junge Welt vom 22.04.2003
 
Inland

Kritik an Militarisierung

Friedensbewegung mit der Teilnahme an den Ostermärschen zufrieden

Wolfgang Pomrehn
 
In 105 deutschen Städten und einigen im benachbarten Ausland haben über die Feiertage die traditionellen Ostermärsche stattgefunden, die dieses Jahr ganz im Zeichen des Irak-Krieges standen. Während einige Medien und Nachrichtenagenturen die Teilnehmerzahl kleinrechneten und an den vorhergegangenen Friedensdemonstrationen maßen, zeigte man sich im zentralen Ostermarsch Büro in Frankfurt am Main zufrieden. Etwa doppelt so viele Menschen wie im Vorjahr seien zu den Märschen gekommen, deren Anzahl zudem größer gewesen sei, hieß es auf Nachfragen der jW. Beim Netzwerk Friedenskooperative hieß es: »Niemand in den Friedensorganisationen hatte erwartet, daß man zu Ostern an die riesige Beteiligung zu Kriegsbeginn anknüpfen könne. Die Osteraktionen haben eine verjüngte und selbstbewußte Bewegung gezeigt.«

Zu den Aufrufern hatten neben den alten Friedensorganisationen auch zahlreiche neue örtliche Bündnisse, das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC sowie verschiedene Gewerkschaftsgliederungen gehört. Von Mülheim bis Saßnitz, von Aalen bis Zwickau demonstrierten mehrere zehntausend Menschen. Weitere Ostermärsche gab es in den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz und Österreich. An den größten Märschen nahmen jeweils über 5000 Menschen teil, so in Frankfurt/ Main, im nordbrandenburgischen Fretzdorf und in Hamburg. Dort mahnte der Schauspieler und Gewerkschafter Rolf Becker die Teilnehmer, auch gegen den »Krieg im Inneren«, die schlimmsten sozialen Einschnitte in der Geschichte der Bundesrepublik, zu kämpfen. Ein Thema, das auch andernorts aufgegriffen wurde. Im schleswig-holsteinischen Kiel machten Redner zum Beispiel auf die wachsende Unterdrückung im Inneren aufmerksam, die mit der Militarisierung der Außenpolitik einher gehe. In Berlin gingen etwa 2000 Menschen auf die Straße.

Im Mittelpunkt der meisten Reden stand allerdings die scharfe Kritik am Irak-Krieg, der aus wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen geführt worden sei. Vielfach waren Forderungen nach dem Rückzug der Besatzer zu vernehmen. Insbesondere wurde die Bundesregierung angegriffen, da sie der Allianz nicht die Überflugrechte verweigert und »praktische Unterstützung« geleistet habe.

Auch die Aufrüstung der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee und der Aufbau einer EU-Militärmacht wurden von einigen Rednern angegriffen. Wiederholt wurde auf die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien hingewiesen, die im Mai vorgelegt werden sollen und vermutlich das Konzept eines vorbeugenden Krieges beinhalten werden.

Vielfach wurde in Kundgebungsreden und auf Transparenten die Stärkung der Vereinten Nationen gefordert und den USA Bruch des Völkerrechts vorgeworfen. Weit verbreitet war die Forderung, die UN-Vollversammlung solle das Vorgehen der Angreifer verurteilen. Einige Redner merkten allerdings kritisch an, daß die UNO das Sanktionsregime gegen den Irak durchgesetzt habe.

In einigen Orten drängten sich Vertreter der Regierungsparteien der Friedensbewegung auf. In Fretzdorf sprach auf dem dortigen »11. Osterspaziergang« vor über 6000 Menschen der Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Hans-Christian Ströbele. Für den geplanten Bombenabwurfplatz, das sogenannte Bombodrom, gebe es »keine militärische Notwendigkeit«. Die Übungseinsätze der Luftwaffe seien insgesamt um ein Drittel zurückgegangen. Wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder weiterhin »Friedenskanzler« sein wolle, müsse er das »Bombodrom« verhindern.

In Frankfurt am Main nutzte der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine die Gelegenheit, scharfe Kritik an den Kahlschlagsplänen der Bundesregierung zu üben. »Eine Rückfahrt ins 19. Jahrhundert ohne Kündigungsschutz und Arbeitnehmerrechte brauchen wir nicht«, erklärte der 1999 von allen politischen Ämtern zurückgetretene Exbundesfinanzminister vor über 7 000 Menschen.

Im baden-württembergischen Heidelberg richtete sich die Friedensdemonstration gleichzeitig gegen einen Aufmarsch von knapp hundert Neonazis, die die Kritik an den USA für sich ausnutzen wollten. Rund 2000 Ostermarschierer verhinderten den Neonazi-Aufzug. Daß diese »Morgenluft wittern«, sei kein Wunder, meinte Michael Csaszkóczy von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg. »Maßgebliche Politiker diskutieren offen darüber, ob es nicht an der Zeit sei, Folter wieder offiziell zu legalisieren. Und all das wird begleitet von einer Rhetorik, die verkündet, (...) daß wir international einen ›deutschen Weg‹ beschreiten müßten und daß Deutschland wieder selbstbewußter in der Weltpolitik aufzutreten habe.« Daher müsse die Friedensbewegung unbedingt klarstellen, daß es nicht darum gehen kann, ein deutsches oder europäisches Gegengewicht zu den USA aufzubauen.

 
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