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Menschenrechtskriegspropaganda

Zum selektiven Umgang mit Menschenrechten am Beispiel Irak und Sudan

Joachim Guilliard, 18.5.2007
(eine etwas kürzere Version des Artikels erschien in Ossietzky 10/2007, http://www.sopos.org/aufsaetze/465065d474a39/1.phtml )

„Europa hat es versäumt, effektive Schritte zu unternehmen“, um die Regierung „dazu zu bewegen, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen von ihren eigenen Truppen und ihr nahestehenden Milizen“ zu stoppen, klagte der ehemalige EU-Kommissar Chris Patten am vierten Jahrestag des Irakkrieges in der Süddeutschen Zeitung. „Während dieser Zeit wurden mehr als zwei Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und mehr als 200.000 Zivilisten getötet.“ Der Brite, der nun Vorsitzender des transatlantischen Think Tanks „International Crisis Group“ (ICG) ist, wetterte: „Worte sind nicht genug“ und forderte harte Sanktionen gegen die Verantwortlichen. [1] Wenig später stieß Ex-Außenminister Joseph Fischer in seiner Funktion als Vorstandsmitglied der ICG in der Frankfurter Rundschau in das selbe Horn. [2]

Natürlich richten sich die Sanktionsforderungen nicht gegen die Regierungen Bush und Blair, und die Rede ist auch nicht von den Opfern im Irak. Pattens und Fischers energische Worte gelten vielmehr der sudanesischen Krisenregion Darfur. Doch die Zahlen gleichen sich. Im selben Zeitraum, von dem die beiden Herren sprechen, wurden auch im Irak über zwei Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Die Zahl der Todesopfer war sogar über drei mal so hoch: Ungefähr 650.000 Iraker und Irakerinnen waren, wie eine wissenschaftliche Studie ergab, bis Juni 2006 Opfer von Krieg und Besatzung geworden. Die Zahl hat sich Jahr für Jahr fast verdoppelt, und so steht zu befürchten, daß die Millionengrenze bald überschritten sein wird.

Während die einseitigen Schuldzuweisungen gegen den Sudan auch nach Ansicht einer Untersuchungskommission der UNO nicht haltbar sind, gibt es keinen Zweifel, wer in erster Linie für die Toten im Irak verantwortlich ist. Dennoch dient die Krise in Darfur als Anlaß für eine breite Kampagne gegen den Sudan, dieweil man ähnlich engagierte Reaktionen gegen den massenhaften Mord in Irak vergeblich sucht.

Die Zahl der Opfer im Darfur war nach der selben Methode geschätzt worden wie im Irak, zum Teil sogar von den selben Wissenschaftlern. Während die so ermittelte Zahl von 200.000 Toten sich in Resolutionen des Sicherheitsrates wiederfindet und Grundlage einer breiten, auch von liberalen Blättern wie der SZ und der FR mitgetragenen Kampagne gegen den Sudan ist, wurde die im letzten Oktober von der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Irak-Studie von westlichen Politikern und Medien als spekulativ verworfen und in den Medien größtenteils ignoriert.

Hunderte Hilfs-, Menschenrechts- und andere Nichtregierungsorganisationen haben sich in weltweiten Koalitionen wie „Die Welt für Darfur“ (www.globefordarfur.org) oder Save Darfur Coalition (www.savedarfur.org) zusammengeschlossen, um in gemeinsamen Kampagnen eine stärkere westliche Intervention einzufordern. Die Liste der Beteiligten ist beeindruckend, sie reicht vom American Jewish Committee über Amnesty International, das Genocide Intervention Network, Human Rights Watch und die Gesellschaft für bedrohte Völker bis zur World Evangelical Alliance. Es ist die mit Abstand breiteste und aktivste humanitäre Bewegung der letzten Jahre.

In ihrer einseitigen Frontstellung erinnern die Kampagnen stark an die gegen Jugoslawien. Ein Konflikt mit vielen internen und externen Akteuren wird reduziert auf ein einfaches Freund-Feind-Schema, bei dem die Opfer unschuldige „Afrikaner“ und die Täter regierungsnahe „Araber“ sind. Wie damals erhalten die Kampagnen in den Medien breiten Raum und Unterstützung namhafter Persönlichkeiten, die angesichts der derzeit „größten humanitären Katastrophe“ ein sofortiges Eingreifen zur moralischen Pflicht erklären. So die Schauspielerin Mia Farrow, Goodwill-Botschafterin des UN-Kinderhilfswerks (UNICEF), die im Magazin Die Zeit es für „unannehmbar“ erklärte, „daß wir angesichts des ersten Völkermords in diesem Jahrhundert immer noch nicht handeln“. An Superlativen wird nicht gespart. [3]

Auch Kofi Annan legt sich im Fall Darfur mächtig  ins Zeug: Wie könne „eine internationale Gemeinschaft, die für sich in Anspruch nimmt, die Menschenrechte zu schützen, diese Gräuel zulassen“, so der jüngst aus dem Amt geschiedene Generalsekretär der UNO im Grußwort zu einer Aktionswoche in Berlin.

