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30.06.2001
Ist die Milosevic-Auslieferung ein Sieg für das Völkerrecht?
junge Welt sprach mit Hans Köchler*

* Hans Köchler ist Professor für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsphilosophie an der Universität Innsbruck. Er ist Spezialist für Internationale Beziehungen und Präsident der International Progress Organization (IPO), eine Konsultativorganisation der UNO mit Sitz in Wien

F: Die Auslieferung des früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic an das UN- Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wird international überwiegend als »Sieg der Demokratie« und »Durchsetzung des Rechts« gefeiert. Wie bewerten Sie die Ereignisse in Belgrad?

Ich teile diese Meinungen nicht, weil das sogenannte Kriegsverbrechertribunal in Den Haag selbst keine Rechtsgrundlage für seine Tätigkeit hat. Es beruht auf einer Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Dieser ist aber nicht zuständig für rechtliche Angelegenheiten. Er hat damals in einer Sache, für die er keine Kompetenz besitzt, entschieden. Insofern fehlt Den Haag von Anfang an eine Rechtsgrundlage. Deshalb war sowohl die Anklage im Jahr 1999 als auch die Auslieferung am Donnerstag völkerrechtlich nicht gedeckt.

F: Kann Milosevic in Den Haag einen fairen Prozeß erwarten vor dem Hintergrund, wie seine Auslieferung zustande gekommen ist?

In keiner Weise. Es wird ja schon seit Jahren politisch in einer ganz einseitigen Form Stimmung gemacht. Zudem steht das Haager Tribunal politisch mehr oder weniger unter dem Einfluß der mächtigen Staates des Sicherheitsrates, also der sogenannten westlichen Welt. Selbst wenn das Tribunal kompetent wäre, was es nicht ist, könnten die Richter aus meiner Sicht nicht unabhängig reagieren.

Was die Umstände der Auslieferung betrifft, ist offensichtlich, daß die jugoslawische Verfassung mißachtet wurde. Man kann natürlich sagen, es ist eine innere Angelegenheit, ob sich eine Regierung an die Verfassung hält oder nicht. Dennoch, die Sache ist ganz eindeutig. Die Auslieferung hätte nach den internen jugoslawischen Reglements nicht stattfinden dürfen. In Belgrad wurde zudem ein Beschluß des dortigen Verfassungsgerichtshofes mißachtet. Man muß schon fragen, wozu es in einem Staat einen Verfassungsgerichtshof gibt, wenn sich die Regierung schlicht und einfach über dessen Entscheidung hinwegsetzt.

F: Zoran Djindjic kann sich auf den Standpunkt stellen, sein Rechtsverständnis sei identisch mit dem der NATO- Staaten, die beim Krieg gegen Jugoslawien vor zwei Jahren nationales und internationales Recht ignoriert haben.

Die jetzige Regierung hat sich da möglicherweise auf die gleiche Ebene begeben, denn der Krieg, der 1999 von der NATO geführt worden ist, war natürlich ohne jegliche völkerrechtliche Legitimation.

Aber die Ironie bei dem Ganzen ist ja folgende: Durch einen rechtswidrigen Krieg, also den Aggressionskrieg 1999, den man sich erst nachträglich von der UNO hat sanktionieren lassen, hat man die Infrastruktur eines ganzen Landes zerstört, man hat Akte von Kriegsverbrechen gesetzt, man hat das Land in einen Zustand der Armut hineingebombt, und in diesem Zustand der Abhängigkeit und der Verheerung wird das Land erpreßt, indem man sagt, entweder ihr kooperiert und liefert den ehemaligen Staatschef aus oder es gibt keine Hilfe. Das ist Menschenhandel auf höchster Ebene. Der Präsident wird an den Meistbietenden verkauft. Das ist erniedrigend für das ganze Land und noch nie dagewesen. Und das Ganze ist illegal geschehen, gerade rechtzeitig vor der Geberkonferenz in Brüssel.

Interview: Rüdiger Göbel

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