Ostermarsch am 19.4.2003

Redebeitrag von Joachim Guilliard

Der Überfall auf den Irak endete nach knapp vier Wochen mit dem militärischen Sieg der US-geführten Invasionstruppen. Obwohl die irakischen Verteidiger den waffentechnisch haushoch überlegenen Aggressoren wenig Effektives entgegenzusetzen hatten, leisteten sie erstaunlich tapferen Widerstand. Gebrochen wurde dieser letztlich durch das ungeheuere brutale Bombardement der britisch-amerikanischen Luftwaffe, die nahezu ungestört im Lande agieren konnten, gebrochen durch Abertausende Angriffe mit Bomben und Raketen, denen die irakischen Verteidigungsanlagen nicht standhalten konnten.

Zum Einsatz kamen dabei wieder international geächtete und besondere grausame Waffen, wie Streubomben, Vakuumbomben und Uranhaltige Munition.

Stolz berichteten die US-amerikanischen Armeesprecher, dass sie die Verteidiger geradezu pulverisiert hätten. Tausende, wenn nicht Zehntausende Iraker verloren so ihr Leben oder auf Dauer ihre Gesundheit, ebenso Tausende Zivilisten. Wie viele Männer, Frauen und Kinder durch Bomben zerfetzt oder unter ihren Häusern begraben wurden, werden vielleicht nie erfahren.

Dieser Sieg wurde allerdings nicht in diesen wenigen Wochen erstritten, sondern in mehr als zwölf Jahren von Krieg und Belagerung, wie dies auch die indische Schriftstellerin Arundhati Roy vor kurzem in der FAZ klargestellt hat. Erst "nachdem man den Irak mit freundlicher Hilfe der UN-Diplomatie (Wirtschaftssanktionen, Waffeninspektionen) in die Knie gezwungen und erreicht hatte, daß die Bevölkerung hungerte, eine halbe Million Kinder gestorben und die Infrastruktur des Landes erheblich zerstört war und nachdem man - in einem Akt historisch beispielloser Feigheit - dafür gesorgt hatte, daß die meisten Waffen zerstört waren, schickten die »Alliierten« ... eine Invasionsarmee ins Land."

Der Erfolg, scheint nun den Krieg für viele nachträglich zu legitimieren. Wir aber werden weiterhin unserer Empörung Ausdruck geben, dass dieser Krieg gegen die Moral, das Völkerrecht und den Willen der Mehrheit der Weltbevölkerung begonnen wurde. Und voller Trauer und Wut die große Zahl Opfern anklagen.

Die Hoffnung, dass der Fall Bagdads wenigstens eine rasche Hilfe der notleidenden Bevölkerung ermöglichen würde, hat sich bisher nicht erfüllt. Nach wie vor fehlt es überall am nötigsten, in den Krankenhäusern an Betäubungsmitteln, Verbandsmaterial und sogar Wasser. Die Besatzungsarmee wird ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Versorgung der Bevölkerung nicht gerecht – im Gegenteil: tagelang ließ sie Plünderungen freien Lauf, internationale Hilfsorganisationen werden massiv behindert. Allein die irakischen Ölanlagen und das Ölministerium werden von den Besatzern bewacht.

Anfänglich wurde die Bevölkerung nach Augenzeugenberichtungen zu den Plünderungen regelrecht aufgefordert. Eine schwedische Tageszeitung berichtete, dass am zweiten Tag der Besatzung, Bagdader Slumbewohner über Lautsprecher aufgefordert worden waren, sich aus den zuvor von Panzern aufgebrochenen Gebäuden zu holen was sie wollten. Aus sicherer Distanz musste die übrige irakische Bevölkerung dem Treiben zusehen, ohnmächtig und mit Tränen der Wut in den Augen.