Mehr als ein Jahr, nachdem man sich auf das Prinzip „Verantwortung für den Schutz“ (‚Responsibility to Protect’) geeinigt habe, „zeigen die Ereignisse in Darfur, dass wir bei seiner Umsetzung versagen, so wie wir auch bei den Katastrophen von Bosnien und Ruanda versagt haben,“ wetterte Annan. „Sechzig Jahre nach der Befreiung der nationalsozialistischen Todeslager und dreißig Jahre nach den Killing Fields von Kambodscha hat das Versprechen des »Nie wieder« einen hohlen Klang.“ [4] Starke Worte für einen Politiker, der sich in seiner Amtszeit bezüglich Krieg und Besatzung im Irak sehr zurückgehalten und die Möglichkeiten seines Amtes nie ausgeschöpft hat.

Regierungsnah

Die maßgeblichen Gruppen, wie die ICG, firmieren zwar als Nichtregierungsorganisationen, bei näheren Hinsehen ist es mit ihrer Unabhängigkeit aber nicht weit her. So wie Patton und Fischer sind auch viele weitere führende Köpfe der ICG ehemalige Regierungsmitglieder westlicher Staaten. So hatten die Initiatoren der ICG-Kampagne „Enough“ („Genug”), Gayle E. Smith und John Prendergast, wie auch der internationale Chefkoordinator der Save Darfur Coalition, Lawrence Rossin, unter US-Präsident Bill Clinton führende Positionen im State Department inne und waren Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates.

Dass vor allem hochrangige Mitarbeiter Clintons hier eine führende Rolle spielen, ist kein Zufall. Die Clinton-Administration hatte bereits in den 90er Jahren auf einen Regimewechsel in Khartum hingearbeitet und dazu bedenkenlos die Rebellenorganisationen wie auch benachbarte Militärregime unterstützt – übrigens in engem Zusammenwirken mit evangelikalen und jüdischen Gruppen, die mit den nichtislamischen Rebellen sympathisieren. [5] Diese Gruppen bilden heute auch die stärkste Basis der Save Darfur Coalition.

Die Aktionswoche, über die Annan die Schirmherrschaft übernommen hatte, war vom Jüdischen Museum Berlin zusammen mit Human Rights Watch organisiert worden.[6] Zahlreiche prominente Politiker, darunter Joseph Fischer, Bundespräsident a.D. Richard von Weizsäcker und der ehemaligen Innenminister Gerhart Baum waren gekommen, um unter dem Motto »Darfur: Verbrechen gegen die Menschlichkeit« über sudanesische Menschenrechtsverletzungen und „die Verantwortung der Völkergemeinschaft für Darfur“ zu diskutieren.

[Wie zu erwarten, war, wo soviel von "Verantwortung" die Rede ist, der Ruf nach einem militärischen Eingreifen nicht weit. Gerhart Baum, von 2001 bis 2004 UNO-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte im Sudan, schlug ein militärisch durchzusetzendes Flugverbot über Darfur vor. John Prendergast, der Chefberater der International Crisis Group in Sachen Darfur drängte darauf, eine neue diplomatischen Offensive mit der Vorbereitung militärischer Schritte zu verbinden.[7] Selbst die beiden Vertreter von Human Rights Watch konnten sich Militäreinsätze gegen den Sudan als notwendiges Mittel vorstellen.[8]]

Partner und Unterstützer der Veranstaltungsreihe im jüdischen Museeum waren neben der Save Darfur Coalition, u.a. auch die Evangelische Kirche (EKD) und der Zentralrat der Juden in Deutschland, die Heinrich-Böll- und die Konrad-Adenauer-Stiftung. Keine dieser Organisationen hat jemals eine Veranstaltung mitgetragen, die die Verantwortung für die katastrophale Situation im Irak und die Menschenrechtsverletzungen der Besatzer behandelt oder gar den Irakkrieg als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ thematisiert hätte.

