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Geopolitische Partnerschaft
Hintergrund. Die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit: Gegengewicht zum ­westlichen Imperialismus in Zentralasien
Von Rainer Rupp
junge Welt, 04.09.2008 / Thema / Seite 10

Gruppenbild der Staatschefs von Kirgisien, Kasachstan, China, Ta Gruppenbild der Staatschefs von Kirgisien, Kasachstan, China, Tadschikistan, Russland und Usbekistan auf dem jüngsten SCO-Gipfel in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe am 28.8.2008
Die geopolitische Bedeutung der aktuellen Krise im Kaukasus – der brutale Angriff der georgischen Streitkräfte auf Südossetien Anfang August und die entschlossene russische Reaktion darauf – zeichnet sich bereits jetzt ab: angefangen bei der starken Unterstützung, die Moskaus Vorgehen in der gesamten arabischen Welt gefunden hat, über den Zwiespalt innerhalb Westeuropas und der NATO gegenüber Georgien und der US-Versuche, den Kreml zu bestrafen, bis hin zur Entzauberung des US-amerikanischen Prestiges im postsowjetischen zentralasiatischen Raum. Überall werden derzeit Lehren aus dem jüngsten Kaukasus-Krieg gezogen.

Die russische Militäroperation war insbesondere für die westorientierten politischen Kräfte in den Ländern des Kaukasus und Zentralasiens, die bisher auf den Einfluß und die Machtprojektion der USA gebaut hatten, eine Lektion in Sachen Realpolitik. Washington wurde in der gesamten Region und darüber hinaus als politisch, militärisch und ökonomisch machtloser, dafür aber doppelzüngiger und großmäuliger Popanz bloßgestellt. Für die Verwirklichung der langfristigen US-Ziele zur Etablierung der Kontrolle über diese energie- und rohstoffreiche Region dürfte das katastrophale Folgen haben. In Zukunft wird es für die aufstrebenden Eliten der zentralasiatischen Länder kaum mehr heißen: auf Amerika setzen und Karriere machen. Das Gegenteil dürfte zunehmend der Fall sein. Von dieser Entwicklung profitieren wird voraussichtlich eine regionale Sicherheitsorganisation, die hierzulande kaum bekannt ist: die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organization, SCO).

Vertiefte Zusammenarbeit

China, Rußland, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan sind als ständige Mitglieder in der SCO vereint. Darüber hinaus haben Indien, Iran, die Mongolei und Pakistan einen Beobachterstatus inne. Bereits vor der russischen Militäroperation zum Schutz Südossetiens war bekanntgeworden, daß anläßlich des SCO-Gipfels am 28. August in Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, die SCO eine weitere Aufwertung als regionale Sicherheitsorganisation auf Kosten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) erfahren sollte. Dieses nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion hastig gegründete Auffangbecken für die ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken hat sich in seiner jetzigen Gestalt nicht bewährt. Nun haben die mit Rußland verbündeten Staaten beim jüngsten SCO-Gipfel beschlossen, ihre Zusammenarbeit insbesondere auf dem Gebiet der Sicherheit weiter zu intensivieren.

Die SCO, die im Jahr 2001 gegründet wurde, ist aus der »Schanghaigruppe der Fünf« entstanden, zu der Rußland, China und, mit Ausnahme von Turkmenistan und Usbekistan, die zentral­asiatischen Republiken der ehemaligen Sowjet­union gehörten: Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan. Die Gruppe war 1996 als Forum zur Lösung der alten sowjetisch-chinesischen Grenzdispute entstanden. Als Resultat begannen 1997 diplomatische Verhandlungen über die gemeinsamen Grenzen zwischen den beteiligten Staaten. Die 15 in der Folge unterzeichneten Grenzabkommen wurden als das Übereinkommen von Schanghai bekannt.

