Programm des nationalen Widerstands

Verbindlicher Plan für Besatzerabzug, Bildung einer Interimsregierung und Annullierung aller Ölverträge
Von Joachim Guilliard
junge Welt, 03.03.2008 / Schwerpunkt / Seite 3
 
Die Vorschläge westlicher Experten zur Beendigung des Irak-Krieges decken sich in vielem mit denen, die aus den Reihen des politischen und militärischen Widerstands im besetzten Zweistromland kommen. Erstere gehen jedoch meist davon aus, daß man die Iraker auf keinen Fall sich allein überlassen darf und bauen stark auf Hilfe von außen. »Die schlechteste und gefährlichste Politik« sei »eine Politik des Rückzugs und Vergessens«, heißt es auch in den Vorbemerkungen zum Plan der schwedischen Transnational Foundation for Future & Peace (TTF), den junge Welt am 27.2. an dieser Stelle dokumentiert hatte. Iraker haben diesbezüglich eine andere Sichtweise. Natürlich sollen die Verursacher der Katastrophe, allen voran die USA, nicht einfach aus der Verantwortung entlassen werden. Dennoch würden die Bewohner des Zweistromlandes einen raschen Rückzug einer weiteren Besatzung absolut vorziehen. Die nächst bessere Option wäre ein phasenweiser Rückzug nach einem abgesprochenen Zeitplan, auch ohne sonstige Zugeständnisse Washingtons und seiner Verbündeten. Das ist vor dem Hintergrund der US-Geschichte und der globalen Machtverhältnisse wahrscheinlich das Beste, was man der Supermacht abringen kann.

Die Überlegungen der irakischen Opposition konzentrieren sich auf interne Lösungen ohne größere äußere Einmischung. Die Pläne sind schon weit gediehen. So diskutieren seit Frühjahr 2005 mehr als hundert Vertreter verschiedenster Gruppierungen, Wissenschaftler und prominente Persönlichkeiten im Rahmen der »Nationalen irakischen Initiative zur bedingungslosen Beendigung der Besatzung« über detaillierte Pläne für ein Ende der Okkupation sowie die Zeit danach. Die Schirmherrschaft hat Dr. Khair El-Din Haseeb. Der Generaldirektor des renommierten Beiruter »Centre For Arab Unity Studies« (CAUS) hatte, bis er 1974 ins Exil ging, hohe Ämter in Bagdad bekleidet, darunter das des Zentralbankchefs. Im September 2006 erschienen die Vorschläge, inklusive den Entwürfen einer neuen Verfassung und eines neuen Wahlgesetzes, als 250 Seiten starkes Buch mit dem Titel »Iraks Zukunft planen: ein detailliertes Projekt zum Aufbau des Iraks nach der Befreiung«.[1]

Die Bedeutung der Initiative liegt darin, daß es offenbar gelungen ist, einen Großteil der Besatzungsgegner einzubinden. Koautoren waren beispielsweise Dr. Abdul Karim Hani, einer der prominenten Führer des Irakischen Nationalen Gründungskongreß (INFC), sowie die gleichfalls sehr bekannte Frauenrechtlerin Hana Ibrahim, Direktorin der Bagdader Frauenorganisation »Women’s Will Association«. Über die Kontakte einiger Beteiligter zu bewaffneten Widerstandsgruppen waren auch diese eingebunden; sie stehen nach Angaben der Autoren hinter dem Projekt. Tatsächlich stimmen die Vorschläge mit den Grundlinien überein, die Vertreter der im »Politischen Rat des irakischen Widerstands« zusammengeschlossenen Guerillagruppen gegenüber dem britischen Guardian skizzierten, wie auch mit den programmatischen Äußerungen der »Front für Dschihad und Wandel«. Die beiden Bündnisse vereinen den größten Teil des bewaffneten Widerstands im Irak.

Alle nennen als ersten Schritt die Vereinbarung eines verbindlichen Zeitplans für den Abzug der Besatzungsmächte. Deren Truppen müßten sich binnen sechs Monaten aus den Städten in gemeinsam vereinbarte Basen zurückziehen. Der »irakische nationale Widerstand« würde unter diesen Bedingungen einen Waffenstillstand erklären, die Waffen allerdings zunächst behalten. Erst nach dem vollständigen Abzug aller Besatzungskräfte sollen die Milizen aufgelöst werden. Unter der Schirmherrschaft des UN-Sicherheitsrates und in Absprache mit dem nationalen Widerstand und allen anderen politischen Kräften, die nicht mit den Besatzern kollaboriert haben, soll für zwei Jahre eine Interimsregierung gebildet werden, deren Mitglieder bei den folgenden Wahlen von der Kandidatur ausgeschlossen sind. Eine der wichtigsten Aufgaben dieses Kabinetts wäre der Aufbau einer Armee und einer Polizei, die national orientiert und politisch neutral sind.

Weiter sieht der Plan die Annullierung aller Erlasse der Besatzungsmacht sowie der Verträge über die Ölproduktion vor, die während der Okkupation abgeschlossen wurden. Die Unterzeichnung von Abkommen mit solch weitreichender Bedeutung unter Besatzungsherrschaft sei nach internationalem Recht illegal. Das gleiche gelte für die von der kurdischen Regionalregierung mit ausländischen Konzernen abgeschlossenen Verträge. Von den USA und Großbritannien wird für die ersten sechs Monate die Bereitstellung von mindestens 50 bzw. 20 Milliarden US-Dollar für Wiederaufbau und Wiedergutmachung verlangt. Dies wäre gerade die Hälfte der Summe, die sie aktuell pro Jahr für den Krieg ausgeben.

Dr. Khair El-Din Haseeb wird die Vorschläge seiner Initiative auf der Internationalen Irak-Konferenz »Alternativen zu Krieg und Besatzung« vom 7. bis 9. März 2008 in der Humboldt-Universität zu Berlin vorstellen. irakkonferenz2008.de


[1] Khair El-Din Haseeb, “Planning Iraq’s Future: A detailed project to rebuild post-liberation Iraq”, CAUS,  September 2006, http://www.caus.org.lb/Home/material.php?id=24

Mehr aus der Rubrik Schwerpunkt (03.03.2008)

Perspektiven für den Irak
Von »Besatzung light« bis UN-Friedensmission: US-Politiker skizzieren »realistische Lösungsansätze« für ein Ende des Krieges im Zweistromland 
Joachim Guilliard