel nutzt seinen Kernwaffenbestand nicht nur im Kontext der «Abschreckung» oder der direkten Kriegführung, sondern auch auf andere, subtilere, aber nicht weniger wirksame Weise. Zum Beispiel kann der Besitz von Massenvernichtungswaffen ein kräftiger Hebel zur Aufrechterhaltung des Status quo oder zur Beeinflussung von Ereignissen sein, bei denen ein deutlicher Vorteil für Israel durchzusetzen ist: etwa zum Schutz der sogenannten gemäßigten arabischen Staaten vor inneren Aufständen oder zum Eingreifen in einen Krieg zwischen arabischen Staaten. Im israelischen Strategiejargon wird dieses Konzept «nicht-konventioneller Druck» («nonconventional compellence») genannt. Ein Zitat von Schimon Peres belegt das: «Ein überlegenes (lies: atomares) Waffensystem zu beschaffen bedeutet die Möglichkeit, es für die Ausübung von Druck zu nutzen – das heißt die andere Seite zu zwingen, Israels Forderungen zu akzeptieren, was wahrscheinlich die Forderung einschließt, dass der traditionelle Status quo akzeptiert und ein Friedensvertrag unterzeichnet wird.» Von einem etwas anderen Standpunkt fragte Robert Tucker in einem kommentierenden Zeitschriftenartikel zur Verteidigung der israelischen Atomwaffen: «Was sollte Israel ... von einer harten Politik der nuklearen Abschreckung abhalten, um damit den Status quo einzufrieren?»

Seine überwältigende Kernwaffen-Überlegenheit erlaubt es Israel, sogar angesichts einer weltweiten Opposition straflos zu agieren. Als typischer Fall kann die Invasion in den Libanon und die Zerstörung Beiruts 1982 gelten, die von Ariel Scharon geführt wurde – zum Schluss mit 20.000 Toten, die meisten davon Zivilisten. Trotz der Vernichtung eines arabischen Nachbarstaates, von der völligen Zerstörung der syrischen Luftstreitkräfte gar nicht zu reden, konnte Israel den Krieg über Monate ausdehnen, nicht zuletzt auch aufgrund seiner atomaren Drohung.

Ein anderer Hauptzweck der israelischen Bombe ist der Druck auf die USA, sogar dann zugunsten Israels zu agieren, wenn das gegen die eigenen strategischen Interessen gerichtet ist. Schon 1956 schrieb Francis Perrin, der Kopf des französischen Atombombenprojekts: «Wir dachten, die israelische Bombe zielte auf die Amerikaner, nicht indem sie auf die Amerikaner abgeworfen wird, sondern um ihnen zu sagen: ‹Wenn ihr uns in einer kritischen Situation nicht helfen wollt, werden wir euch dazu bringen, uns zu helfen, oder wir werden unsere Atombomben einsetzen.›»

Während des Krieges von 1973 nutzte Israel die nukleare Erpressung, um Kissinger und Nixon zu zwingen, gewaltige Mengen Kriegsmaterial über eine Luftbrücke nach Israel zu bringen. Israels Botschafter Simha Dinitz soll damals gesagt haben: «Wenn nicht unverzüglich eine massive Luftbrücke nach Israel wirksam wird, werde ich wissen, dass die USA ihr Wort brechen und ... wir werden sehr weitreichende Entscheidungen treffen müssen.» Ein Beispiel für diese Strategie lieferte Amos Rubin, der Wirtschaftsberater des Ministerpräsidenten Yitzhak Schamir, im Jahre 1987: «Wenn Israel allein gelassen wird, wird es keine andere Wahl haben, als auf eine riskante Verteidigung zurückzugreifen, die es selbst und die Welt stark gefährden wird... Um Israel in die Lage zu versetzen, auf die Abhängigkeit von Atomwaffen zu verzichten, braucht es 2 bis 3 Milliarden Dollar an US-Hilfe jährlich.» Seither hat sich Israels Kernwaffenbestand exponentiell vergrößert, sowohl quantitativ als auch qualitativ, und der Geldhahn der USA bleibt dennoch weit offen.