Aufgrund des Erfolges der Schanghai-Gruppe beschlossen bereits im Jahr 2001 die Staatschefs der Mitgliedsländer, ihre zwischenstaatlichen Beziehungen auf diplomatischer, wirtschaftlicher, militärischer und technologischer Ebene weiter zu vertiefen. Zugleich verpflichteten sie sich, in der Region gemeinsam den Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus, politischen Extremismus und Separatismus zu bekämpfen und alte ungelöste Streitigkeiten über grenzüberschreitende Rohstoffvorkommen und Wasserreserven beizulegen. 2001 folgte dann unter Aufnahme des sechsten Mitglieds Usbekistan die Gründung der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die ein Resultat der ökonomischen und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten jener Zeit war.

Zur Erinnerung: Der Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 hatte zur Gründung von fünfzehn neuen, unabhängigen Staaten geführt. Fünf dieser ehemaligen Sowjetrepubliken, die »zentral­asiatischen Republiken« – Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan –, haben seither aus einer Reihe von Gründen in der Weltpolitik große Bedeutung erlangt: Erstens haben in einer zunehmend energiehungrigen Zeit die vermuteten gigantischen Gas- und Ölreserven der Region insbesondere bei europäischen und amerikanischen Imperialisten Phantasien und Begehrlichkeiten geweckt.

Zweitens bieten die zentralasiatischen Staaten für den Westen ein Sprungbrett für Operationen gegen den »weichen Unterleib des russischen Bären« und gegen die von separatistischen Unruhen erschütterte Provinz Xinjiang im Westen Chinas. Dies hat zur Wiederbelebung des »Großen Spiels« geführt, bei dem sich im 19. Jahrhundert das britische Weltreich mit dem imperialen Rußland um die fette Beute stritt. Der Zugriff der Briten scheiterte mit der russischen Revolution 1917 und der Gründung der Sowjetunion im Jahr 1922. Im Zweiten Weltkrieg zerbrachen in Stalingrad die Pläne der deutschen Faschisten, mit Hilfe der transkaukasischen Ölquellen ihre Kriegsmaschinerie zu schmieren, ebenfalls an der Sowjetunion; deren Auseinanderbrechen bezeichnete der ehemalige russische Staatpräsident Wladimir Putin »als die größte geostrategische Tragödie des Jahrhunderts«.

Diesmal wird das »Große Spiel« von US-amerikanischen und europäischen Imperialisten gegen China und Rußland »gespielt«, wozu auch die verschiedenen Versuche von »bunten Revolutionen« gehörten, mit denen in den zentral­asiatischen Republiken westliche Marionetten an die Macht gebracht wurden bzw. werden sollten. Hinzu kommen regionale Mittelmächte wie Indien, Pakistan, Türkei und Iran, die ebenfalls bemüht sind, mitzumischen.

Drittens, der Besatzerkrieg von USA und ­NATO in Afghanistan hat weit über die Grenzen Afghanistans hinaus die ganze Region destabilisiert. Nicht nur in den Grenzgebieten Pakistans, auch in den zentralasiatischen Republiken haben sie verstärkt zu Extremismus, Separatismus und Terrorismus geführt.

Nach acht Jahren Jelzin-Regierung (1991–1999) hatte das wirtschaftlich und militärisch stark geschwächte Moskau bei der Gründung der SCO mit akuten Finanzproblemen zu kämpfen, und es hätte sich z. B. gar nicht erlauben können, entlang der unendlich langen Grenze mit China starke Grenztruppen zu unterhalten. Die neuen zentralasiatischen Staaten befanden sich sogar in einer noch schlechteren Finanzlage und mußten sogar Rußland bitten, beim Schutz ihrer Grenzen zu helfen. Moskau kam das nicht ungelegen, konnte es doch so im Rahmen des neuen Abkommens im Einverständnis mit China im zentralasiatischen »nahen Ausland« – ein Euphemismus Moskaus für die ehemaligen Sowjetrepubliken« – etwas von seinem alten Einfluß zurückerlangen. Die zentralasiatischen Regime versprachen sich von der SCO mehr russische Unterstützung gegen islamistische Bewegungen, verbunden mit verstärkter Wirtschaftshilfe und mehr russischen und chinesischen Investitionen. Insbesondere China hat in den letzten Jahren stark in Kasachstan, Tadschikistan, und Usbekistan investiert.

