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Jürgen Rose

Den Bruch riskieren

EIN FRAGE DER KÜNFTIGEN WELTORDNUNG - Warum die Europäer an einem Scheitern der Amerikaner im Irak interessiert sein sollten

Freitag, 19.12.2003

In den USA zeichnete sich im November erstmals eine knappe Mehrheit ab, die Zweifel am Kurs der Bush-Administration im "Krieg gegen den Terror" erkennen ließ und den Präsidenten aufforderte: "Bring our boys home". Noch ist nicht absehbar, ob die Festnahme Saddams diesen Trend wieder umkehrt. Nur reibt man sich schon verwundert die Augen, wenn parallel dazu in Teilen der deutschen Medien eine regelrechte Kampagne läuft, um den US-Kolonialkrieg gegen den Irak zu flankieren. Nach allen Regeln der PsyOps (Psychological Operations) - im Kalten Krieg nannte man das "Psychologische Kriegführung" - wird versucht, einem gutgläubigen Publikum weiszumachen, ein Scheitern der Besatzungsmacht im Irak läge nicht im Interesse Europas. Offenbar soll eine populistisch angehauchte Drohkulisse gegenüber europäischen Regierungen aufgebaut werden, die sich dem amerikanischen Völkerrechtsverbrechen (noch) verweigern. Mit dem Elend der Iraker wird dabei ebenso argumentiert wie mit den Opfern unter den Besatzungstruppen. Deren Abzug, so die Lesart, würde im Irak einen Alptraum heraufbeschwören: Bürgerkrieg, die Intervention von Nachbarstaaten, eine neuerliche Diktatur und islamistischen Terror. Dieser Alarmismus mündet zumeist in die Forderung, dem großen Alliierten entweder mit Geld oder Truppen - am besten mit beidem - beizustehen.

Gerade einmal 230 Millionen Euro wollten die Europäer auf der kürzlichen Geberkonferenz in Madrid für den Irak vorhalten. Nicht nur ein Affront gegenüber Amerika, wohl auch ein Indiz für das neue Selbstbewusstsein, zu dem sich die EU in Teilen durchringen konnte. Was die Dislozierung zusätzlicher Truppen in den Irak angeht, beißt die Washingtoner Administration - sieht man von bereits stationierten Kontingenten aus einigen NATO-Staaten ab - bei den übrigen Europäern weiterhin auf Granit.

Auch die Bundesregierung hat sich in dieser Hinsicht als bemerkenswert, für manchen Zeitgenossen gar unerwartet konsequent erwiesen - allerdings zum Preis sicherheitspolitischer Ersatzhandlungen in Afghanistan. Das Risiko eines ausgeweiteten Engagements dort erscheint Berlin in Anbetracht der erheblich eisenhaltigeren Luft im Irak offenbar akzeptabler. Zudem bestehen traditionell gute Beziehungen zwischen Berlin und Kabul. Außerdem gibt es für die NATO-geführte ISAF-Mission ein Mandat der UNO.

Weil das irakische Drama die Europäer nicht nur berührt

Entgegen den Suggestionen unerschütterlicher Atlantiker liegt eine erfolgreiche Inkorporation der blitzkriegsartig eroberten Republik Irak in das Imperium Americanum keineswegs im Interesse Europas. Im Gegenteil, gewichtige Gründe lassen ein möglichst desaströses Scheitern der imperialen Ambitionen als notwendig erscheinen. Aus Sicht der EU kann es nur darum gehen, dem Trend zu einer ökonomischen Kolonialisierung des Planeten mit militärischen Mitteln - und darum geht es im Kern - unter allen Umständen entgegenzuwirken. Eine erfolgreiche Unterwerfung des Irak würde einer globalen Hegemonie der USA weiteren Vorschub leisten und den (Präventiv-)Krieg als völkerrechtskonformes Instrument der Außenpolitik legitimieren.

