Sonderseite zu den Angriffen auf Gaza

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„Das Skandalöseste an den Angriffen auf Gaza ist, dass sie geschehen können, ohne dass etwas geschieht“

Joachim Guilliard
Rede auf der Kundgebung „Stoppt die israelischen Aggressionen in Gaza“ am 9.1.2009 in Mannheim, an der etwa 5.000 DemonstrantInnen teilnahmen. Den größten Beifall auf dieser Kundgebung erhielt die israelische Kriegsdienstverweigerin Hod Pall.

Ich danke den Veranstaltern, dass sie mir die Gelegenheit geben, meine Solidarität für die angegriffene Bevölkerung in Gaza auszudrücken und mein Mitgefühl mit allen, die hier in Deutschland um Ihre Angehörigen und Freunde dort bangen.

Mit Bestürzung und Wut müssen wir mit ansehen, wie das israelische Regime ein Massaker unter der Bevölkerung des ohnehin schon seit langem geschundenen Gazastreifens anrichtet. Über 760 wurden bereits ermordet, 300 z.T. lebensgefährlich verletzt, Zehntausende irren obdachlos und Schutz suchend herum.
Und die Nachrichten werden mit jedem Kriegstag schlimmer. Nicht nur Journalisten verwehrt Israel den Zugang, damit möglichst wenige Bilder von den Gräueltaten im westlichen Fernsehen zu sehen sind. Selbst Helfer des Roten Kreuzes müssen tagelang warten, bis sie zu Rettungseinsätzen ins Land dürfen. Die UNO musste ihre Hilfe aufgrund des Beschusses ihrer Lastwagen einstellen.

Auch nach 13 Tagen ist kein Ende dieses furchtbaren Gemetzels abzusehen.

Es ist kein Krieg gegen die Hamas, wie uns die Medien weißmachen wollen. Es ist ein Krieg gegen die gesamte Bevölkerung, aus Rache für ihre standhafte Weigerung, sich in ihr Schicksal zu fügen und dafür, dass sie mehrheitlich Hamas unterstützt.
Bombardiert werden Wohnhäuser und Moscheen, sogar Krankenhäuser und Schulen der UNO, die als Notunterkünfte dienten. Das sind alles ganz eindeutige Kriegsverbrechen. Ich schließe mich daher voll und ganz der International Association of Democratic Lawyers an, die die Einrichtung eines  UN-Sondertribunals zur Ahndung dieser Kriegsverbrechen fordert.

Empörend: Haltung der deutschen Regierung

Empörend ist jedoch nicht nur die israelische Aggression, empörend ist auch die Haltung der deutschen Regierung und der EU. Indem sie allein die Hamas verantwortlich machen, stellen sie sich vorbehaltlos hinter die israelische Führung und machen sich zu ihren Komplizen.

Es ist Unfug von Selbstverteidigung zu reden. Niemand kann ernsthaft dieses völlig entfesselte, mörderische Bombardement, das mit dem modernsten Waffenarsenal, das die USA und Europa liefern können, durchgeführt wird, mit dem sporadischen Beschuss von handgefertigten Raketen aus dem Gazastreifen rechtfertigen, die nur vergleichsweise geringen Schaden anrichten.

Vor allem sind aber nicht die Palästinenser oder die Hamas die Angreifer, sondern, die israelischen Truppen. Allein während der sechsmonatigen „Waffenruhe“ hat Israel in über hundert Angriffen auf den Gazastreifen 22 Palästinenser getötet und 62 verwundet. Statt, wie vereinbart, die Blockade zu beenden, wurde sie sogar noch verschärft. Und bekanntlich ist auch eine Blockade ein eindeutiger Akt des Krieges. – Dennoch, von einem „Recht auf Selbstverteidigung“ der Palästinenser hört man hierzulande nichts.

Kein Recht auf Verteidigung für völkerrechtswidrige Besatzung

Wie jedes Volk unter fremder Besatzung, haben auch die Palästinenser ein Recht auf Widerstand – allerdings auch nur, solange er sich im Rahmen des Völkerrechts bewegt. Für eine völkerrechtswidrige Besatzung gibt es aber, so kürzlich Prof. Norman Paech, Völkerrechtler und außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, kein Recht auf Verteidigung, sondern nur die Verpflichtung, sie rasch und vollständig aufzuheben.

Der Überfall war auch keine spontane Reaktion auf das Ende der Waffenruhe, sondern von langer Hand vorbereitet. Selbstverständlich erfolgte er nicht ohne die ausdrückliche Zustimmung der Bush-Administration. Informiert waren mit Sicherheit auch der nun plötzlich verstummte zukünftige Präsident der USA, Barack Obama, und die europäischen Regierungen. Sie gaben offensichtlich gleichfalls Israel erst einmal freie Hand.

Die Medien verbreiten, Israel weigere sich, seine Angriffe einzustellen, solange die Raketenabschüsse auf israelische Siedlungen nicht gestoppt werden. Die Hamas hat allerdings schon vor dem Überfall angeboten, diese Angriffe einzustellen – unter der Bedingung, dass Israel die Blockade einstellt. Eine sehr berechtigte Forderung.