Multipolarität

Bild 1
China war seinerseits an Ruhe, Sicherheit und guten Beziehungen zu seinen zentralasiatischen Nachbarn und Rußland interessiert. Pekings wichtigstes Ziel bestand jedoch darin, einen Fuß in das Zugangstor zu den zentralasiatischen Energieressourcen und zu dessen Märkten für den Absatz chinesischer Güter zu bekommen. Zugleich wollte sich das Land damit die Zusammenarbeit der Nachbarstaaten im Kampf gegen die muslimisch-extremistischen Separatisten in Chinas »Wildem Westen« Xinjiang sichern. Dort strebt eine radikalislamische Bewegung der Uiguren nach einer Abspaltung von China, wodurch das Reich der Mitte im schlimmsten Fall bis zu einem Sechstel seines Staatsgebietes verlieren könnte. Vor diesem Hintergrund hat Peking mit besonderer Sorge das Vordringen der USA nach Zentralasien verfolgt. Daraus folgt der russisch-chinesische Grundkonsens in der SCO, Washingtons wachsendem Einfluß in der Region Einhalt zu gebieten und diesen zurückzudrängen. Das nahm bereits 2005 deutliche Formen an.

Während der »Friedensmission 2005«, der ersten großangelegten russisch-chinesischen Militärübung im Rahmen der SCO vom 18. bis 25. August 2005 auf der chinesischen Halbinsel Shandong, schlugen westliche Medien Alarm über dieses angeblich gegen Interessen des Westens gerichtete Manöver. Zugleich zeigten sich dessen Politiker »besorgt« darüber, daß Rußland und Peking gemeinsam mit ihren zentralasiatischen Verbündeten bereit waren, »Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Stabilität in der Region« zu übernehmen, etwas, woran die Imperialisten naturgemäß nicht interessiert sind. Dies hatte auch der Chef der Moskauer »Internationalen Eurasischen Bewegung« Alexander Dugin erkannt, als er im August 2005 in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti deutlich machte, daß »die amerikanische Vorstellung von einem Weltimperium mit der dominierenden Rolle der USA zunehmend mit der Konzeption der Völker und Länder kollidiert, die eine multipolare der monopolaren Architektur vorziehen. Die amerikanische Spur in den Ereignissen in Georgien, in der Ukraine, in Kirgisien und in Usbekistan zeugt deutlich davon, daß sich die USA ernsthaft mit einer Neuformatierung des postsowjetischen Raums im eigenen strategischen Interesse befassen, gegen die Interessen Rußlands und Chinas, deren Positionen immer verletzlicher wurden.« Deshalb seien Moskau und Peking von den »samtenen Revolutionen im postsowjetischen Raum zu einer ernsthaften, geopolitischen Partnerschaft angespornt« worden.

Strategisches US-Interesse

Die SCO kann inzwischen auf erhebliche Erfolge bei der Zurückdrängung des US-Imperialismus verweisen. Konkret begann dies am 4. März 2005 mit dem Versuch von USA und NATO, das auf »militärische und humanitäre Operationen« für Afghanistan beschränkte Nutzungsmandat für die kirgisische Manas-Basis auf AWACS-Spionageflüge gegen China und andere Länder der Region zu erweitern. Dies wurde von der Regierung Kirgisiens nach Konsultationen mit ihren SCO-Partnern abgelehnt.