Darüber hinaus birgt jede Beihilfe zu diesem kolonialen Abenteuer, wie der Blutzoll unter den "willigen Koalitionären" bezeugt, auch andere, nicht unerhebliche Gefahren. Es gerät ins Fadenkreuz des islamistischen Terrors, wer sich an der Seite der Imperialmacht exponiert. Großbritannien, Spanien, Italien und zuletzt die Türkei haben diese Erfahrung bereits hinter sich. Der EU sollte daraus die Konsequenz ziehen, sich gegenüber der islamischen Welt als eigenständiger Akteur zu präsentieren und realistische Alternativen anbieten. Allein schon deshalb, weil das irakische Drama die Europäer nicht nur berührt, sondern trifft. Mit der Eroberung des Landes haben sich die USA eine unschätzbare geo-ökonomische und -strategische Schlüsselposition in einer der ölreichsten Regionen gesichert: Künftig können sie wie selten zuvor auf die Preis- und Lieferpolitik der OPEC Einfluss nehmen. In Washington dürfte fortan entschieden werden, wer auf dem Weltmarkt wie viel Öl zu welchem Preis in welcher Währung erhält - für die eigene Wettbewerbsfähigkeit gegenüber europäischer und asiatischer Konkurrenz eine höchst komfortable Position. So wird irakisches Öl, das Saddam Hussein zuletzt nur noch gegen Euro verkauft hatte, mittlerweile wieder ausschließlich in Dollar fakturiert - ganz so wie in einem 1974 zwischen den USA und der OPEC geschlossenen Geheimabkommen festgelegt. Und diese Dollars müssen in den Ökonomien Europas und Asiens qua Export primär in die USA verdient werden. Dazu kommt, dass eine erfolgreiche Absicherung der irakischen Eroberung den US-Ölkonzernen die ungestörte Ausbeutung der Öl-Bonanza für Jahrzehnte garantiert, wie überhaupt die US-Ökonomie am Wiederaufbau des zermürbten Landes glänzend verdienen soll - so jedenfalls ließ es Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz soeben anklingen.

Weil die Schiiten ihr Öl nicht trinken können

Es zeigt sich, dass ein amerikanischer Triumph im Irak weder im Interesse Europas noch der restlichen Welt liegen kann. Wünschenswert erscheint ein erzwungener Rückzug, dessen psychologische Folgen der Niederlage in Vietnam von 1975 nahe kommen. Nur dies böte die Gewähr, die imperialen Obsessionen der Neocons nachhaltig zu desavouieren.

Was aber wären die Konsequenzen einer solchen Entwicklung für den Irak? Zögen die Besatzungstruppen ab, wäre aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer schnellen Machtübernahme durch die schiitische Mehrheit zu rechnen. Das muss nicht zwangsläufig Bürgerkrieg bedeuten, da eine schiitische Regierung zum einen den während der Sanktionszeiten etablierten Autonomiestatus der Kurden im Nordirak garantieren, zum anderen aber auch der sunnitischen Minderheit gewisse Schutz- und Partizipationsrechte einräumen würde. Die bislang herrschenden Sunniten müssten ein solches Angebot wohl zähneknirschend akzeptieren, denn einen gewaltsam ausgetragenen Konflikt mit den Schiiten könnten sie nur verlieren. Dass schiitische Politiker zu intelligenter Machtpolitik fähig sind, beweisen sie seit 1979 in Teheran.

Bleibt das häufig genannte Risiko einer türkischen Intervention gegen einen kurdischen Autonomiestatus im Nordirak. Doch warum sollte es dazu kommen? Ankara würde seinen Beitrittsambitionen zur EU einen irreversiblen Schaden zufügen und durch einen möglicherweise lang andauernden Besatzungskrieg die nicht eben florierende türkische Volkswirtschaft vollends ruinieren.

Eine Rückkehr zur Souveränität ist also durchaus eine realistische Alternative zur Kolonisierung des Irak. Genau dies aber trachten die USA mit ihrem Prokonsul Bremer zu verhindern - allen Demokratiebeteuerungen zum Trotz. Für die mit Hilfe der Millionenspenden von Ölkonzernen und Rüstungsindustrie ins Amt gehievte Bush-Administration wäre ein Szenario, bei dem sich die ergiebigsten Ölressourcen des Planeten in der Hand zweier schiitischer Regierungen - in Teheran und Bagdad - befänden, schlicht der geostrategische Super-GAU. Aus europäischer Sicht stellt sich das ganz anders dar, pflegt die EU doch seit Jahren ein gutes Verhältnis zu Iran, das auf einer geduldigen und ausgewogen Politik des Dialogs beruht und bescheidene Früchte trägt. Da zudem die Schiiten ihr Öl nicht trinken können, werden sie es wohl oder übel verkaufen müssen - und in dieser Lage dürfte sich Europa wohl als Kunde erster Wahl erweisen.

(wird fortgesetzt)

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen