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ARD- und ZDF-Programm "stärkt Islam-Angst"

Erfurter Studie: Politsendungen im Ersten und Zweiten berichten einseitig über Muslime
FR, 03.02.2007
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=1065190

Ein vernichtendes Urteil fällen Medien- wissenschaftler der Universität Erfurt über die Islamberichterstattung bei ARD und ZDF. Die Sender ließen sich offenbar von einem "simplifizierten Bild des Kampfes der Kulturen" leiten, heißt es in einer Studie.

Islam im Fensehen
+Islam im Fensehen (FR-Infografik)
                             Frankfurt a. M. - Von Mitte 2005 und bis Ende 2006 nahmen die Forscher um Professor Kai Hafez 37 Talk- und Magazinsendungen unter die Lupe, darunter so renommierte Programme wie "Report", "Frontal 21", "37 Grad", und Dokumentationen sowie die Talk-Flaggschiffe "Sabine Christiansen", "Berlin Mitte", "Beckmann" und "Kerner". Gefragt wurde, aus welchem Anlass die Sendungen über Islam und Muslime berichten.

Das jetzt veröffentlichte Ergebnis ist niederschmetternd: In vier von fünf Fällen greifen die Redakteure das Thema Islam erst dann auf, wenn es um Gewalt oder Konflikte geht, zum Beispiel um Terror, Benachteiligung von Frauen, Ehrenmorde, Integrationsprobleme oder religiöse Intoleranz. Neutrale oder positive Berichte machen nur 19 Prozent der Sendungen zum Islam aus. Der Studie zufolge ist die Zeit längst vorbei, in der Islam ein "Minderheitentopos" war, dem durch engagierten Journalismus mehr Aufmerksamkeit verschafft werden musste. Sie warnt vielmehr vor einer "übertriebenen Islamisierung der Medienagenda".

So werde für Probleme wie innerfamiliäre Gewalt gegen Frauen oder auch den nahöstlichen Terrorismus oft zu pauschal "der Islam" verantwortlich gemacht, obwohl sie viel komplexere Ursachen hätten - etwa patriarchale Familientraditionen und autoritäre Staatsstrukturen. Auf der anderen Seite werde über extremistische Auswüchse in anderen Religionen viel weniger berichtet.

Muslime

In Deutschland leben rund 3,2 bis 3,5 Millionen Menschen mit muslimischem Hintergrund. Einen Dachverband, der wie die Kirchen einen Rundfunkbeauftragten benennen könnte, haben die Muslime nicht. Deshalb schlägt die Studie ein Rotationsmodell unter den islamischen Organisationen für den Posten vor. rü


Die Erfurter Forscher fordern daher eine "Revision der Islamberichterstattung" in ARD und ZDF. Es geht ihnen nicht um zusätzliche Sendungen, sondern darum, "alle Bereiche des muslimischen Lebens" abzubilden. In seiner jetzigen Form trage das Polit- und Talkprogramm der Sender eher dazu bei, die "demoskopisch messbare Islam-Angst in Deutschland weiter zu steigern".

Ein mögliches Instrument zur Besserung sieht die Studie darin, Vertreter des Islam in die Verwaltungs- und Rundfunkräte der Sender zu berufen. So könnten sie bei der Programmplanung mitreden. Das hatten auch der Intendant des Südwestrundfunks, Peter Voß, und die Bundes-Integrationsbeauftragte Maria Böhmer vorgeschlagen. Vertreter der christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinden sitzen bereits jetzt in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ursula Rüssmann

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Copyright © FR online 2007
Dokument erstellt am 02.02.2007 um 17:16:03 Uhr
Letzte Änderung am 02.02.2007 um 20:17:34 Uhr
Erscheinungsdatum 03.02.2007