Gedenkfeier zum Volkstrauertag auf dem Ehrenfriedhof, RNZ v. 20.11.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wenn die Stadt anlässlich des „Volkstrauertags“ zur Gedenkfeier auf den Ehrendfriedhof lädt, ist viel vom „Frieden“ die Rede. „Friede muss jeden Tag neu verteidigt werden“ so beispielsweise der diesjährige Redner, Bürgermeister Joachim Gerner, auf die viele Menschen eingehend die nach wie vor in Kriegen sterben.

Deutlicher noch erinnerte die Oberbürgermeisterin in ihrer diesjährigen Erklärung an „das furchtbare Leid der Opfer aller gegenwärtigen Kriege weltweit“. Sie vergaß auch nicht die 650.000 Opfer zu erwähnen, die Krieg und Besatzung im Irak bisher forderten. Dies war mutig, wird diese erschreckende Zahl, von Politikern der Regierungsparteien doch bisher vollständig ignoriert, da sie sonst Konsequenzen für die deutsche Unterstützung der US-Besatzung haben müsste. Sie vergaß zwar Afghanistan zu erwähnen, zog aber dennoch konsequent den Schluss aus der Geschichte, „dass Krieg und Gewalt keine Lösungen für unsere Probleme bieten.“

Leider werden solch schöne Worte regelmäßig durch die Feierlichkeiten selbst konterkariert. Schon der "Ehrenfriedhof" – mit seiner faschistischen Ästhetik auf Heldengedenken ausgelegt – ist sicherlich kein Ort, wo glaubhaft ein Beitrag zur „Verteidigung des Friedens“ geleistet werden kann. Schon gar nicht, wenn die Feierlichkeiten durch militärisches Ehrenzeremoniell und Bläsersignale zur Kranzniederlegung untermalt werden. Ein militaristisches Brimborium das Jahr für Jahr vor allem rechte Kreise zum Ehrenfriedhof lockt, die statt vom Frieden wohl eher davon träumen, beim nächsten Krieg unter den Siegern zu sein.

Kein Wunder daher, dass kaum einer der Gäste Anstoß an der Teilnahme von Vertretern der US-Armee, der Bundeswehr und anderer Nato-Armeen nimmt. Auch die RNZ kann offensichtlich keinen Widerspruch zwischen dem Anspruch erkennen, für den Frieden einzutreten und der Beteiligung von Armeen, die selbst gerade mörderische Aggressionskriege führen. Selbstverständlich sollten wir die Verdienste der USA bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus nicht vergessen und auch nicht die dabei gefallenen US-Soldaten. Es ist aber geradezu absurd, an die 650.000 Opfer im Irak zu erinnern und gleichzeitig Vertreter der Truppen, die dafür verantwortlich sind, feierlich Kränze zum Gedenken an ihre eigene Opfer niederlegen zu lassen.
Dasselbe gilt selbstverständlich auch für Vertreter der Bundeswehr, solange auch sie –  wenn auch in geringerem Maße – sich an völkerrechtswidrigen Kriegen, wie in Jugoslawien und Afghanistan beteiligt. Eine genaue Untersuchung der Opfer in Afghanistan steht zwar noch aus, doch müssen wir auch hier von mehr als 100.000 Toten seit Oktober 2001 ausgehen. Bereits im Mai 2002 hatte die britische Zeitung „The Guardian“ die Zahl der afghanischen Opfer auf Basis der Angaben von Hilfsorganisationen vor Ort auf 20.000 bis 50.000 geschätzt.

An diese Toten wollte auf dem Ehrenfriedhof letzten Sonntag augenscheinlich niemand erinnern. „Menschen fallen, weil Fanatismus stärker zu sein scheint als Menschlichkeit“, so Bürgermeister Gerner, Offensichtlich hatte er hier das aktuelle Feindbild „Islamismus“ im Visier. Ausgeblendet hat er dabei die weit mächtigere Seite. „Fanatismus“ findet man sicherlich auch hier, wichtiger sind aber ganz andere Gründe: Gier nach Macht, Bodenschätzen und Profit oder vornehmer ausgedrückt, wirtschaftliche, machtpolitische und geopolitische Interessen. Und der „Fanatismus“, den er meint, gedeiht vor allem unter denen, die beim Kampf um diese Interessen systematisch zur Verliererseite gehören.

Wer tatsächlich für den Frieden eintreten will, darf nicht zulassen, dass Vertreter kriegführender Truppen durch Teilnahme an solchen Gedenkfeierlichkeiten deren aktuelles Treiben verharmlosen können. Ich hoffe die Verantwortlichen der Stadt nehmen in Zukunft ihre Worte ernster und handeln auch entsprechend.

Mit freundlichen Grüßen,

Joachim Guilliard,
Heidelberg, 23.11.2006

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Siehe auch die als Offenen Brief an Oberbürgermeisterin Beate Weber verfaßte Erklärung zum Volkstrauertag 2006 und zur Gedenkfeier auf dem Ehrenfriedhof