Anläßlich ihrer Beratungen in Kasachstan hatte die SCO dann Anfang Juli 2005 die USA und die anderen NATO-Länder aufgefordert, ein Datum für ihren Abzug von den Militärbasen zu nennen, deren Nutzung ihnen von den beiden SCO-Mitgliedern Usbekistan und Kirgisien zum Kampf gegen die Taliban gewährt worden war. Mit diesem Schuß vor den Bug war die US-Strategie, Afghanistan als Vorwand zu benutzen, um die Kontrolle über Zentralasien zu gewinnen, empfindlich getroffen. Schließlich hatten die US-Amerikaner aus ihrer Absicht, die neoliberale Marktwirtschaft notfalls mit Gewalt auch in Zentralasien zu etablieren, keinen Hehl gemacht.

David Tucker, in der Clinton-Administration Direktor im Büro des Staatssekretärs im Pentagon und zuständig für Sonderoperationen und Konflikte unterhalb der Kriegsschwelle, hatte im Sommer 1998 bereits in einem richtungweisenden Artikel in der US-Militärzeitschrift Parameters auf die Bedeutung Zentralasiens hingewiesen. Er argumentierte, die USA sollten sich nicht in vielen kleinen Interventionen verzetteln und schwächen, sondern sich auf die eine Region konzentrieren, »für die es sich wirklich zu kämpfen« lohne: »Generell gibt es nur eine Region in der Welt, wo unsere Sicherheitsinteressen mit der Barbarei zusammenstoßen könnten. Es ist das Gebiet um den Persischen Golf, nördlich bis zum Kaspischen Meer und östlich bis nach Zentral­asien. Diese Region ist ungefähr von der Größe der USA und beherbergt etwa 75 Prozent der Weltölreserven und 33 Prozent der Erdgasreserven.«

Tuckers Empfehlung wurde von der Bush-Administration mit Hilfe des Afghanistan-Feldzugs in die Tat umgesetzt. Im Oktober 2003 unterstrich die Staatsekretärin im US-Außenministerium Elisabeth Jones vor dem US-Kongreß »die großen strategischen Interessen« der Vereinigten Staaten in Zentralasien und betonte, daß diese »nicht von temporärer Natur sind«, also unabhängig vom Krieg in Afghanistan bestehen blieben. Deshalb hätten Washington und seine westlichen Partner »keine Alternative«, »als in der Region Kräfte für den (Regime)Wechsel zu entwickeln«. Dieser Wechsel sollte mit Hilfe westlich finanzierter »Democracy«-Bewegungen auf den Weg gebracht werden.

Der US-Kongreß hat mit den im Rahmen der »Seidenstraßen-Initiative«1 bewilligten Gelder bereits die Weichen für Zentralasien gestellt, um dort die notwendigen marktradikalen wirtschaftlichen »Reformen« durchzusetzen und den Ausbau der Öl- und Gaspipelines in Richtung Westen zu fördern. Vor dem Hintergrund des »bunten« Umsturzversuchs in Kirgisien im März 2005 und der schweren Unruhen in Usbekistan muß daher das von Jones abgegebene Versprechen für die Regierungen in der Region wie eine Drohung geklungen haben.

Rumsfelds Mission

Regierungsgegner in Kirgisien im Jahr 2005: Wie bei »bunten Revo Regierungsgegner in Kirgisien im Jahr 2005: Wie bei »bunten Revolutionen« in anderen postsowjetischen Staaten agierten die USA auch hier im Hintergrund mit (Stadt Osch, 21.3.2005)
Unmittelbar nach der »Befreiung« des irakischen Öls zum Nutzen der US-Konzerne machte sich der US-Verteidigungsminister und Democracy-Prophet Donald Rumsfeld daran, mit seiner »lily pad strategy« (»Seerosen-Strategie«, einem System von kleineren US-Stützpunkten, vorzugsweise Häfen und Flughäfen, die bei Bedarf schnell ausgebaut werden können) auch die reichen zentralasiatischen Energiereserven für die »Demokratie« zu sichern. An verschiedenen Stellen in Zentralasien und um das Kaspische Meer wollte der Pentagonchef US-Basen errichten, die sich dann mit der Zeit »wie Seerosen« vermehren und schließlich den ganzen Teich bedecken sollten. Aber selbst Rumsfelds großer persönlicher Einsatz und sein unermüdlicher Reiseeifer in die Region brachte die amerikanische Sache dort nicht mehr voran. Die US-gesteuerten Unruhen in Kirgisien und Usbekistan hatten bei den Betroffenen ihren bleibenden Eindruck hinterlassen.

