II. Das Feuer dieses Mal

aus "Feuer und Eis – Die Zerstörung des Irak durch Krieg und Sanktionen"

Von Ramsey Clark *)

In der Nacht vom 16. auf den 17. Januar schienen die Sterne über dem Irak, kaum anders als 4000 Jahre zuvor, als Hammurabis in Babylon am Euphrat König war

... In der Dunkelheit dieser frühen Stunde strömten der Euphrat und der Tigris ruhig dem Golf entgegen. Dieselben Sterne wurden zu stummen Zeugen eines weiteren, seiner Natur und seiner Intensität nach noch nie da gewesenen Ausbruchs menschlicher Gewalt. Der Wind wehte mild durch die Palmenblätter. In verdunkelten Städten, Ortschaften und Bauernhöfen versuchten Männer, Frauen und Kinder zu schlafen, obwohl sie nicht wußten, was die Nacht für sie bereithielt. ...

Morgens um 2.30 Uhr am 17. Januar 1991 begannen die Bomben zu fallen, und zweiundvierzig Tage lang flogen US-Flugzeuge durchschnittlich alle 30 Sekunden Angriffe auf den Irak. ...

Ohne auch nur einen Fuß auf irakischen Boden zu setzen oder in Kampfhandlungen mit irakischen Truppen einzutreten, zerstörte die US-Armee durch Luftangriffe und Raketen innerhalb von sechs Wochen systematisch Leben und lebenswichtige Infrastruktur im Irak. Innerhalb der ersten 24 Stunden wurden 2.000 Angriffe geflogen. Schon nach wenigen Stunden war die Stromversorgung des Irak zu 90 Prozent beschädigt oder zerstört. Wenige Tage später "floß kein einziges Elektron mehr". Bis in die letzten Tage des Krieges hinein nahmen viele Millionen Dollar teure Raketen Kraftwerke ins Visier, damit das Land weiter ohne Stromversorgung bleiben würde, während die Wirtschaftssanktionen die Kraft der Überlebenden des Krieges schwächten. Nach weniger als drei Wochen berichtete die US-Presse über militärische Berechnungen, nach denen die Explosivkraft der zu diesem Zeitpunkt abgeworfenen Bombenlast bereits die der gesamten alliierten Luftoffensive während des Zweiten Weltkriegs überstieg. ...

Schon nach drei Tagen gab es im Irak kein fließendes Wasser mehr. Viele Wochen lang holten sich die Menschen in Bagdad – ohne daß Fernsehen, Radio oder Zeitungen sie hätten davor warnen können – ihr Trinkwasser mit Eimern aus dem Tigris. ...

Die Zerstörung der Transportverbindungen verschärfte das Problem noch. In einem Land, das sich um zwei Flüsse herum gruppiert, wurden 139 Auto- und Eisenbahnbrücken beschädigt oder zerstört...

Die acht jeweils mehreren Zwecken dienenden großen Dämme des Irak wurden wiederholt von Bomben getroffen und schwer beschädigt. ... Vier der sieben Wasserpumpstationen des Irak wurden zerstört. Bomben und Raketen trafen 31 örtliche Wasser- und Abwasserwerke. Abwasser lief in den Tigris und in die Straßen Bagdads, wodurch zu den sonstigen Todesursachen noch durch Wasser übertragene Krankheiten hinzutraten. ...

Durch die US-Bombardements wurden 28 zivile Krankenhäuser und 52 örtliche Gesundheitszentren getroffen. ... Die Bomben der Alliierten beschädigten 676 Schulen, 38 davon wurden völlig zerstört. Acht der getroffenen Schulen waren Teil von Universitäten. .. Die 900 Jahre alte Kirche des Heiligen Thomas – die sich mehr als 1.500 Kilometer von Kuwait entfernt, nämlich in Mosul befindet – wurde angegriffen, ebenso wie die Mutansiriya-Schule, eine der ältesten Islamschulen im Irak.

... Die Ölindustrie des Irak war eines der wichtigsten Ziele. US-Flugzeuge trafen elf Ölraffinerien, fünf Pipeline- und Ölproduktionsanlagen sowie Pipelines für den Ölexport und zahlreiche Tanks zur Öllagerung. Drei Öltanker wurden versenkt und drei weitere in Brand gesetzt.

... Gleichzeitig mit dem Bombardement der Infrastruktur und der lebenswichtigen Einrichtungen des Landes wurden Tausende von irakischen Zivilisten getötet. Die Angriffe auf die lebenswichtigen infrastrukturellen Einrichtungen stellten sicher, daß viele weitere Tausend Menschen sterben würden, die sich nicht einmal in der Nähe des Feuers der Gefechte befanden. ...

Dr. Q. M. Ismail, der Direktor des Zentralen Kinderkrankenhauses in Bagdad, hatte in der Nacht, als die Bomben zu fallen begannen, Dienst. 40 Säuglinge lagen in der Nähe ihrer Mütter in ihren Brutkästen. Als der Strom ausfiel, hörten die Brutkästen zu arbeiten auf. Inmitten des Kriegsdonners rings um sie herum rissen die verzweifelten Mütter ihre Kinder an sich und eilten in den Keller. Sechs Stunden später waren 20 der Kinder tot. "Diese 40 Mütter wurden beinahe wahnsinnig", erinnerte sich Dr. Ismail. "Ich werde den Anblick dieser Frauen nie vergessen."

... Während der dritten Woche des Krieges war Basra "ein höllischer Alptraum aus Feuer und einem Rauch, der so dicht war, daß Zeugen sagten, über mehrere Tage hinweg sei die Sonne kaum zu erkennen gewesen. ... [Das Bombardement] hat ganze Straßenzüge dem Erboden gleichgemacht ... [und es gibt] Bombenkrater von der Größe eines Fußballfelds sowie eine enorm hohe Zahl von Opfern."

Zwei Tage vor dem Waffenstillstand, am 27. Februar um 1.35 Uhr morgens, verkündete der Irak seinen Rückzug aus Kuwait. Offenbar als Antwort darauf wurde Bagdad ein weiteres Mal Ziel eines heftigen Angriffs, der von einem Bewohner als "schlaflose Nacht des Schreckens" beschrieben wurde.

Der Angriff auf das Militär des Irak, das kaum minder wehrlos war als die Zivilbevölkerung, war von unbarmherziger Härte. Auf das Militär wurden mehr als 40.000 Tonnen Bomben abgeworfen, oft in der Nähe der Zivilbevölkerung. ... Schätzungen über die Zahl der irakischen Soldaten, die bis zum Ende des Bombardements getötet wurden, beliefen sich damals auf 100.000 bis 200.000. Am 22 März 1991 schätzte die Defense Intelligence Agency die militärischen Opfer des Irak auf 100.000. ... Auf die Frage nach einer Schätzung der Zahl getöteter irakischer Soldaten und Zivilisten antwortete General Colin Powell: "Das interessiert mich nun wirklich nicht besonders.".

*) Auszüge aus Ramsey Clarks Beitrag in: R. Göbel, J. Guilliard, M. Schiffmann "Der Irak - ein belagertes Land. Die tödlichen Auswirkungen von Krieg und Embargo", PapyRossa-Verlag, Köln, Mai 2001

Ramsay Clark war unter Lyndon B. Johnson Justizminister der USA, wurde danach zum scharfen Kritiker der US-Politik im Innern und Äußeren und gründete 1993 zusammen mit anderen politischen Aktivisten das International Action Center (www.iacenter.org).