Rede der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) auf dem Ostermarsch 2003

Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

ich bin froh darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit wir heute an einem Strang ziehen, um den Nazis zu zeigen, dass sie hier nicht erwünscht sind und dass wir uns gegen ihre Vereinnahmungsversuche zur Wehr zu setzen wissen.

Nie mehr Faschismus, nie mehr Krieg!

Das war die Losung der Häftlinge, die 1945 aus den deutschen Konzentrationslagern entlassen wurden und sie war nicht nur eine Willensbekundung, sondern auch ein Auftrag an uns kommende Generationen. Wenn wir heute hier stehen, dann haben wir doppelt deutlich vor Augen, dass wir diesem Auftrag nicht gerecht geworden sind. Die Kette der imperialen Weltordnungskriege reißt nicht ab und die Nazis marschieren, geschützt von deutscher Polizei, durch unsere Straßen.

Das eigentliche Problem ist aber nicht dieses Häufchen von Straßenschlägern, die als groteske, wenn auch treffende Kopie der SA-Schlägertrupps hier vor dem Bahnhof aufmarschiert sind. Sehr viel schlimmer ist, dass die Nazis an gesellschaftliche Diskurse aus der Mitte der Gesellschaft anknüpfen können. Die deutsche Gesellschaft hat sich seit der Einverleibung der DDR in atemberaubenden Tempo nach rechts bewegt. Das Asylrecht ist faktisch abgeschafft, der Abbau des Sozialstaats geht in rasender Geschwindigkeit voran und wird im offiziellen Sprachgebrauch als "Reform" verkauft, im Bundestag gibt es keine Fraktion mehr, die nicht für Bundeswehreinsätze im Ausland wäre, neue restriktive sogenannte Sicherheitsgesetze sind bereits eingeführt und maßgebliche Politiker diskutieren offen darüber, ob es nicht an der Zeit sei, Folter wieder offiziell zu legalisieren.

Und all das wird begleitet von einer Rhetorik, die verkündet, dass Deutschland jetzt zusammenhalten müsse, dass wir eine gemeinsame nationale Kraftanstrengung bräuchten, dass wir international einen "deutschen Weg" beschreiten müssten und dass Deutschland wieder selbstbewusster in der Weltpolitik aufzutreten habe. Kein Wunder, dass die Nazis Morgenluft wittern, denn das müffelt wirklich sehr vertraut nach Volksgemeinschaft und deutscher Großmachtpolitik.

Leider finden die Faschisten auch in der Antiglobalisierungsbewegung und in der Friedensbewegung Anknüpfungspunkte, die sie sich zunutze machen können.

Im Oktober 2001 haben die Nazis in Heidelberg versucht zu marschieren unter dem Motto: ‚Gegen Globalisierung’. Natürlich geht es den Nazis nicht um eine Ablehnung des Kapitalismus. Nur gegen das angeblich allmächtige Finanzkapital machen sie mobil. Wer in seinem Geschichtsbuch nachblättert, wird in dieser Figur unschwer die Unterscheidung zwischen dem guten ‚schaffenden’ – also deutschen – Kapital und dem bösen raffenden – also jüdischen – Kapital wiedererkennen. Wer nur ein wenig von Wirtschaft versteht, kann erkennen, wie absurd diese Trennung ist. Dennoch geistert sie auch durch Teile der Antiglobalisierungsbewegung.

Den Nazis geht es einzig um eine Projektionsfläche für ihre antisemitischen Verschwörungstheorien und darum, den nationalen Staat als Bollwerk gegen alles ‚Internationale’ in Stellung zu bringen.

Heute haben sie sich versammelt, um mit der Parole: ‚Amis raus! Freiheit rein!’ den gegenwärtig auch in der Friedensbewegung virulenten Antiamerikanismus für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Die Befreiung vom Nationalsozialismus, die leider eben nicht durch die Menschen in Deutschland verwirklicht werden konnte, sondern durch die Rote Armee und die US-Army, gilt den Nazis als Beginn der Unterdrückung und als Niederlage ihres "Herrenmenschenstaates". Insofern sollten wir uns bewusst sein, dass die Parole "Besatzung ist keine Befreiung", die für den diesjährigen Ostermarsch gewählt wurde, in der militärischen Zerschlagung des Nationalsozialismus beispielhaft die Widerlegung ihrer Allgemeingültigkeit gefunden hat.

