amnesty international
Jahresbericht 2000


Israel und besetzte Gebiete

Amtliche Bezeichnung: Staat Israel

Staatsoberhaupt: Ezer Weizman

Regierungschef: Ehud Barak (löste im Juli Benjamin Netanjahu ab)

Amtssprachen: Hebräisch, Arabisch

Todesstrafe: für gewöhnliche Straftaten abgeschafft

Mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, der im September verschiedene Verhörtechniken des Allgemeinen Geheimdienstes (General Security Service – GSS) für ungesetzlich erklärte, wurde die Praxis der von offizieller Seite sanktionierten Folterungen und Misshandlungen beendet. 1999 kamen zahlreiche palästinensische Verwaltungshäftlinge frei, doch befanden sich bei Jahresende noch 14 Palästinenser nach wie vor in Verwaltungshaft. Hunderte Palästinenser mussten sich vor Militärgerichten verantworten, deren Verfahren internationalen Standards für einen fairen Prozess nicht genügten. Ende 1999 waren rund 1500 Palästinenser als politische Gefangene inhaftiert. Mehr als 300 palästinensische politische Gefangene kamen im Laufe des Jahres auf der Grundlage von Friedensvereinbarungen aus der Haft frei. Israelische Sicherheitskräfte töteten mindestens acht Palästinenser unter Umständen, die auf ungesetzliche Tötungen schließen lassen. Auf der Basis einer gegen Palästinenser gerichteten diskriminierenden Praxis wurden auf der Westbank Häuser zerstört, deren Besitzer keine Baugenehmigung hatten erlangen können. Mindestens 29 libanesische Staatsangehörige waren in Israel inhaftiert, darunter 16 in Verwaltungshaft. Weitere mehr als 150 Libanesen befanden sich Ende 1999 ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren im von Israel besetzten Teil des Südlibanon im Khiam-Haftzentrum in Gewahrsam. Wiederholt erhielt amnesty international sowohl aus Israel als auch aus den besetzten Gebieten von Berichten über Misshandlungen durch Angehörige der Sicherheitsdienste Kenntnis. Mindestens sechs Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen waren im Berichtsjahr inhaftiert, weil sie die Ableistung des Militärdienstes verweigert hatten.

Hintergrundinformationen

Im Mai wurde Ehud Barak von der Partei Ein Israel zum Ministerpräsidenten gewählt. Gleichzeitig fanden auch Parlamentswahlen statt. Im Juli übernahm eine Koalitionsregierung die Amtsgeschäfte.

Nachdem Israel und die Palästinensische Befreiungsorganisation (Palestine Liberation Organization – PLO) im August ihre Gespräche wieder aufgenommen hatten, unterzeichneten sie im September das Memorandum von Sharm el-Shaykh über einen erneuten Einstieg in abschließende Verhandlungen über den endgültigen Status der Palästinensischen Autonomiegebiete. Auf der Grundlage dieser Vereinbarung ließ Israel in den Monaten September und Oktober 309 Palästinenser sowie 41 politische Gefangene aus anderen arabischen Staaten frei und zog weitere Truppen aus Teilen der Westbank ab. Nach wie vor waren die Palästinenser in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Israel hielt die Grenzschließungen zwischen Israel und der Westbank (mit Ausnahme von Ost-Jerusalem) sowie zwischen Israel und dem Gazastreifen aufrecht. Im Oktober öffnete Israel eine sichere Transitroute, um den Palästinensern Reisen zwischen der Westbank und dem Gazastreifen zu ermöglichen. Im Berichtsjahr kam es erneut zu Überfällen bewaffneter israelischer Siedler auf Palästinenser sowie bewaffneter Palästinenser auf Siedler.

Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den israelischen Streitkräften (Israel Defence Forces – IDF) und der Südlibanesischen Armee (SLA) einerseits und der bewaffneten libanesischen Oppositionsgruppe Hisbollah dauerten im Berichtsjahr an. Im Juli kündigte Ministerpräsident Barak an, Israel habe die Absicht, sich innerhalb eines Jahres aus den von Israel besetzten Teilen des Südlibanon zurückzuziehen. In den zwei Monaten zuvor hatte bereits die SLA die im Südlibanon gelegene Enklave Jezzine verlassen.

