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Antwort auf Offenen Brief und Pesserklärung v. Jürgen Grässlin

Lieber Jürgen Grässlin,

vielen Dank für die direkte Zusendung Deines Offenen Briefes. Ich hatte meine Antwort auf Deine Presseerklärung schon damit begonnen, dass so eine Erklärung eine seltsame Art ist, um eine klärende Diskussion zu beginnen. Denkbar vor diesem Schnellschuss wäre übrigens gewesen, zunächst mal bei mir nachzufragen, ob das, was Panorama brachte, wirklich unsere bzw. meine Positionen sind. Zeit für eine Presserklärung wäre dann immer noch gewesen. Ich hätte dir dann z.B. gleich sagen können, dass in Heidelberg niemand sammelt und die meisten erst durch diese Panorama-Sendung von der 10-Euro-Kampagne erfahren haben.

Ich habe mittlerweile einige Informationen zur skandalösen Sendung und eine Stellungnahme von mir und anderen auf unsere Homepage gestellt (http://www.antikriegsforum-heidelberg.de/irakkrieg2/aktionen/panorama_jg1.htm). Auch Deine Erklärung steht dort, das ganze ging über den Verteiler, sie ist also auch hier „offen“. Ich bitte Dich meine Antwort auch über Euren Verteiler anderen zugänglich zu machen.

Innerhalb des Heidelberger Forums, gibt es, wie überall, über die angesprochenen Fragen unterschiedliche Meinungen, ich habe daher die Interviews auch nicht als Vertreter des Forums oder gar der Friedensbewegung gegeben. Der Kreis der regelmäßigen Teilnehmer der Mahnwache geht ohnehin weit über das Forum hinaus. Es war schließlich schon die erste Manipulation des Panorama-Beitrags gewesen, niemand von denen zu zeigen, die sich z.B. aus prinzipiellen Gründen gegen jede Form von Gewalt aussprachen.
Als gemeinsame Position, zusammen auch mit den anderen Friedensgruppen in Heidelberg, kann unser letzter Aufruf zum internationalen Aktionstag am 25.10. betrachtet werden, in dem wir ganz allgemein zur Unterstützung des Widerstands der irakischen Bevölkerung aufrufen – „durch Aufklärung über die Realität im Irak und öffentlichen Druck gegen eine internationale Unterstützung der Besatzungspolitik“ (http://www.antikriegsforum-heidelberg.de/irakkrieg2/aktionen/aktionstag_251003_aufruf.htm)
Darin, d.h. in der Öffentlichkeitsarbeit über Kriegsfolgen, Besatzungsrealität und die räuberischen Ziele der Invasoren, sehen wir auch prinzipiell die Aufgabe der Antikriegsbewegung. – Zur unmittelbaren Unterstützung eines bewaffneten Widerstands im Irak hat in Heidelberg bisher niemand aufgerufen, das hat auch der angeblich für Monitor arbeitende John Goetz vor Ort erfahren.

Wenn ich auch mit Dir einer Meinung bin, dass die Friedensbewegung nicht zu militärischem Widerstand oder dessen direkter Unterstützung aufrufen sollte, finde ich es genauso wenig richtig, aus sicherer Entfernung andere zum Gewaltverzicht aufzufordern. Wer von uns kann sich denn vorstellen, wie Krieg und Besatzung mit ihrer allgegenwärtigen Brutalität und täglichen Erniedrigungen von den Betroffenen erlebt werden.
Auch wenn wir selbst auf zivile Formen des Widerstands setzen, müssen wir das Recht der Betroffenen auf bewaffnete Gegenwehr gegen militärische Angriffe, Besatzung und Fremdherrschaft – in den vom Völkerrecht gesteckten Grenzen – anerkennen, unabhängig davon wie wir persönlich dazu stehen. (siehe z.B. dazu auch Norman Paechs Brief an Micha Brumlik, http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/Rassismus/honderich.html)

Selbstverständlich sollten wir dabei zwischen Aktionen unterscheiden, die unmittelbar auf die Besatzungsmacht gerichtet sind und Angriffen auf Unschuldige, Hilfsorganisationen etc., die als nackter Terror zu verurteilen sind. Es ist aber wichtig, dem undifferenzierten Terrorismusvorwurf, mit dem ja nun u.a. die Fortdauer der Besatzung und bald vielleicht deren direkte Unterstützung durch die NATO und Deutschland gerechtfertigt wird, entgegentreten. Die Friedensbewegung darf die offizielle Propaganda nicht einfach hinnehmen, wonach die eine kriegführende Partei (im Falle Irak auch unbestreitbar die Aggressoren) als Ordnungsmacht erscheint, und die, die sich ihr widersetzen, als Terroristen.
Es wäre daher meiner Meinung nach weit angemessener gewesen, Dich in Deiner Presserklärung in erster Linie gegen die offensichtliche Unterstützung von Eroberungspolitik und Staatsterrorismus durch die Panorama-Redaktion zu wenden, als vorschnelle Urteile über Andere aus der Antikriegsbewegung zu fällen.

