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»Pardon wird nicht gegeben«

Wie Roman Herzog in Namibia deutsche Vergangenheit »bewältigt«. Von Gerhard Feldbauer

junge Welt, 09.03.1998


Der Völkermord, den die »Schutztruppe« des kaiserlichen Deutschlands 1904/05 in der Kolonie Deutsch-Südwest- Afrika, dem heutigen Namibia, am Volk der Herero beging, rückt wieder einmal in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Anlaß gibt der Staatsbesuch des deutschen Präsidenten in Windhuk. Wie bereits im September 1995 beim Kanzlerbesuch forderte der oberste Häuptling aller Herero, Kusima Riruako, erneut eine Entschädigung für die Nachkommen der damals massakrierten 70000 Angehörigen seines Volkes. Eine Dokumentation über den Völkermord, bei dem fast 90 Prozent der Herero hingeschlachtet wurden, sei nicht nur der deutschen Botschaft in Windhuk übergeben, sondern auch den Vereinten Nationen und dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag übermittelt worden. Roman Herzog stellte gleich zu Beginn seiner Staatsvisite klar, daß eine Entschädigung für die Nachkommen nicht zur Diskussion steht und es auch »einen Pardon« nicht geben wird. Aufschlußreich ist der folgende, in den Medien zitierte Präsidentensatz: »Wir sind uns natürlich bewußt, daß die Auseinandersetzung zwischen der deutschen Kolonialverwaltung und den Hereros nicht in Ordnung war.« Abgesehen davon, daß der Genozid zur vergleichsweise harmlosen »Auseinandersetzung«, die »nicht in Ordnung« war, bagatellisiert wird, kann daraus auch noch eine Mitschuld der Hereros an ihrer Niedermetzelung herausgelesen werden. Denn, so die Logik dieses Satzes über »die Auseinandersetzung«, wie konnten diese Paviane, wie die Hereros von der Kolonialverwaltung beschimpft wurden, es wagen, gegen den Raub ihres Landes, die Schändung ihrer Frauen und Töchter, gegen Auspeitschung und Totschlag einen Aufstand gegen die Soldaten des Kaisers zu beginnen. Allenfalls ist das für Herzog ein »besonders dunkles Kapitel« der Geschichte, was ihn nicht hinderte, die Beziehungen vor der Presse als »ungetrübt« einzuschätzen.

Lassen wir zu dem, was laut Herzog »nicht in Ordnung« war, einige Fakten sprechen. Bei der Neuaufteilung der Welt zu spät gekommen, versuchte der deutsche Imperialismus Ende des 19. Jahrhunderts die letzten übriggebliebenen Gebiete Afrikas als seine Kolonien zu erobern. Mit besonderer Begierde trachteten Handelsbourgeoisie, Industrie- und Bankkapital, den weißen Flecken zwischen Portugiesisch- Angola, dem von Großbritannien dominierten Südafrika und dem ebenfalls britischen Betschuanaland in ihren Besitz zu bringen. Neben den riesigen Weideflächen und Viehherden, die der Kaufmann Lüderitz mit Betrug und Gewalt in deutschen Besitz brachte, lockten in dem über 800000 Quadratkilometer großen Territorium vor allem Vorkommen an Kupfer, Blei, Zinn und Diamanten. Nach der endgültigen kolonialen Unterwerfung exportierten die Bergwerksgesellschaften zwischen 1908 und 1913 allein 5,3 Millionen Karat Diamanten und scheffelten Dividenden von sage und schreibe 2500 Prozent.

Gegen die mit barbarischem Terror die koloniale Eroberung vorantreibende Schutztruppe erhoben sich im Januar 1904 die Herero, später die Nama und andere Stämme. Zur Niederschlagung der Aufstände ernannte der kaiserliche Generalstab General von Trotha zum Befehlshaber der Kolonialtruppe in Deutsch-Südwest, die auf über 20000 Mann verstärkt wurde. Zum Generalstab des südwestafrikanischen Oberkommandos gehörte Lettow- Vorbeck, der spätere berüchtigte Kommandeur der Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika (Namensgeber einer Bundeswehrkaserne in Bad Segeberg), Trotha hatte sich bereits bei der Niederschlagung des Wahehe-Aufstandes in Deutsch-Ostafrika 1896 und des sogenannten Boxeraufstandes 1900/ 1901 in China (dort bereits zusammen mit Lettow-Vorbeck) einen Namen als eingefleischter Rassist, der »keinen Pardon« gab, gemacht.