Zahlreiche in Israel lebende ausländische Staatsangehörige, unter ihnen als Prostituierte verkaufte Frauen aus den GUS-Staaten, sahen sich weiterhin Übergriffen ausgesetzt. Hunderte von ihnen – Männer wie Frauen – wurden über lange Zeiträume hinweg in Abschiebehaft gehalten. Überdies sollen nach vorliegenden Berichten Polizeibeamte brutal gegen sie vorgegangen sein.

Folter

Folterungen und Misshandlungen wurden nach wie vor von offizieller Seite sanktioniert und vom GSS routinemäßig bei Verhören von Personen eingesetzt, die unter Berufung auf Sicherheitsbelange festgenommen worden waren. Im September allerdings erklärte der Oberste Gerichtshof derartige Verhörmethoden für gesetzwidrig, woraufhin der GSS die Anwendung der betreffenden Techniken umgehend einstellte. Zu den bis dahin praktizierten Methoden zählten tiltul (gewaltsames Schütteln); shabeh (dabei wird das Opfer über lange Zeit in gekrümmter Körperhaltung auf einen niedrigen Stuhl gefesselt und gezwungen, laute und verzerrte Musik zu hören); gambaz (dabei muss das Opfer langeZeit auf dem Boden kriechen) sowie besonders fest angelegte Handschellen und Schlafentzug. Im Oktober rief der mit der Aufsicht über den GSS beauftragte Ministerialausschuss ein Sachverständigengremium ins Leben, das die Auswirkung des Gerichtsentscheides untersuchen soll. Ebenfalls im Oktober brachte die oppositionelle Likud-Partei im Parlament (Knesset) eine Gesetzesinitiative ein, auf deren Grundlage der GSS ermächtigt sein soll, unter bestimmten Umständen bei Verhören Gewalt anzuwenden.

Misshandlungen

amnesty international erhielt von zahlreichen Berichten Kenntnis, denen zufolge Palästinenser an Straßensperren, bei Demonstrationen sowie unmittelbar nach ihrer Festnahme geschlagen oder in anderer Weise misshandelt worden sind. Nach vorliegenden Meldungen wurden auch ausländische Arbeitnehmer sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei Hausdurchsuchungen von der Polizei und Vertretern anderer staatlicher Stellen mit Schlägen traktiert.

Im Mai schlugen Beamte der Grenzpolizei an einer Straßensperre in Bethlehem auf den 21-jährigen Fahrer Ziad 'Ali Taara ein, der dabei Verletzungen anden Beinen, am Bauch und im Brustbereich davontrug. Die israelische Armee räumte nach ersten Ermittlungen ein,die Beamten hätten offenbar »ungerechtfertigte Gewalt« angewendet. Ungeachtet einer Empfehlung der Abteilung zur Untersuchung polizeilichen Fehlverhaltens, gegen die in den Vorfall verwickelten Grenzpolizisten strafrechtlich vorzugehen, war bis Ende 1999 noch keine Anklage gegen sie erhoben worden.

Im August prügelte in Tel Aviv ein Inspekteur des Handels- und Industrieministeriums mit einer Metallstange auf zwei aus China stammende illegale Einwanderer ein, die er in einem Nutzfahrzeug eingeschlossen vorgefunden hatte.

Verwaltungshaft

Im Berichtsjahr kamen zahlreiche palästinensische Verwaltungshäftlinge frei, unter ihnen Usama Barham, der seit 1994 ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren inhaftiert war. Ende 1999 befanden sich noch 14 Palästinenser in Verwaltungshaft. Gleiches galt für 16 libanesische Staatsbürger. Neun von ihnen wurden festgehalten, obwohl sie die gegen sie verhängten Freiheitsstrafen bereits verbüßt hatten, die übrigen sieben befanden sich ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft, darunter zwei ohne Kontakt zur Außenwelt. Die israelischen Behörden hielten sie in Gewahrsam, um sie gegen im Libanon vermisste Israelis oder gegen Informationen über deren Verbleib auszutauschen. Rechtsmittel gegen ihre fortdauernde Inhaftierung waren bei Jahresende noch vor dem Obersten Gerichtshof anhängig. Fünf andere libanesische Verwaltungshäftlinge kamen im Dezember frei.

Ende 1999 befand sich der 27-jährige Palästinenser 'Abdallah 'Abdallah al-Khatib nach wie vor in Verwaltungshaft. Er war im Juli 1998 festgenommen und Verwaltungshaft gegen ihn verfügt worden. Während seiner Berufungsverhandlungen war es weder ihm noch seinem Rechtsanwalt erlaubt worden, die gegen ihn vorliegenden Beweismittel zu prüfen.

Ghassan Fares al-Dirani, ein 30-jähriger libanesischer Staatsangehöriger, wurde seit seiner Festnahme im Libanon im Jahre 1987 ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft gehalten. Berichten zufolge war er physisch und psychisch erkrankt.

Unfaire Gerichtsverfahren

Hunderte Palästinenser wurden im Berichtsjahr festgenommen und mussten sich wegen Delikten wie Mitgliedschaft in illegalen Organisationen oder Steinewerfen vor Militärgerichten verantworten. Viele von ihnen blieben tagelang von der Außenwelt abgeschnitten in Haft, ohne dass man sie einem Richter vorführte. Wiederholt bildeten unter Folterungen erpresste Geständnisse die Hauptgrundlage der gegen sie ins Feld geführten Beweise. Im August senkte die Militärverwaltung in den besetzten Gebieten das Mindestalter, von dem an palästinensische Kinder von Militärgerichten verurteilt und inhaftiert werden können, von 14 auf zwölf Jahre herab. Das Strafmaß für Steinwürfe durch Kinder wurde von den Gerichten von vier Wochen auf vier Monate Freiheitsentzug erhöht.

Su'ad Hilmi Ghazal, eine palästinensische Schülerin aus dem Dorf Sebastiya, die im Dezember 1998 im Alter von 15 Jahren festgenommen worden war, befand sich Ende 1999 weiterhin in Haft und wartete auf die Eröffnung ihres Prozesses wegen tätlichen Angriffs gegen einen Israeli. Sie war zusammen mit erwachsenen weiblichen Insassen im Gefängnis von Neve Tirza inhaftiert.

Hauszerstörungen

In der Westbank wurden mindestens 39 Häuser zerstört, weil ihre palästinensischen Besitzer von den israelischen Behörden keine Baugenehmigung erhalten hatten. Die diskriminierende Praxis der Hauszerstörungen von Palästinensern schien darauf ausgerichtet zu sein, in den unter israelischer Kontrolle stehenden Gebieten der Westbank die Entwicklung der palästinensischen Bevölkerung zu behindern.

Südlibanon

Im Zuge des militärischen Konflikts im Südlibanon kamen nach vorliegenden Berichten 1999 23 libanesische und zwei israelische Zivilisten ums Leben. Die meisten Zivilisten fanden bei vorsätzlichen oder wahllosen Angriffen denTod.

Im Juni kamen elf libanesische Zivilisten bei israelischen Luftangriffen gegen infrastrukturelle Einrichtungen im Libanon ums Leben. Bei den Luftangriffen handelte es sich um Vergeltungsschläge für den Tod zweier israelischer Zivilisten durch Raketenangriffe der Hisbollah. Die Hisbollah ihrerseits beantwortete die Luftschläge mit weiteren Mörserattacken gegen den Norden Israels.

Neben mindestens 29 in Israel inhaftierten libanesischen Staatsangehörigen wurden Ende 1999 mehr als 150 weitere Libanesen – unter ihnen Kinder – ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren im Khiam-Haftzentrum festgehalten, das im von Israel besetzten Teil des Südlibanon gelegen ist. Dort und in anderen Hafteinrichtungen der SLA wurden Gefangene routinemäßig gefoltert und misshandelt. Nach wie vor bestritt Israel jegliche Verantwortung für die Verwaltung des Gefängnisses und beharrte darauf, diese falle in die alleinige Zuständigkeit der mit Israel alliierten Miliz SLA. Im September allerdings räumte die israelische Armee ein, Beamte des GSS hätten das Haftzentrum besucht und SLA-Angehörige in Verhörtechniken ausgebildet. Auch die Löhne des Gefängnispersonals würden von Israel bezahlt.

Extralegale Hinrichtungen und ungesetzliche Tötungen

Wiederholt haben die israelischen Sicherheitskräfte in Situationen, in denen ihr Leben offenkundig nicht in Gefahr war, übermäßige Gewalt angewendet oder das Feuer auf Palästinenser beiden Geschlechts eröffnet. Acht Palästinenser wurden im Berichtszeitraum unter Umständen getötet, die auf extralegale Hinrichtungen oder in anderer Weise ungesetzliche Tötungen schließen lassen.