Wenn Israel wollte, wäre ein Waffenstillstand sofort möglich. Er wäre auch in kurzer Zeit durchsetzbar, wenn die USA und die europäischen Verbündeten genügend Druck ausüben würden. Dass dies auch nach fast zwei Wochen Bombardierung und Artilleriefeuer und Tausenden von Toten und Verletzten nicht geschieht, ist der größte Skandal.

Verbrechen und Scham

Die Literaturnobelpreisträger José Saramago und Pilar del Río haben die Kritik an der europäischen Politik in einer Stellungnahme, die auch von vielen weiteren namhaften Schriftstellern unterzeichnet wurde, sehr gut zusammengefasst. Ich zitiere auszugsweise (vollst. Wortlaut siehe Gaza: Verbrechen und Scham)

Es handelt sich nicht um eine Vergeltungsmaßnahme, es sind nicht die selbstgebastelten Raketen, die erneut auf israelisches Territorium fielen, sondern es ist die zeitliche Nähe zum Wahlkampf, die den Angriff ausgelöst hat.“

Es ist nicht die Antwort auf das Ende des Waffenstillstandes, denn während dessen Geltungsdauer hat die israelische Armee die Blockade von Gaza noch verschärft und ihre tödlichen Operationen nicht eingestellt, 256 Tote in den sechs Monaten einer vermeintlichen Feuerpause, mit der zynischen Rechtfertigung, dass ihr Ziel immer nur die Mitglieder der Hamas seien. Als ob die Mitgliedschaft in der Hamas bereits ein außergerichtliches Todesurteil bedeute, und als ob gezielter Mord nicht immer noch Mord bleibe.

Es ist keine Explosion der Gewalt. Es handelt sich um eine geplante und seit geraumer Zeit von der Besatzungsmacht angekündigte Offensive. Ein weiterer Schritt bei der Vernichtung des Widerstandswillens der palästinensischen Bevölkerung, die im Westjordanland der täglichen Hölle der Besatzung unterworfen ist und im Gazastreifen dem Aushungern, dessen letzte Episode nun das Gemetzel ist

Es handelt sich auch nicht um ein Scheitern der internationalen Diplomatie. Es ist ein weiterer Beweis für die Komplizenschaft mit dem Besatzer. Dabei geht es nicht nur um die USA, die weder moralischer noch politischer Bezugspunkt, sondern Teil, nämlich israelischer Teil des Konflikts sind; es geht um Europa, um die enttäuschende Schwäche, Unentschlossenheit und heuchlerische Haltung der europäischen Diplomatie

Das Skandalöseste an den Ereignissen in Gaza ist, dass sie geschehen können, ohne dass etwas geschieht. Die Straflosigkeit Israels wird nicht in Frage gestellt. Die fortgesetzte Verletzung internationalen Rechts, der Genfer Konvention und der Mindeststandards an Menschlichkeit bleibt ohne Konsequenzen. Im Gegenteil, sie scheint noch belohnt zu werden, mit bevorzugten Handelsverträgen oder dem Eintritt Israels in die OSZE. Und wie obszön klingen schließlich die Sätze aus den Mündern mancher Politiker, die die Verantwortung zu gleichen Teilen zwischen Besatzer und Besetztem, zwischen dem Belagerer und dem Belagerten, zwischen Henker und Opfer verteilen. Und wie unseriös ist doch die vermeintliche Ausgewogenheit, die den Unterdrückten mit seinem Unterdrücker auf die gleiche Stufe stellt. Die Sprache ist nicht unschuldig. Worte töten nicht, aber sie helfen, das Verbrechen zu rechtfertigen und es zu verewigen.

Verstärkter Druck von unten nötig

Ich komme zum Schluss. Das wesentliche ist nun, dass weltweit die Stimmen derer, die die israelische Aggression verurteilen, immer lauter werden und wir hier unsere Regierung unter Druck setzen, damit sie die Duldung dieses Verbrechens aufgeben muss.

Mit einem erneuten Waffenstillstand ist es aber nicht getan.

Israel hat 2006 den Libanon überfallen, seither immer wieder den Gazastreifen bombardiert und nun diesen mörderischen Überfall gestartet. Es ist in den letzten Jahren ganz offensichtlich geworden, dass die herrschenden Kreise in Israel keinen Frieden wollen, dass sie – wie auch zahlreiche israelische Oppositionelle betonen – den Frieden geradezu fürchten, müssten sie dann doch ihre weitgesteckten Ziele aufgeben. Wir kommen daher nicht mehr umhin, die Vorschläge für eine Boykott-Bewegung, analog der gegen das Apartheid-Regime in Südafrika, auch hier ernsthaft zu diskutieren.
Es sollte möglich sein, klar zu machen, dass sich so eine Bewegung, die sich für Boykott, Divestment (Abzug von Investitionen) und Sanktionen einsetzt, nicht gegen Juden und auch nicht gegen die israelische Bevölkerung richtet, sondern allein gegen das zionistische Regime. Um dieses zu zwingen, sich entweder aus den 1967 besetzten Gebieten zurückzuziehen und einen lebensfähigen palästinensischen Staat zuzulassen, der diesen Namen verdient oder einen gemeinsamen Staat, in dem alle gleichberechtigt zusammenleben können.