Die Linie seines Vorgehens gegen die Herero, die für Bundespräsident Herzog »nicht in Ordnung« war, umriß Trotha wie folgt: »Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut...« Entsprechend dieser Linie und dem dazu von Trotha erlassenen Befehl »niemals Pardon geben«, begann der Vernichtungsfeldzug. Nachdem die Herero im August 1904 in zweitägigen Kämpfen am Waterberg mit einer waffentechnischen Überlegenheit von Panzerzügen, Geschützen, Maschinengewehren und Nachrichtenmitteln, denen die Afrikaner nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatten, geschlagen worden waren, ließ Trotha den gesamten Stamm mit Frauen und Kindern in die Omaheke, eine wasserlose Sandwüste, treiben. Den geschlagenen Herero übermittelte der General ihr Todesurteil mit folgenden Worten: »Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen Kaiser, von Trotha.« 1918 wurden durch Aussagen von Afrikanern, die in der deutschen Schutztruppe gedient hatten, und durch Kapburen, die als Treiber geworben worden waren, Einzelheiten der barbarischen Kriegsführung Trothas in Deutsch-Südwest bekannt. In einem Report to the Natives of South West Africa and their Treatment by Germany, der 1918 in London veröffentlicht wurde, sagte Jan Cloete aus Omaruru unter Eid aus: »Ich war dabei, als die Herero bei Hamiri in der Nähe des Waterberges besiegt wurden. Nach der Schlacht wurden alle Männer, Frauen und Kinder ohne Gnade getötet, die, ob verwundet oder nicht, den Deutschen in die Hände fielen. Dann verfolgten die Deutschen die übrigen, und alle Nachzügler am Wegrand und im Sandfeld wurden niedergeschossen oder mit dem Bajonett niedergemacht. Die große Masse der Herero war unbewaffnet und konnte sich nicht wehren.« Zur Behandlung der Frauen und Kinder der Herero sagte der Häuptling der Bergdamara unter Eid: »Die Deutschen schonten niemand. Sie töteten Tausende und Abertausende. Ich habe diese Schlächterei Tag für Tag mit angesehen.«

Die meisten der von der deutschen Kolonialsoldateska umgebrachten 70000 Herero - Männer, Frauen und Kinder - aber starben in der Omaheke elendiglich den Tod des Verdurstens. Ausbruchsversuche endeten im Kugelhagel, zu Verhandlungen geladene Häuptlinge wurden erschossen, Frauen und Kinder, die sich den Wasserstellen näherten, niedergemetzelt. In den Akten des Reichskolonialamtes findet sich dazu der zynische Vermerk: »Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes.« Nach der weitgehenden Ausrottung der Herero setzten die Nama den antikolonialen Kampf fort. Ihr Widerstand, der meist in Form einer meisterhaften Guerillataktik erfolgte und zeitweilig von südafrikanischen Minenarbeitern unterstützt wurde, dauerte bis Ende 1907 an. Auf den Stammesführer, Häuptling Jacob Morenga, setzte Kaiser Wilhelm II. persönlich ein Kopfgeld von 20000 Goldmark aus, umgerechnet auf den heutigen Wert der DM eine Millionensumme. Im Ergebnis der Schützenhilfe, die Großbritannien bei der Niederschlagung des Nama- Aufstandes gab, fand Morenga im September 1907 bei einem mehrstündigen Gefecht mit englischen Truppen den Tod. Von den 20000 Nama fiel die Hälfte dem Kolonialterror zum Opfer. Die Überlebenden wurden wie schon vorher die Herero in Konzentrationslager gesperrt und später in eng begrenzten Reservaten zwangsangesiedelt. Mit der Niederschlagung der Aufstände und der Dezimierung der Afrikaner waren die letzten Schranken für den totalen Landraub beseitigt. 1912 waren von der 835000 Quadratkilometer umfassenden Gesamtfläche Südwestafrikas nur noch Bruchteile, nämlich 12373 Quadratkilometer im Besitz der Afrikaner.

Während er die Nachkommen der Herero schroff zurückwies, sorgte sich der Bundespräsident um »seine Landsleute«, die Abkömmlinge jener deutschen Kolonialisten, die den Einheimischen einst ihr Hab und Gut raubten. Nicht wenige von ihnen nennen sich noch heute stolz Deutsch-Südwestler, versammeln sich unter der Reichskriegsflagge, unter der Trothas Schutztruppe ihren Vernichtungsfeldzug führte, und pflegen Traditionen wie den Namen jenes Kaiser Wilhelm, der seinem »großen General«, der die Ausrottung der Herero befahl, »meinen kaiserlichen Dank und meine vollste Anerkennung« telegrafierte. In der alten Kolonialresidenz Swakopmund trägt noch immer eine Straße den Namen dieses Kaisers. Denn Straßenumbenennungen kennt man in Namibia nicht. Auch in deutschen Landen bis zum Gehtnichtmehr strapazierte Vokabel von der »Geschichtsaufarbeitung« ist unter »Landsleuten« dort ein Fremdwort. Auch Roman Herzog hatte während seines Besuchs mit ihr nichts am Hut.

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