Nachdem die Bilder jubelnder Iraker ausgeblieben waren und die US-Amerikaner selbst den Sturz der Saddam-Statue vor einem ausgewählten Haufen Jubeliraker bewerkstelligen mussten, dienen diese Plünderungen zweierlei. Zum einen sollen sie nun den Volkszorn symbolisieren, was allerdings nicht sehr glaubwürdig gelang, da die Plünderer - tatsächlich "befreit" - nämlich von allen gesellschaftlichen Zwängen auch vor Krankenhäuser und anderen lebenswichtigen Einrichtungen nicht halt machten.

Zum anderen wurden sie zum mächtigsten Druckmittel, um die widerspenstige Bevölkerung zu zwingen, die Invasoren zumindest vorerst als einzige Macht zu akzeptieren, die für genügende Sicherheit und Ordnung sorgen kann, um das Leben wieder in Gang zu bringen.

Viele Journalisten vor Ort wie Robert Fisk im britischen Independent gehen zudem auch davon aus, dass Brände ganz gezielt gelegt wurden um missliebige Informationen zu vernichten oder auch den Grundstein für den berühmten Wiederaufbau zu legen.

Eher unter die Rubrik "organisiertes Verbrechen" fällt hingegen die Plünderung der irakischen Kunstschätze. Experten gehen davon aus, dass der Raub der wertvolleren Stücke von langer Hand vorbereitet war und die Stücke sehr schnell ihren Weg in die USA und Europa finden werden – als Auftakt zum Raub der Reichtümer der Landes, der nun von einer Art US-amerikanischen Kolonialverwaltung im großen Stil organisiert werden soll.

Auch wenn es die europäischen Regierungen nicht wahrhaben wollen: Über den Charakter des Regimes, das die USA nun etablieren wollen gibt es keinen Zweifel. An der Spitze jede wichtigen staatlichen Stelle werden US-Amerikaner stehen. Der oberste Statthalter Ex. General Garner ist ein Rüstungsmanager und enger Freund der israelischen Regierung, zuständig für die Ölindustrie wird ein ehemaliger Manager von Shell. Informationsminister – ein blanker Hohn – der früherer CIA-Chef Wilson , der offen eine Fortsetzung des Krieges gegen andere unbotmäßige Staaten wie Syrien ankündigte und dabei vom vierten Weltkrieg sprach.

Die ersten Verträge für den Wiederaufbau in Höhe von zig Millionen wurden bereits mit US-Konzernen geschlossen, Firmen meist, die mit dem regierenden Personal in Washington eng verbunden sind. Insgesamt wird das Auftragsvolumen auf 100 Mrd. US-$ geschätzt – europäische Firmen werden wohl nur als Subunternehmer am Kuchen beteiligt werden – irakische gar nicht. Der Grundstein für eine Wirtschaft die völlig in der Hand westlicher Konzerne ist, wird schon gelegt.

Die Gewinne werden aber erst so richtig sprudeln, wenn die Ölwirtschaft wieder anlaufen wird. Viel wird nach den Plänen der USA den Irakern von ihrem Ölreichtum nicht mehr bleiben, dafür garantieren auch IWF und Weltbank, die nach dem Willen statt der UNO eine wesentliche Rolle bei der Umorganisation der irakischen Wirtschaft und Gesellschaft spielen sollen. Kostenlose Bildung wird es kaum noch geben, dafür sind schon die ersten, in den USA verfassten Schulbücher, eingetroffen, mit denen den irakischen Kindern die Werte von "God owns Country" nahegebracht werden sollen.

Diesem skrupellosen Treiben wird nun weltweit die Forderung entgegengesetzt, die Neuordnung und der Wiederaufbau des Iraks sollten unter der Federführung der UNO erfolgen. Ein Mittel sich dabei Gehör zu verschaffen, hätten die Sicherheitsratmitglieder im Prinzip über die noch gültigen Sanktionen, die an sich nur durch einen Beschluss des Sicherheitsrats aufgehoben werden können – solange müssten die Einnahmen aus dem Öl unter UN-Kontrolle bleiben.