Regionale und internationale Auswirkungen

Weltweit wurde kaum wahrgenommen, dass der Nahe Osten am 22. Februar 2001 vor dem Ausbruch eines totalen Krieges stand. Nach Angaben der Londoner Sunday Times und von DEBKAfile gab Israel Raketenalarm, nachdem es von den USA Nachrichten über die Bewegung von sechs an der syrischen Grenze stationierten irakischen Panzerdivisionen und Startvorbereitungen von Boden-Boden-Raketen erhalten hatte.

DEBKAfile, ein «Anti-Terrorismus»-Informationsdienst in Israel, behauptet, die irakischen Raketen seien vorsätzlich in höchste Alarmstufe versetzt worden, um die Antwort der USA und Israels zu testen. Trotz eines unverzüglichen Angriffs von 42 Militärflugzeugen der USA und Großbritanniens erlitten die Iraker anscheinend nur geringen Schaden. Die Israelis warnten den Irak, sie seien bereit, in einem Präventivangriff gegen die irakischen Raketen Neutronenbomben einzusetzen.

Die israelischen Kernwaffenbestände haben erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft des Friedens im Nahen Osten und sogar auf dem ganzen Planeten. Für Israel Schahak ist es klar, dass Israel kein Interesse an einem Frieden hat, der nicht von ihm nach seinen Bedingungen diktiert wird, und dass es nicht die geringste Absicht hat, über die Reduzierung seines Kernwaffenprogramms zu verhandeln oder ernsthaft über einen atomwaffenfreien Nahen Osten zu diskutieren: «Israels Beharren auf dem unkontrollierten Gebrauch seiner Kernwaffen kann als die Grundlage betrachtet werden, auf welcher die israelische Große Strategie beruht.» Nach Seymour Hersh «erlaubt es die Art und das Entwicklungsniveau des israelischen Kernwaffenbestandes Männern wie Ariel Scharon, davon zu träumen, mit der unausgesprochenen Atomdrohung die Karte des Nahen Ostens neu zu zeichnen.» General Amnon Schahak-Lipkin, der frühere israelische Generalstabschef, wird zitiert: «Es ist unmöglich mit dem Irak zu sprechen, worüber auch immer. Es ist unmöglich mit dem Iran zu sprechen, worüber auch immer. Es sei denn, man hat Kernwaffen. Mit Syrien können wir wirklich nicht anders sprechen.» Ze’ev Shiff, ein israelischer Militärexperte, der für Ha’aretz schreibt, sagte: «Wer glaubt, dass Israel jemals die UN-Konvention über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen unterschreiben wird ... ist ein Tagträumer», und Munya Mardoch, der Direktor des israelischen Instituts für die Waffenentwicklung, meinte 1994: «Die moralische und politische Bedeutung von Kernwaffen besteht darin, dass Staaten, die auf ihren Einsatz verzichten, sich mit dem Status von Vasallenstaaten begnügen. Alle Staaten, die sich mit dem Besitz von konventionellen Waffen zufrieden geben, werden zwangsläufig Vasallenstaaten werden.»

Da sich die israelische Gesellschaft mehr und mehr polarisiert, wird der Einfluss der radikalen Rechten stärker. Nach Schahak «kann man nicht ausschließen, dass Gush Emunim oder einige säkulare rechte israelische Fanatiker oder einige wahnsinnige israelische Armeegeneräle die Kontrolle über die israelischen Nuklearwaffen bekommen. ... während die jüdisch-israelische Gesellschaft einer ständigen Polarisierung unterliegt, stützt sich der israelische Sicherheitsapparat zunehmend auf die Rekrutierung von Gruppen aus den Reihen der extremen Rechten.» Die arabischen Staaten, die seit langem über Israels Nuklearprogramm Bescheid wissen, verübeln die Erpressungsversuche und nehmen seine Existenz als eine ungeheure Bedrohung des Friedens in der Region wahr, die eigene Massenvernichtungswaffen erfordert. Während eines künftigen Nahostkrieges (der angesichts des Aufstiegs von Ariel Scharon, einem nicht angeklagten Kriegsverbrecher mit einer blutigen Liste vom Massakern an palästinensischen Zivilisten – von Quibiya 1953 bis zum Massaker an palästinensischen Zivilisten in Sabra und Schatila 1982 und darüber hinaus – zur realen Gefahr geworden ist) kann der mögliche Einsatz von Kernwaffen durch Israel nicht ausgeschlossen werden. «In der israelischen Terminologie wird» Schahak zufolge «der Angriff von Raketen auf israelisches Territorium als ‹nicht-konventionell› betrachtet, egal ob sie mit Sprengstoff oder Giftgas bestückt sind.» (Und erfordert deshalb eine «nicht-konventionelle» Antwort – die vielleicht einzige Ausnahme waren die irakischen Scud-Angriffe während des Golfkrieges.)

