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Leserbrief von Michael Schiffmann an den ND zu "Kriegsgegner als Waffenbrüder im Geiste" v. 16.12.03
 

Liebe ND-Redaktion,

ich bin schockiert, mit welch niedrigen Standards im Hinblick auf Recherche, Verarbeitung des recherchierten Materials und Vertretung eines auch nur halbwegs linken Standpunktes Sie sich mit dem Abdruck des Artikels von Tom Strohschneider "Kriegsgegner als Waffenbrüder im Geist" zufriedengeben.

Dieser Artikel hätte in "Bild", der "Bunten" oder entsprechend aufbereitet auch in der besprochenen Panorama-Sendung selbst erscheinen können. Ich kenne den dort wenig subtil diffamierten Joachim Guilliard seit vielen Jahren und habe mich selbst bemüht, möglichst viele FriedensaktivistInnen für die wöchentliche Friedens-Mahnwache in Heidelberg zusammenzutrommeln, auf der ein Teil des Materials für den Panoramabeitrag über "deutsche Unterstützung für den Terror" gedreht wurde.

Der Mitredakteur des Beitrags John Goetz legitimierte sich gegenüber uns, dem Heidelberger Antikriegsforum, mit der Behauptung, er wolle über die seines Erachtens dringend notwendigen, aber in viel zu geringem Maß vorhandenen Aktivitäten der Friedensbewegung gegen die fortdauernde Besatzung des Irak berichten.

Es stellte sich dann aber heraus, dass er allein daran interessiert war, Joachim Guilliard und anderen Teilnehmern an der Mahnwache irgendwelche Äußerungen zu entlocken, die irgendwie als Unterstützung für das interpretiert werden könnten, was er dann in seiner Sendung summarisch als "Terrorismus" im Irak präsentiert hat. Alles andere interessierte Herrn Götz nicht. Und selbst diese Äußerungen - die in der Alltagsarbeit des Antikriegsforums überhaupt keine Rolle spielen - wurden dann noch für die diffamierenden Zwecke der Sendung zusammengebogen und zurechtgeschneidert.

Ihr Redakteur Tom Strohschneider hätte jede Gelegenheit gehabt, darüber bei den Betroffenen ein paar Informationen einzuholen und sie mit dem zu vergleichen, was die Panorama-Redaktion ihm erzählt. Allem Anschein nach hat er das nicht getan, denn nichts davon spiegelt sich in seinem Artikel wider, der ausschließlich auf einer schlechten Internetrecherche zu beruhen scheint.

Beispiel: Seine Behauptung, Joachim Guilliard sammle Geld für den "Widerstand". Woher weiß er das? Er kann es nicht wissen, da es nicht wahr ist. Wahr ist lediglich, dass sowohl Joachim Guilliard als auch der junge Welt Redakteur Rüdiger Göbel (die zusammen mit mir soeben das Buch "Der Irak - Krieg, Besetzung, Widerstand" herausgegeben haben) den Aufruf "Zehn Euro für den Widerstand" durch ihre Unterschrift unterstützt haben, was vielleicht doch noch etwas ein klein wenig anderes ist als ein Spendenkonto einzurichten, mit der Sammelbüchse auf die Straße zu gehen etc. etc.

In dem inkriminierten Aufruf ist im Übrigen mit keinem Wort von "bewaffnetem" Widerstand die Rede, sondern von Hilfe beim Aufbau der Infrastruktur von Widerstandsorganisationen, ohne dass Bezug auf deren Aktionsformen genommen wird. Ist es nicht einigermaßen absurd, darüber in Erregung zu geraten, während von anderen, nicht zuletzt vom deutschen Außenministerium, ununterbrochen Aufbauhilfe nicht nur für "Infrastruktur", sondern auch für militärische Operationen geleistet wird, wie im Fall der deutschen Waffenlieferungen and die Türkei, Israel und viele andere Staaten und bei der Gewährung umfassender Nutzungsrechte des Territoriums der BRD für die USA bei ihrem Angriffskrieg auf den Irak?

Sie sind mit ihrem Artikel einem Schwindel aufgesessen, mit dem die Friedensbewegung im allgemeinen und Herr Guilliard als Terroranhänger diffamiert werden sollen. Die wirklichen Einstellungen der betreffenden Leute sind jedoch mitnichten ein Geheimnis und durch ganz offene Befragung ganz leicht herauszufinden.

Ihr Redeakteur sollte sich ein bisschen weniger auf das konzentrieren, was heute jeder Nicht-Journalist kann, nämlich Internet-Seiten abscannen, und mehr auf das, was einen echten, vor allem einen linken Journalisten ausmacht: mit den in die jeweilige Geschichte involvierten Leuten sprechen.

Hätte er das getan, hätte er einen informativen Artikel schreiben können, statt seine Leser nach dem in der Panorama-Sendung gebrachten Betrug ein zweites mal mit Halbwahrheiten und Fehlinformationen hinters Licht zu führen.

Mit einem Gruß, der weniger solidarisch ausfällt, als ich es mir wünschen würde,
Michael Schiffmann