Doch ist der Ruf nach der UNO nicht unproblematisch. Selbstverständlich haben die UN-Hilfsorganisationen die größte Kompetenz für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau. Sie können dabei auf eine zwölfjährige Erfahrung und Mitarbeiter vor Ort zurückgreifen. Auch wäre die UNO am ehesten fähig und legitimiert, den organisatorischen Rahmen zu stellen, innerhalb dessen eine schnelle Rückgabe der Kontrolle über das Land an eine irakische Verwaltung möglich würde.

Auf der anderen Seite war die UNO von der USA und Großbritannien zwölf Jahre lang für deren Irakpolitik instrumentalisiert worden und trägt dadurch auch eine hohe Mitverantwortung für das verheerende Embargo.

Faktisch werden die USA der UNO nur eine Hilfsfunktion bei der humanitären Hilfe zugestehen. Selbst die Waffenkontrolleure will man nun durch eigene Leute ersetzen. Der Vorteil für die Invasoren liegt auf der Hand. Können sich doch die eigen Leute bei erfolgloser Suche nach MVW aus dem heimischen Arsenal, geeignete Eier holen, um sie ins irakische Nest zu legen.

Unter diesen Umständen wäre eine Mitarbeit der Vereinten Nationen aber eine nachträgliche Legitimation des Krieges, sie würde zum Kollaborateur einer illegalen Besatzung. Eine Besatzung, die ganz offensichtlich von der Mehrheit der irakischen Bevölkerung entschieden abgelehnt

Wir fordern daher die deutsche Regierung und die Mitgliedsstaaten der UNO auf, eine britisch-amerikanische Militärregierung in Bagdad nicht anzuerkennen und eine aktive Mitarbeit der UNO beim Wiederaufbau des Landes – über die Nothilfe hinaus –erst nach Ende der Besatzung zuzustimmen. Sie müsste sich auf politischer Ebene auf eine Vermittlertätigkeit zwischen den irakischen Gruppierungen beschränken. Federführend sollte dabei die arabische Liga, als die zuständige regionale Unterorganisation der UNO, sein.

War schon nach internationalem Recht der unprovozierte Überfall auf den Irak ein Verbrechen, so wurden auch im Krieg eine große Zahl von Kriegsverbrechen begannen, u.a. Angriffe auf zivile Einrichtungen und öffentliche Plätze, Angriffe auf Medien und unabhängige Journalisten, Hungerblockaden gegen ganze Städte u.v.m.

In den USA, GB und Spanien laufen eine Reihe von Verfahren gegen die politische Verantwortlichen. Viel zu erwarten ist hier leider angesichts der Machtverhältnisse so wenig wie von einem internationalen Gerichtshof. Die Antikriegsbewegung plant aber – wie schon zum Jugoslawienkrieg – unabhängige Tribunale zu organisieren, im Rahmen derer die Vorgänge genau untersucht und Beweise erhoben werden. Die weltweite Öffentlichkeit wird am Ende ihr Urteil über diese Verbrechen sprechen.

Wir sind auch empört über die Haltung der deutschen Regierung, die sich rasch offen hinter die US-Politik gestellt hat. Das verbale Nein zum Krieg wurde zur vernachlässigenden Meinungsverschiedenheit über den besten Umgang mit dem "Delinquenten" Irak.

Bei nüchterner Zählweise, kann Deutschland sogar als viertgrößte Kriegspartei betrachtet werden. Insgesamt unterstützen mehr als 4.600 Soldaten der Bundeswehr den Angriffskrieg. 3.800 Soldaten ersetzen die an den Golf verlegten GIs bei der Bewachung von US-Militäreinrichtungen in Deutschland. 600 Soldaten der deutschen Marine geben am Horn von Afrika Geleitschutz für US-amerikanische Seetransporte in den Persischen Golf. Hinzu kommt noch die ABC-Einheit in Kuwait bei Kriegsbeginn die Aufgaben der, in den Irak einmarschierten us-amerikanischen Einheiten übernahm und die deutsche Besatzung in AWACS-Flugzeugen über der Türkei.