Das irakische Regime findet die Unterstützung der Nazis deshalb, weil es sich als Gegner der USA und vor allem Israels profiliert. Das hat mit unserer Kritik an den neuen Weltordnungskriegen der USA, aber auch Deutschlands und der EU nichts, aber auch gar nichts gemein.

Um das klarzustellen, sollten wir darauf achten, dass in unseren Positionen deutlich wird, dass wir Deutschland und Europa nicht als machtpolitisches Gegengewicht zu den USA wollen, dass wir den Rückzug deutscher Truppen aus dem Ausland fordern und gegen den Ausbau der WEU zur europäischen Interventionsarmee kämpfen. Und wir sollten darauf achten, dass wir den Stimmen kein Forum bieten, die Israel die Existenzberechtigung absprechen oder von einer ‚mächtigen zionistischen Lobby’ phantasieren.

Es geht nicht um die Ablehnung Amerikas, es geht um den Kampf gegen die ökonomischen und militärischen Weltordnungspläne der kapitalistischen Machtblöcke – ganz gleich ob sie (wie im Fall Jugoslawiens) gemeinsam mit Deutschland oder (wie gegenwärtig) ohne direkte Beteiligung Deutschlands durchgesetzt werden.

Bieten wir den Nazis kein Einfallstor! Verweigern wir uns den Diskursen des Nationalen!

Vielleicht erinnern sich einige noch an den Versuch der Nazis vor anderthalb Jahren in Heidelberg zu marschieren. Damals hatten die Gewerkschaften sowie sämtliche Parteien von den Grünen bis hin zur CDU dazu aufgerufen, sich nicht an unseren Protesten gegen den faschistischen Aufmarsch zu beteiligen und stattdessen mit der "Masse der Demokraten", wie sie es nannten, 2km weit entfernt von den Nazis eine Kundgebung abzuhalten. Sie haben sich damals mit ihrer Kopf-in-den-Sand-Taktik bis auf die Knochen blamiert. Während die "Masse der Demokraten" mit dreißig Funktionären am Bismarckplatz stand und sich gegenseitig Reden vorlas, haben viele hundert von ihnen als "undemokratisch" geschmähte Antifaschistinnen und Antifaschisten den Naziaufmarsch verhindert. Heute ist den Parteien der Aufmarsch der Neonazis nicht einmal eine Presserklärung wert. Kein Wort von den Grünen oder der SPD in der Zeitung. Wir werden uns das gut merken und die Damen und Herren bei Gelegenheit daran erinnern, was aus ihrem staatlich verordneten "Aufstand der Anständigen" geworden ist.

Ich habe in den letzten Tagen öfter gehört: "Warum tust du dir diese Naziaufmärsche eigentlich an? Warum riskierst du es immer wieder, von der Polizei oder den Nazis zusammengeschlagen zu werden, nur um dich diesen ekelhaften Typen in den Weg zu stellen? Uns machen solche Aufmärsche einfach Angst!"

Ich weiß dann eigentlich immer nur eine Antwort: Mir machen diese Aufmärsche auch Angst. Aber gerade deshalb und weil ich heute noch die Wahl habe, protestiere ich gegen die Nazis. Wenn wir uns heute nicht entscheiden, etwas gegen die Nazis zu tun, werden wir bald nicht mehr die Wahl haben, zu entscheiden, ob wir ihnen begegnen wollen oder nicht.

Lassen wir es nicht soweit kommen!

Zeigen wir den Faschisten, dass sie in Heidelberg nicht erwünscht sind und hier keinen Fuß auf die Straße bekommen werden, so sehr sie sich das auch wünschen.

Nie mehr Faschismus! Nie wieder Krieg!
Michael Csaszkóczy?
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