Als sich die US-Luftwaffe nach dem 11. September 2001 angeblich zur Unterstützung ihrer Operationen in Afghanistan und zur Bekämpfung des globalen Terrorismus daranmachte, sich im zentralasiatischen Hinterhof Rußlands und Chinas einzunisten, hatte ein russischer General gewarnt: Die Erfahrung habe gelehrt, wenn die Amerikaner erst einmal in einer Region Fuß gefaßt haben, könnten sie nur noch mit Waffengewalt rausgeworfen werden. Daß es doch anders kam, hatte mit dem zunehmenden Einfluß der SCO zu tun. Statt eines Wildwuchses Rumsfeldscher »Seerosen« folgte als nächster Schritt im November 2005 der Rausschmiß der US-Streitkräfte von ihrer einzigen Basis in Usbekistan, Karshi-Khanabad oder »K-2« im US-Jargon. Anschließend kam die Einschränkung der US- und NATO-Aktivitäten auf ihren Stützpunkten in Kirgisien, dessen Regierung bei Zuwiderhandlung mit der Aufkündigung der Basen drohte. Zugleich mußten die Amerikaner eine um ein Vielfaches höhere Pacht bezahlen. Das waren die ersten greifbaren Erfolge der SCO-Politik zur Zurückdrängung der amerikanischen Vorstöße in Zentralasien. Höchst erbost, wetterte Pentagon-Chef Rumsfeld wiederholt gegen diesen »unfreundlichen Akt« des Kremls, den er hinter dieser Entwicklung sah.

Zum Kaukasus-Konflikt

In den letzten Jahren hat sich die SCO kontinuierlich weiterentwickelt und gefestigt. Aber trotz verstärkter wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit und gemeinsamer Militärmanöver, zuletzt in Südrußland auch unter Beteiligung von Tausenden Chinesen, ist die Organisation weit davon entfernt, ein Militärbündnis mit automatischer Beistandspflicht zu sein, wie das bei der NATO der Fall ist. Vielmehr stellt das weite Spektrum der unterschiedlichen ökonomischen, kulturellen, politischen und ideologischen Interessen außerhalb Zentralasiens ein ernstes Hindernis für die SCO dar, starke und umfassende gegenseitige Beistandsverpflichtungen einzugehen. Außerdem verfügt die Organisation nicht über eine (NATO-ähnliche) Struktur, die in Krisenzeiten einen schnellen und entschlossenen Entscheidungsprozeß verspricht. Damit ist die SCO kein zentralasiatisches Gegenstück zur NATO, als welches sie von ungeduldigen Antiimperialisten im Westen vorschnell gefeiert wurde, allerdings ein regionales Gegengewicht, mit dem die USA und NATO zu rechnen haben.

Die Reaktionen der meisten SCO-Mitglieder beim Gipfel in Duschanbe am 28. August auf den jüngsten russisch-georgischen Konflikt einerseits und auf die Anerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens von Georgien durch Rußland andererseits zeigten exemplarisch die unterschiedlichen Sensibilitäten und Interessenlagen. Um die Differenzen im Vorfeld des Gipfels nicht noch zu unterstreichen, hatte Moskau es daher tunlichst vermieden, auch nur den Anschein zu erwecken, seine SCO-Partner zur Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden Provinzen aufzufordern. Letzteres wäre insbesondere aus chinesischer Perspektive nicht akzeptabel gewesen. Angesichts der eigenen Minoritätenprobleme (Taiwan, Xinjiang und Tibet) ist Separatismus für Peking das schlimmste aller Übel. Da die anderen SCO-Mitglieder mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, reagierten auch sie entsprechend abwartend auf die russische Anerkennung der beiden von Stalin der Sowjetrepublik Georgien als autonome Gebiete zugeschlagenen Provinzen Südossetien und Abchasien.