Zur Erinnerung, die Schweiz sperrte den Luftraum und stoppte alle Rüstungsexporte in die USA mit der simplen Begründung, die Schweizer Gesetze würden dies erfordern. Von solchen rechtsstaatlichen Verhältnissen sind wir leider weiter entfernt.

Schon der Beginn des Krieges war natürlich eine bittere Niederlage der großen weltweiten Antikriegsbewegung. Allerdings kein Grund sich entmutigen zu lassen, wir dürfen nicht vergessen, dass der politische Preis den die Angreifer bezahlen sehr hoch geworden. Mancher Kommentator hielt den Krieg für die USA politisch fast schon für verloren als recht schnell offensichtlich wurde, dass selbst die Iraker im schiitischen Süden sich dem Einmarsch massiv widersetzen.

Ich sehe aktuell die vordringlichste Aufgabe, darin uns dafür einzusetzen, dass die Besatzung kein politischer Erfolg wird. Weiterhin Proteste, Aufklärung etc. Jede Art der Rekolonisierung des Irak mus bekämpft werden, nicht zuletzt durch Unterstützung des irakischen Widerstands gegen die Besatzungsherrschaft.

Dies ist auch das Wirksamste, was wir den drohenden nächsten US-amerikanischen Präventivkriegen entgegensetzen können – Syrien wird ja bereits offen bedroht.

Wir müssen uns dabei auch mit noch mehr Entschiedenheit gegen die eigene Regierung wenden. Wir müssen deutlich machen, dass sie durch ihre Beihilfe eine Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen hat. Und wir dürfen auf keinen Fall hinnehmen, dass sie die Besatzung legitimiert.

Alarmierend sind Berichte, dass das Militärministerium schon prüft, wie viele Bundeswehrsoldaten in den Irak geschickt werden könnten, um in Absprache mit GB evtl. in der britischen Besatzungszone im Südirak "Sicherungsaufgaben" – auf deutsch Besatzungsaufgaben – zu übernehmen.

Bundeswehr gegen irakische Demonstranten oder Guerillakämpfer würde so zu einem realistischen Szenario.

Die Politik der Bundesregierung kommt im übrigen ja nicht überraschend. Sie hat gegen Jugoslawien einen Krieg mitgeführt, der genauso völkerrechtswidrig war wie der gegen den Irak. Wir wissen spätestens seit diesem Krieg, dass auch die SPD/Grüne-Regierung bereit ist, deutsche Interessen militärisch durchzusetzen. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 sprachen hier schon vorher eine klare Sprache. Unter Militärminister Struck soll nun auch der Präventivgedanke Eingang in die überarbeitete Fassung finden – nichts anderes steckt hinter seinem Gerede von der Vorneverteidigung am Hindukusch.

Selbstverständlich – und das gerade am Ostermarsch wenden wir uns gegen die deutsche und europäische Hochrüstung (Anne Rieger wird dazu noch mehr sagen). Wir wollen keine Großmacht Deutschland, und schon gar keine militärische.

Wir sind in Heidelberg auch direkt mit einem Thema konfrontiert, das ebenfalls stärker auf die Tagesordnung gesetzt werden muß. Die Präsenz kriegführender Truppen auf deutschem Territorium. Hans von Sponeck hat mich verwundert gefragt, wieso die Friedensbewegung nicht stärker ganz grundsätzlich gegen die Stationierung von US-Truppen hier mobil gemacht habe.

Auch für Tarik Ali ist die Schließung aller militärischen Basen und Einrichtungen der USA im Ausland – das heißt, in über 100 Ländern eine der zentralen Forderung der weltweiten Antikriegs- und globalisierungskritischen Bewegung. Denn diese sind die Basis für gewaltige weitverzweigte Ausübung und Expansion US-amerikanischer Macht.

Wir sollten also noch viel deutlicher machen, dass wir die Präsenz der US-und NATO-Hauptquartiere hier nicht länger dulden. Wir müssen dem natürlich die Forderung nach einer Auflösung deutsche Interventionstruppen hinzufügen.