Die Existenz eines Arsenals von Massenvernichtungswaffen in einer solch instabilen Region hat schwerwiegende Konsequenzen für künftige Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung und Abrüstung und wurde sogar zur Bedrohung mit einem Kernwaffenkrieg. Seymour Hersh warnt: «Sollte erneut ein Krieg im Nahen Osten ausbrechen ... oder irgendeine arabische Nation Raketen auf Israel lenken, wie damals die Iraker, würde eine nukleare Eskalation, früher undenkbar außer als ‹ultima ratio›, nunsehr wahrscheinlich.» Und Ezar Weissman, Israels gegenwärtiger Präsident, sagte: «Der Kernwaffeneinsatz gewinnt an Bedeutung (und der) nächste Krieg wird kein konventioneller sein.» )

Russland und davor die Sowjetunion waren schon lange ein wichtiges (wenn nicht das wichtigste) Ziel der israelischen Kernwaffen. Ausführlich wurde berichtet, dass der Hauptzweck der Spionage Jonathan Pollards die Beschaffung von Satellitenaufnahmen von sowjetischen Zielen und anderen heiklen Daten war, die die Strategie der Kernwaffenziele der USA betrafen. (Seit dem Start eines eigenen Satelliten im Jahre 1988 braucht Israel die Spionagegeheimnisse der USA nicht mehr.) Die israelischen Kernwaffen, die auf das russische Festland gerichtet sind, erschweren die Verhandlungen über Abrüstung und Waffenkontrolle erheblich, und nicht zuletzt wirkt der einseitige Besitz von Kernwaffen durch Israel extrem destabilisierend und verringert die Einsatzschwelle für ihre tatsächliche Anwendung, wenn nicht sogar für einen totalen Atomkrieg dramatisch. In den Worten von Mark Gaffney: «... wenn das bekannte Muster (Israel vervollkommnet seine Massenvernichtungswaffen mit Unterstützung der USA) nicht bald verändert wird – aus welchem Grund auch immer –, könnte der sich vertiefende Nahostkonflikt die Welt in Brand setzen.»

Viele Friedensaktivisten, die sich mit dem Nahen Osten befassen, schrecken davor zurück, über das israelische Kernwaffenmonopol in der Region zu diskutieren oder es gar offen anzugreifen. Das hat oft unvollständige und schlecht informierte Analysen und fehlerhafte Handlungsstrategien verursacht. Wenn man das Problem der israelischen Massenvernichtungswaffen direkt und ehrlich auf die Tagesordnung brächte, hätte das verschiedene begrüßenswerte Folgen.

Erstens würde es eine Hauptdynamik der Destabilisierung aufzeigen, die das Wettrüsten im Nahen Osten vorantreibt und die Staaten der Region dazu zwingt, ihre eigene «Abschreckung» zu suchen.

Zweitens würde es den grotesken doppelten Standard aufzeigen, der die USA und Europa einerseits dazu veranlasst, Irak, Iran und Syrien wegen der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu verurteilen, während gleichzeitig der Hauptschuldige geschützt und unterstützt wird.

Wenn man Israels Kernwaffenstrategie thematisierte, würde das drittens internationale Aufmerksamkeit finden und Israel unter erhöhten Druck setzen, seine Massenvernichtungswaffen abzurüsten und einen gerechten Frieden in gegenseitigem Vertrauen aushandeln.

Schließlich würde ein kernwaffenfreies Israel einen kernwaffenfreien Nahen Osten und ein umfassendes regionales Friedensabkommen viel wahrscheinlicher machen. Wenn und solange die Weltgemeinschaft Israel nicht wegen seines verdeckten Kernwaffenprogramms zur Rechenschaft zieht, ist es unwahrscheinlich, dass es zu irgendeiner wirklichen Lösung des israelisch-arabischen Konflikts kommt, eine Tatsache, auf die sich Israel in der Ära Scharon wohl verlässt.