Es stimmt nicht, dass die Grundposition der Friedensbewegung strikte Gewaltfreiheit ist. Ich halte da Deine Urteile für reichlich anmaßend. Es ist Dein gutes Recht, Dich ausschließlich in die Tradition von Mahatma Ghandi und Martin Luther King zu stellen. Andere sehen sich aber beispielsweise auch in der von Klara Zetkin oder Rosa Luxemburg.
Es gibt recht viele, die wie ich, Angegriffenen und Unterdrückten unter bestimmten Umständen ein Recht auf bewaffnete Gegenwehr einräumen. Das steht nicht im Gegensatz zum Engagement für den Frieden – es stecken aber unterschiedliche Einschätzungen dahinter, wie man ihn, der ja auch mehr ist, als bloße Abwesenheit von Krieg, in konkreten Fällen erreicht. Du wirst ja wohl kaum im Ernst, all denen, die bisher in irgendwelcher Form bewaffnete Befreiungsbewegungen unterstützten, die humanistische Einstellung absprechen wollen.

Ich denke niemand macht es sich dabei leicht. Nicht nur wegen der Opfer, sondern weil z.B. bekannt ist, welche schwere Hypothek ein bewaffneter Widerstand auch im Falle des Erfolgs für den gesellschaftlichen Aufbau danach ist, allein wegen der damit einhergehenden Militarisierung, unabhängig von der Lauterkeit der KämpferInnen.
Welche Möglichkeiten blieben aber den Polen, Russen, Griechen, Jugoslawen, Franzosen etc. unter deutscher Besatzung?

Natürlich ist aktuell der sich aus vielfältigen Kräften speisende irakische Widerstand nicht direkt mit der Résistance zu vergleichen oder mit den Sandinisten und der salvadorianischen FMLN, die ich, wie viele andere, in den 80er Jahren unterstützt habe. Noch ist das überhaupt nicht zu durchschauen und mit vielen Kräften dort haben wir nichts gemein. (Auch hier bieten Steinhoff & Co. aber nur US-Propaganda: Robert Fisk vom Independent z.B. geht von mindestens 12 versch. Gruppierungen aus, wovon nur eine als „Saddam-treu“ angesehen wird., s.auch "Bricht der Widerstand jetzt zusammen" im ND v. 16.12.03)

Meiner Meinung nach nimmt der Irak unter der Besatzung eine verheerende Entwicklung. Weit entfernt von der Chance eines Übergangs zu Stabilität und einer demokratischen Entwicklung, ist die Ausplünderung des Landes schon im Gange und droht die US-Strategie der „Irakisierung“ der Besatzungsherrschaft, zu einer US-hörigen Diktatur und zum Bürgerkrieg zu führen.
Du schreibst in Deiner Kritik an einem bewaffneten Widerstand, „es gehe vielmehr darum, die US-Besatzer mit politischen und diplomatischen Mitteln zu einem Rückzug aus dem Irak zu bewegen und das Land beim Aufbau demokratischer Strukturen in Staat und Gesellschaft zu unterstützen.“ Genaue Vorstellung, wie solche effektive „politische und diplomatische Mitteln“ angesichts der gewaltigen Macht der USA und der überragenden Bedeutung, die die Kontrolle des Landes für ihre führenden Eliten hat, aussehen könnten, hast wahrscheinlich auch Du nicht.

Es wird ohne Zweifel einen entschiedenen, auch zunehmend einigen, Widerstand erfordern. Dieser könnte eventuell auch mit rein zivilen Mitteln zum Erfolg führen. Die Widerstandsbewegung im Süden Vietnams gegen das Marionettenregime der USA unter Diem hat allerdings solche zivilen Formen in sechs langen, quälenden Jahren ausprobiert und einen furchtbaren Blutzoll dafür gezahlt, bevor sie sich 1960 zur Gründung der FNL und zum bewaffneten Widerstand entschloss. Es gibt wenig Grund zur Hoffnung, dass die USA im Irak zimperlicher sein werden, als in Vietnam.

Wir werden, wenn wir nicht anmaßend und selbstgerecht sein wollen, die Entscheidung über die Formen des Widerstands (innerhalb der bekannten Grenzen) den Betroffenen selbst überlassen müssen. Die Frage einer direkten Unterstützung wird sich erst stellen, wenn (oder falls) eine kohärente, von weiten Teilen der Bevölkerung getragene nationale Bewegung sichtbar wird – ob dies im Rahmen der Friedensbewegung geschehen sollte, ist eine andere Frage.

Unsere Aufgaben liegen aktuell, wie erwähnt, hier vor Ort: das Bemühen um Einstellung jeglicher deutschen Unterstützung und – zusammen mit der internationalen Bewegung – Erhöhung des Drucks auf die Regierungen der USA und ihrer Verbündeten. Wir sollten dabei nicht vernachlässigen, dass die Frage, wie stark die Besatzungsmacht im Irak unter Druck gerät, maßgeblichen Einfluss darauf hat, inwieweit die US-Regierung ihre aggressive Politik gegen andere Länder fortführen oder gar ausweiten kann.

Ich bin gerne bereit die Thematik noch ausführlicher mit Dir zu diskutieren – gerne auch offen, in Heidelberg oder an einem Ort.

Mit den besten Grüßen,
Joachim Guilliard

P.S.: Die 10-Euro-Kampagne habe ich, als sie im Sommer in der jungen Welt vorgestellt wurde, durchaus begrüßt: als eine eher symbolische Aktion, die sich auf ihre etwas provokative Art gegen die passive Haltung der Friedensbewegung bzgl. der angloamerikanischen Besatzung richtete. Im von mir damals unterzeichneten Aufruf ist im übrigen keine Rede von einer direkten Unterstützung des militärischen Widerstands: aufgerufen wird zur Unterstützung des Aufbaus „einer breiten und vielfältigen Bewegung“. Ich habe mich aber, bis Panorama kam, nicht weiter darum gekümmert und auch nicht dafür gesammelt.