Im Januar setzte die Grenzpolizei in Isawiyeh in Ost-Jerusalem exzessive Gewalt ein, als sie das Feuer auf Palästinenser eröffnete, die gegen Hauszerstörungen demonstrierten. Dabei wurde der 28-jährige Zaki 'Ubayd getötet, als ihn ein mit Gummi überzogenes Metallprojektil, das aus kurzer Entfernung abgefeuert worden war, in den Nacken traf. Im August empfahl die Abteilung zur Untersuchung polizeilichen Fehlverhaltens im Zusammenhang mit dem Fall die Einleitung von Strafverfahren gegen zwei Beamte der Grenzpolizei, doch hatte die Bezirksstaatsanwaltschaft bis Ende 1999 noch keine Anklage erhoben.

Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen

Auch 1999 wurden in Israel wieder Personen inhaftiert, weil sie aus Gewissensgründen die Ableistung des Militärdienstes verweigert hatten. Mindestens sechs Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen wurden von Militärgerichten zu Freiheitsstrafen verurteilt, die meisten von ihnen nicht zum ersten Mal. Es handelte sich bei ihnen um gewaltlose politische Gefangene.

Im Juni verurteilte ein Militärgericht Walid Muhammad Naffa wegen Desertion zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe. Für den Drusen aus Beit Jann war es bereits die elfte Gefängnisstrafe, die er verbüßen musste, weil er aus Gewissensgründen die Ableistung des Wehrdienstes in den israelischen Streitkräften verweigert hatte. Im September kam er aus der Haft frei und wurde wegen »Untauglichkeit« vom Militärdienst befreit.

Straffreiheit

Die meisten Angehörigen der Sicherheitskräfte, die Menschen gefoltert oder misshandelt hatten oder für ungesetzliche Tötungen oder andere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, genossen für ihre Handlungen Straffreiheit. In den wenigen Fällen, in denen Angehörige der Sicherheitskräfte wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt wurden, fielen die Strafen gering aus.

Im November 1997 hatte ein Armeeangehöriger in Richtung einer Gruppe von drei Kindern gefeuert und dabei den achtjährigen 'Ali Jawarish getötet. Bei dem Vorfall schien das Leben des Soldaten nicht in Gefahr gewesen zu sein. Im Februar kam die Militärische Generalanwaltschaft zu dem Schluss, der Soldat habe angemessen gehandelt, und nahm von weiteren Schritten Abstand.

Entwicklungen auf zwischenstaatlicher Ebene

Ein auf der Grundlage von Resolution 1993/2A der UN-Menschenrechtskommission mit der Untersuchung von Verstößen gegen die Grundsätze des Völkerrechts durch Israel betrauter Sonderberichterstatter reiste im Berichtszeitraum in die unter palästinensischer Autonomieverwaltung stehenden Gebiete. Israel verweigerte dem UN-Sonderberichterstatter nach wie vor die Zusammenarbeit. In einer mündlichen Stellungnahme vor der UN-Menschenrechtskommission vom März bekräftigte amnesty international noch einmal ihre Kritik, dass Israel im Namen der »Sicherheit« gegen internationale Menschenrechtsschutzinstrumente verstoßen hat.

Im Februar ersuchte die UN-Generalversammlung die Hohen Vertragsparteien der Vierten Genfer Konvention um Einberufung einer Konferenz, um über Maßnahmen zu beraten, weil Israel es unterlassen hat, den Bestimmungen der Konvention in den besetzten Gebieten Geltung zu verschaffen. Die Konferenz fand im Juli statt, allerdings ohne die Beteiligung von Israel und den USA.Kurz nach Beginn wurde sie bereits wieder vertagt, ohne dass man sich auf ein Datum für die Wiederaufnahme einigte.

Berichte und Missionen von amnesty international

Berichte

Israel: The price of principles: Imprisonment of conscientious objectors (ai-Index MDE 15/049/99)

Israel and the Occupied Territories: Demolition and dispossession – The destruction of Palestinian homes (ai-Index: MDE 15/059/99)

Missionen

Im Januar reisten Vertreter von amnesty international nach Israel, um Informationen über Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu recherchieren. Im April und Mai untersuchte die Organisation in Israel Fälle von Handel mit Frauen aus den GUS-Staaten. Ein Besuch im Mai und Juni diente Ermittlungen über Hauszerstörungen in der Westbank.


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