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»Das Drohpotential wird vervollständigt«

Die Bundesmarine wird auf Angriffsfähigkeit umgerüstet. Ein Gespräch mit Lühr Henken

junge Welt, 31.08.2006 / Schwerpunkt / Seite 3 
http://www.jungewelt.de/2006/08-31/020.php
 

Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedenratschlag und Beirat der Informationsstelle Militarisierung.

Das ist das Besondere an den beiden Marineschiffen, die sich die Bundeskanzlerin heute ansehen wollte?

Das U-Boot 212 und die Fregatte »Sachsen« sind die Vorzeigestücke der Marine. Sie gehören militärtechnologisch zur Weltspitze. Das U-Boot hat einen extrem leisen Brennstoffzellenantrieb, mit dem es drei Wochen lang unter Wasser bleiben und dabei 22000 Kilometer zurücklegen kann. Die Reichweite der Torpedos wurde von 20 auf 50 Kilometer erhöht. Die »Sachsen« (Typ F124) ist die teuerste Waffe der Bundeswehr überhaupt, das Schiff kostet 730 Millionen Euro. Es hat ein topmodernes Radarsystem und eine effektive Flugkörperabwehr.

Bei den bisherigen Auslandseinsätzen waren es meist Luftwaffe und Heer, die im Zentrum der Aufmerksamkeit standen.

Der Eindruck täuscht. Die Marine kommt mit ihren knapp über 20000 Mann ganz gut weg. Außerdem wird sie zur Zeit mit ausgesprochen schlagkräftigen Waffen aufgerüstet, die extrem teure Spitzentechnologie beinhalten. Nächste Woche wird in Bremen z. B. die zweite von insgesamt fünf neuen Korvetten des Typs K130 getauft. Dieses Schiff ist praktisch die Speerspitze der Marine. Zur Bewaffnung gehören Marschflugkörper für den Landbeschuß, die Ziele in 200 Kilometer Entfernung erreichen können. Zum Vergleich: Damit ließe sich von der Ostsee aus mühelos Berlin beschießen. Oder vom östlichen Mittelmeer aus Damaskus.

Einen »Kampfauftrag« hat die Marine aber bislang noch nicht gehabt.

Die entsprechenden Fähigkeiten erhält sie jetzt erst. Die Bundeswehrplanung sieht ja vor, alle Teilstreitkräfte dahingehend umzubauen, daß sie in Gebieten mit wichtigen Energieressourcen kriegsführungsfähig werden. Deswegen werden keine Schnellboote mehr gebaut, mit denen man im Prinzip nur in der Ostsee kreuzen kann, sondern hochseegängige Fregatten und Korvetten. Auffällig an allen neuen oder im Bau befindlichen Schiffstypen ist auch am U-Boot 212, daß sie den sogenannten Eingreifkräften zugeordnet werden, also den EU-Battlegroups und der schnellen Eingreiftruppe der NATO (NRF). Das sind jene Verbände, denen die harten Kämpfe übertragen werden sollen.

Die Marine soll als erste in den Einsatzgebieten ankommen. Marinesoldaten gehören zu den Einsatzkräften der ersten Stunde.

In Afghanistan und auf dem Balkan braucht man doch aber auch keine Marine?

Es geht darum, das Drohpotential zu vervollständigen, über das die Bundeswehr verfügt. Zu den neuen Kampfschiffen gesellen sich schließlich noch neue Einsatzgruppenversorger. Damit kann ein ganzer Kampfverband 45 Tage lang unterhalten werden. Das ist wichtig für den Fall, daß Nachschub auf dem Land- oder Luftweg nicht gewährleistet wird. Diese Fähigkeit wird die Bundeswehr noch aggressiver machen als bisher.

Ist denn damit zu rechnen, daß die Marine vor der libanesischen Küste tatsächlich einen »Kampfeinsatz« hat?

Da müßte man jetzt spekulieren. Die Frage ist ja, ob ältere Fregatten hingeschickt werden, die vor allem zur U-Boot-Jagd taugen – was in diesem Fall kaum gebraucht würde –, oder ob die neuen Modelle zum Einsatz kommen, die auch gegen Flugzeuge einsetzbar sind. Ich gehe aber sowieso davon aus, daß schon die martialische Präsenz der Marine jeden potentiellen Waffenschmuggler dazu veranlaßt, seine Waren lieber auf dem Landweg in den Libanon zu bringen. Und gegen Israel wird die Bundeswehr sowieso nicht vorgehen.

Welchen Sinn hat dann der Einsatz für die Marine?

Zunächst geht es natürlich darum, den Nachschub für die Hisbollah zumindest zu erschweren. Es handelt sich hier aber insofern um eine Solonummer, als die deutsche Marine erstmals die Führung einer multinationalen Seeoperation übernimmt, bei der sie ausdrücklich zur Gewalt berechtigt ist. Nicht vergessen sollte man schließlich den größeren Zusammenhang: Sind deutsche Kriegsschiffe erst einmal vor Libanon, verstärken sie auch die US-amerikanische Drohkulisse gegen den Iran. Sollten die USA den Iran angreifen, könnte sich die deutsche Marine der Forderung nach Flankenschutz kaum entziehen.

Interview: Frank Brendle