An sich sollte man erwarten, dass sich all die humanitär engagierten Gruppen in New York, Washington, London oder Berlin hauptsächlich für das verantwortlich fühlen, was die eigene und die verbündeten Regierungen in anderen Ländern anrichten. Keine hat sich jedoch jemals ähnlich intensiv mit der Frage der Verantwortung für die katastrophale Situation im Irak und die Menschenrechtsverletzungen der Besatzer bemüht oder gar den Irakkrieg als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeprangert.

Die Diskrepanz zwischen der großen moralischen Inbrunst, mit der die Situation in Dafur angeprangert wird, und der breiten Ignoranz gegenüber dem Leiden der irakischen Bevölkerung deutet darauf hin, dass Mitgefühl und Menschenrechte allein kaum die treibende Kraft hinter dem Darfur-Engagement sein können. Wenn in Darfur von Völkermord, im Irak dagegen von Bürgerkrieg und einem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt geredet wird, so liegt das hauptsächlich daran, welchen Akteuren man sich politisch verbunden fühlt und welchen nicht. Das Bild von den gewalttätigen „Arabern“ gegen eine unschuldige „afrikanische“ Bevölkerung in Darfur passt zudem perfekt in das gängige Muster des „Krieges gegen den Terror“. [9] Feind ist ein rohstoffreicher Staat, der sich westlichen Interessen nicht unterordnen will.

Allgemein richten sich die Forderungen nach einem energischeren Eingreifen selbstverständlich an die europäischen Staaten und die USA. Ob Kofi Annan oder Human Rights Watch – keinem der wackeren Streiter für die Menschenrechte fiel offenbar auf, wie grotesk es ist, ausgerechnet die Staaten zum Eingreifen im Sudan aufzufordern, die direkt oder indirekt für die Gräuel im Irak verantwortlich sind.

Wir sollten sie mit den Forderungen des spanischen Richters Baltasar Garzón konfrontieren, der anläßlich des vierten Jahrestages des Irakkrieges in der spanischen Tageszeitung El Pais verlangte, endlich US-Präsident George W. Bush und seinen Helfern wegen Kriegsverbrechen im Irak den Prozeß zu machen. „650.000 Tote sind ein ausreichendes Argument, um sofort und ohne Zögern mit Ermittlungen zu beginnen“, fügte der Richter, der einst durch die hartnäckige Verfolgung des chilenischen Diktators Pinochet international bekannt wurde, hinzu. „Anstatt des Krieges zu gedenken", fuhr Garzón fort, „sollten wir entsetzt sein, anklagen und gegen das gegenwärtige Massaker demonstrieren, das als Konsequenz aus diesem Krieg entstand.“ [10]


[1] Chris Patten, „Brennpunkt Darfur - Worte sind nicht genug“, Süddeutsche Zeitung, 21.3.2007

[2] Joseph Fischer, „Darfur - die EU muss endlich handeln“, Frankfurter Rundschau, 3.4.2007.
Übersetzungen des Artikels erschienen u.a. im britischen Guardian (29.4.2007), in der spanischen La Razón (30.4.2007) der französischsprachigen L'Orient-Le Jour (2.5.2007), der arabischen Al Rayah (Qatar, 6.5.2007), der rumänischen Adevarul (11.5.2007) und der schwedischen Dagens Nyheter (8.5.2007)

[3] Mia Farrow, „Wir müssen den Völkermord stoppen“, DIE ZEIT, 14.09.2006

[4]Darfur: Verbrechen gegen die Menschlichkeit Eine Veranstaltung des Jüdischen Museums Berlin in Kooperation mit Human Rights Watch Deutschland, 20.3.2007

[5]’Das Misstrauen in Khartum ist berechtigt’ – Evangelikale Rechtsgruppen beeinflussen Washingtons Politik gegenüber Sudans Regierung. Interview mit Helmut Strizek, Neues Deutschland, 26. Februar 2007

[6] Konferenzprogramm siehe http://www.juedisches-museum-berlin.de/darfur/konferenz.html

[7] Tonmitschnitt siehe Konferenzprogramm a.a.O. Siehe auch Experts, Activists Urge Bush to Take Stronger Action on Darfur, Voice of America 20.4.2007 sowie  Crisis in Darfur , Interview John Prendergast, 4.1.2005

[8]Was tun im Sudan? – Bei der Darfur-Konferenz im Jüdischen Museum in Berlin wurde es erfreulich konkret“, taz vom 17.3.2007

[9] Ähnlich, aber mit anderer Zuspitzung, sieht dies auch Mahmood Mamdani in “The Politics of Naming: Genocide, Civil War, Insurgency”, London Review of Books, 8.3.2007

[10]Spanischer Richter fordert, die Verantwortlichen der Irakinvasion wegen Kriegsverbrechen anzuklagen“, WSWS, 18. April 2007