Vom SCO-Gipfel war somit weder eine Anerkennung der beiden kaukasischen Provinzen noch eine scharfe, explizit gegen den Westen gerichtete Deklaration zu erwarten; allein aus ökonomischen Gründen will keines der anderen SCO-Länder es sich wegen dieses Konfliktes nur Rußland zuliebe mit dem Westen verderben. Dagegen durfte Moskau mit einer klaren Unterstützung seines Vorgehens gegen die georgische Aggression rechnen, die es auch bekam.

In ihrem Schlußdokument von Duschanbe verurteilte die SCO nicht nur die US-Raketenabwehrkomplexe in Polen und Tschechien und bekräftigte die von Rußland gegenüber dem Westen seit langem vorgetragene Position, daß »jeglicher Versuch, die eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer zu stärken, schädlich für den Erhalt der globalen Sicherheit und Stabilität ist«. Es verurteilte auch eindeutig Georgien (ohne es beim Namen zu nennen), weil es zur Lösung des Konfliktes »ausschließlich auf eine Gewaltstrategie« gesetzt habe. Zugleich wurde die westliche Strategie zur Ausgrenzung Rußlands kritisiert, denn jede Konfliktpartei müsse in den Verhandlungsprozeß miteinbezogen werden. Explizit begrüßten die Staatschefs der SCO-Länder auch »den in Moskau vereinbarten Sechs-Punkte-Plan zur Konfliktregelung in Südossetien und unterstützen die aktive Rolle Rußlands bei der Friedens- und Kooperationsförderung in dieser Re­gion«, womit sie sich geschlossen hinter Rußlands Reaktion auf die georgische Aggression stellten.

Dennoch haben US-amerikanische Medien das Gipfelergebnis von Duschanbe ins Gegenteil verkehrt. So titelte AP schon frühzeitig: »Asiatische Partner erteilen Rußland eine Abfuhr«, eine Meldung, die auch von den meisten europäischen Medien weiterverbreitet wurde. Als Beweis dafür wird neben der Nichtanerkennung Südossetiens und Abchasiens durch die SCO-Länder die Passage aus dem Schlußdokument angeführt, in der die »ausschließlich auf eine Gewaltstrategie« gerichtete Konfliktlösung verurteilt wird. Damit wird suggeriert, daß Rußland gemeint sei. Doch selbst der hohlköpfigste Journalist sollte wissen, daß es unwahrscheinlich ist, daß Rußland seine Unterschrift unter seine eigene Verurteilung gesetzt hat.

Das Ziel der Medien, der vierten Waffengattung des Westens, wurde trotzdem erreicht: Der Öffentlichkeit wurde die Lüge verkauft, daß die Politik des Westens mit seiner Verurteilung Rußlands korrekt ist, denn Moskau stehe allein und werde sogar von seinen SCO-Partnern kritisiert. Dagegen sah Rußlands Präsident Dmitri Medwedew in der im Schlußdokument von Duschanbe festgehaltenen »einheitlichen Position der SCO-Länder ein Signal für all jene (im Westen), die Georgiens Vorgehen rechtfertigen wollen«.

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1 Silk Road Initiative (SRI), ein 2006 gestartetes Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen in Zusammenarbeit mit Regierungen und privaten Einrichtungen, offiziell zur Förderung der regionalen Kooperation in den Bereichen Handel, Investitionen und Tourismus zwischen der Volksrepublik China und den zentralasiatischen Ländern Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan – d.Red.
Rainer Rupp arbeitete vom Januar 1977 bis zu seiner Verhaftung im Juli 1993 als DDR-Kundschafter unter dem Decknamen »Topas« in der politischen Abteilung im Brüsseler Hauptquartier der NATO, wo er als hoher Beamter angestellt war