DER SPIEGEL 29/2001
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Djindjic schlägt Alarm
 
"Wir brauchen aufrichtige Hilfe"

Serben-Premier Zoran Djindjic fühlt sich vom Westen düpiert. Im Interview klagt er über Brüssels groteske Blockademanöver bei der Auszahlung internationaler Aufbauhilfen und warnt vor neuen Krisen auf dem Balkan.

SPIEGEL: Sie haben das Risiko der Auslieferung Milosevics an das Kriegsverbrecher-Tribunal auf sich genommen. Hat es sich gelohnt?

Djindjic: Wir haben keine Bedingungen für die Auslieferung gestellt. Damit wollten wir unseren guten Willen für die Integration in die Internationale Gemeinschaft zeigen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich über die Farce der "westlichen Hilfen", die insgesamt 1,3 Milliarden Dollar betragen sollen, schockiert bin ...

SPIEGEL: ... was heißt Farce? Es geht doch um einen schönen Batzen Geld.

Djindjic: Besser, die Donatorenkonferenz hätte überhaupt nicht stattgefunden und man hätte uns 50 Millionen Mark in die Hand gedrückt. Wir versuchen hier, das Land zu reformieren und trotz der Nato-Bombardierung prowestlichen Kurs zu propagieren - und in Brüssel sitzen zehn Bürokraten, die nach dem Motto handeln: Wenn das Licht ausgeht, wird gebremst.

SPIEGEL: Können Sie das genauer erklären?

Djindjic: Im August sollten wir eine erste Rate von 300 Millionen Euro erhalten. Plötzlich wird uns mitgeteilt, dass davon gleich 225 Millionen Euro Schulden einbehalten werden, die teils noch von Tito gemacht wurden. Zwei Drittel der Summe sind "Strafzinsen", weil Milosevic sich zehn Jahre weigerte, diese Kredite zurückzuzahlen. Die restlichen 75 Millionen Euro erhalten wir frühestens im November ausgezahlt. So seien eben die Prinzipien im Westen, wurde uns gesagt. Das heißt: Man gibt einem Schwerkranken die Medizin, wenn er tot ist. Unsere Krisenmonate sind Juli, August und September.

SPIEGEL: Fürchten Sie einen Sturz Ihrer Regierung?

Djindjic: Wenn wir nicht sofort eine Finanzspritze erhalten, kriegen wir spätestens im September Demonstrationen und soziale Unruhen. Denn wir konnten unsere Versprechen nicht erfüllen. 330.000 Familien leben mit einem Einkommen unter 40 Mark monatlich, 600.000 Flüchtlinge lasten auf unserem Budget, und 100.000 Menschen werden durch die von westlichen Kreditgebern geforderte Transformation der Wirtschaft ihren Arbeitsplatz verlieren. Es gibt keine Investitionen, nichts wird gearbeitet, nichts gebaut. Auf der anderen Seite sitzen Milosevics sozialistische Altkader immer noch in entscheidenden Funktionen der Wirtschaft und wollen, dass das Land im Chaos versinkt.

SPIEGEL: Die Sozialisten gewinnen offenbar wieder an Boden. Könnten sie erneut zu einer Gefahr für das Regierungsbündnis der DOS-Demokraten werden?

Djindjic: Sozialisten und Radikale würden bei Wahlen sicher einen Stimmenzuwachs verzeichnen. Hinzu kommt Jugoslawiens Präsident Kostunica mit seiner skeptischen Einstellung gegenüber dem Westen und seiner ständigen Warnung, dass von den versprochenen Geldern nichts eintreffen werde ...

SPIEGEL: ... und der Sie wegen der Auslieferung Milosevics als Putschist beschimpfte, der Schande über das Land brachte.

Djindjic: Etwas mehr Loyalität von seiner Seite würde mir sicher gut tun. Gefährlich ist allerdings, wenn durch solche quasipatriotischen Statements die antiwestlichen Traumata in der Bevölkerung wieder erwachen. Dann schließe ich nicht aus, dass eine neue Regierung, vielleicht sogar der Radikalenführer µeselj, die erste Ratenzahlung des Hilfspakets erhält. Ich wollte mit der Wirtschaft Prioritäten setzen und andere Probleme abschwächen. Und ich warne den Westen ernsthaft: Wenn meine Regierung fällt, kostet dies die Internationale Gemeinschaft zehn Milliarden Dollar.

SPIEGEL: Kommt es zu einem neuen Krieg?

Djindjic: Es wird zu Krisen kommen in der Vojvodina, in Montenegro, im Kosovo, im Sandzak, in Südserbien. Die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal wird nicht mehr existieren. Und wie immer werden Hunderttausende von Flüchtlingen das Weite suchen. Aber dafür ist dann Geld in den Budgets der westlichen Regierungen vorhanden. Niemand wird sich fragen: Hätte man die Krise verhindern können? Jeder wird in das Credo einstimmen, dass sich der Balkan nicht beruhigt. Was wir brauchen, ist aufrichtige Hilfe, nicht leere Sympathiebekundungen. Als ich Oppositioneller war, hatte uns die Europäische Union drei Milliarden Mark in Cash für den Sturz von Milosevic versprochen. Wo sind die?

SPIEGEL: Sie wollten zurücktreten, wäre die Auslieferung von Milosevic an das Tribunal gescheitert. Werfen Sie alles hin, wenn die westlichen Finanzminister nicht einlenken?

Djindjic: Ich kann nicht ständig gegenüber unserer Bevölkerung von der Hilfe des Westens sprechen, wenn wir hier nichts spüren. Damit verliere ich meine Glaubwürdigkeit und kann das Land nicht stabilisieren. Warum sollte ich das Risiko eingehen, dass meine Familie durch eine Autobombe getötet wird, wenn hier ohnehin alles wieder auf null gesetzt wird?

SPIEGEL: Werden Sie den General Mladic an das Haager Tribunal ausliefern, wenn er sich wieder mal in seinem Belgrader Domizil aufhält?

Djindjic: Es müssen doch wohl nicht alle Probleme dieser Region auf meinem Rücken ausgetragen werden. Ich hoffe, dass ich ihn nicht treffe.


 


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