 

1 Seymour Hersh, The Samson Option: Israel's Nuclear Arsenal and American Foreign Policy, New York, 1991, Random House, S. 319 (Eine brillante und prophetische Arbeit mit viel eigenen Untersuchungen.)

2 Mark Gaffney, Dimona, The Third Temple: The Story Behind the Vanunu Revelation, Brattleboro, VT, 1989, Amana Books, S. 165 (Eine ausgezeichnete fortschrittliche Analyse des israelischen Nuklearprogramms.)

3 U.S. Army Lt. Col. Warner D. Farr, The Third Temple Holy of Holies; Israel's Nuclear Weapons, USAF Counterproliferation Center, Air War College Sept 1999 (Vielleicht die beste einzelne zusammengefasste Geschichte des israelischen Nuklearprogramms.)

4 Hersch, a.a.O., S. 131

5 Gaffney, a.a.O., S. 63

6 Gaffney, a.a.O. S. 68-69

7 Hersh, a.a.O., S. 242-257; Gaffney, a.a.O., 1989, S. 65-66 (Eine alternative Diskussion über die NUMEC-Affäre.)

8 Barbara Rogers & Zdenek Cervenka, The Nuclear Axis: The Secret Collaboration Between West Germany and South Africa, New York, 1978, Times Books, S. 325-328 (Die maßgebliche Geschichte der Apartheid-Bombe.)

9 Gaffney, a.a.O., 1989, S. 34

10 Peter Hounam, Woman From Mossad: The Torment of Mordechai Vanunu, London, 1999, Vision Paperbacks, S. 155-168 (Der vollständigste und aktuellste Bericht über die Vanunu-Geschichte, er enthält die spannende Annahme, dass Israel einen zweiten geheimen Reaktor des Dimona-Typs haben könnte.)

11 Hersh, a.a.O., 1989, S. 213

12 ebd., S.198-200

13 ebd., S. 3-17

14 Hounman, a.a.O. 1999, pp 189-203. – In deutscher Sprache erschien Yoel Cohen: Die Vanunu Affäre. Israels geheimes Atompotential. Palmyra. Heidelberg 1995. Mordechai Vanunu erhielt im Jahre 2001 die Ehrendoktorwürde der norwegischen Universität Tromsö. (Anm. des Übersetzers)

15 Hersh, 1989. S.199-200

16 ebd., S. 312

17 John Pike and Federation of American Scientists, Israel Special Weapons Guide Website, 2001, Web-Addresse (Eine unschätzbare Internetressource.)

18 Usi Mahnaimi and Peter Conradi, Fears of New Arms Race as Israel Tests Cruise Missiles, June 18, 2000, London Sunday Times

19 Usi Mahnaimi, Israeli Jets Equipped for Chemical Warfare October 4, 1998, London Sunday Times

20 Usi Mahnaimi and Marie Colvin, Israel Planning «Ethnic» bomb as Saddam Caves In, November 15, 1998, London Sunday Times

21 Hersh, a.a.O., 1991, S. 319

22 Gaffney, a.a.O., 1989, S. 163

23 Israel Shahak, Open Secrets: Israeli Nuclear and Foreign Policies, London, 1997, Pluto Press, S. 40 (Ein absolutes «Lese-Muss» für jeden Nah-Ost- oder Anti-Atom-Aktivisten.)

24 ebd., S. 2

25 ebd., S. 43

26 Gaffney, a.a.O., 1989, S. 131

27 «Israel & the US: From Dependence to Nuclear Weapons?» Robert W. Tucker, Novenber 1975, S. 41-42

28 London Sunday Times, October 12, 1986

29 Gaffney, a.a.O. 1989. S. 147

30 ebd., S. 153

31 DEBKAfile, February 23, 2001 [www.debka.com]

32 Uzi Mahnaimi and Tom Walker, London Sunday Times, February 25, 2001

33 Shahak, a.a.O., S. 150

34 Hersh, a.a.O., S. 319

35 Shahak, a.a.O., S. 34

36 ebd., S. 149

37 ebd., S. 153

38 ebd., S. 37-38

39 ebd., S. 39-40

40 Hersh, a.a.O., S. 19

41 Aronson, Geoffrey, «Hidden Agenda: US-Israeli Relations and the Nuclear Question, Middle East Journal (Herbst 1992), S. 619-630.

42 Hersh, a.a.O., S. 285-305

43 Gaffney, a.a.O., S. 194