Sehr geehrter Herr Binding,
vielen Dank für Ihre Antwort. Ich weiß natürlich nicht, wer Ihre
afghanischen Bekannte und Freunde sind, ich möchte Sie aber doch
bitten, Ihre Entscheidung auf eine breitere und objektivere Grundlage
zu stellen.
Hilfreich dabei könnte der Marburger Politologe Matin Baraki sein - ein
Bekannter von mir und ebenfalls Afghane. Näheres über ihn unter
http://www.staff.uni-marburg.de/~baraki/.
Hier finden sie auch eine
Liste seiner Publikationen, z.B. "Afghanistan nach
den Taliban" , Aus Politik und Zeitgeschichte (B 48/2004) und
Menschenrechte
in einem besetzten Land
Gerne bin ich Ihnen auch behilflich, was die Kritik von
Hilfsorganisationen an den Militäreinsätzen in Afghanistan betrifft.
In der Kürze der Zeit kann ich Ihnen aber nur eine kleine Auswahl von
dem zusenden, was ich in den letzten 5 Jahren dazu gesammelt haben.
Ich finde es nebenbei bemerkt schade, dass Sie oder Ihre Fraktion diese
und ähnliche Information nicht archiviert haben, da Sie dafür doch
wesentlich mehr personelle Ressourcen haben und z.B. auch die
Möglichkeit Hearings mit den in Frage kommenden Organisationen
durchzuführen. So muß man sich über die Mehrheiten jedes Jahr im
Bundestag für eine Verlängerung der Einsätze nicht wundern.
Ein Tipp: Allein schon mit der Eingabe "Kritik Hilfsorganisationen
Afghanistan" in Google werden Sie reichlich bedient.
Empfehlen würde ich Ihnen und Ihren Kollengen auf alle Fälle den
Aufsatz "Helfer als Handlanger? - Humanitäre Hilfe in den Zeiten der
neuen Kriege" von Jürgen Lieser von Caritas International: http://www.caritas-international.de/23220.html
Er steht stellvertretend für Stellungnahmen anderer Hilfsorganisationen
.
"Die Kritik richtet sich nicht gegen humanitäre
Interventionen überhaupt, " heißt es hier, "sondern gegen die Tatsache,
dass es sich bei den meisten bisherigen so genannten "humanitären
Interventionen" um einen 'Etikettenschwindel' handelte, weil nämlich
die humanitären Motive vorgeschoben waren und herhalten mussten für
außen-, sicherheits- oder machtpolitische Interessen."
Abgelehnt wird vor allem die immer stärker geforderte
zivil-militärische Zusammenarbeit
"Ein enges Zusammengehen mit dem Militär birgt die Gefahr
der
politischen Instrumentalisierung der humanitären Hilfe. Es stellt die
Unabhängigkeit der Hilfsorganisationen in Frage und führt auch zu einer
konkreten Gefährdung der Helfer, weil diese von der Gegenseite mit den
feindlichen Truppen identifiziert werden."
"Aus den gleichen Gründen steht Caritas international auch
der Forderung
nach militärischem Schutz von humanitärer Hilfe skeptisch gegenüber.
Jetzt, wo auch die humanitären Helfer zunehmend zur Zielscheibe von
Anschlägen werden, wird der Ruf nach militärischem Schutz lauter. Die
Helfer wissen aber zu gut, dass verstärkte militärische Präsenz nicht
unbedingt mehr Sicherheit bringt. Das Gegenteil ist oft der Fall: je
mehr die humanitären Helfer sich unter den Schutz einer Militärmacht
begeben, desto eher werden sie von den Feinden dieser Militärmacht
bedroht."
...
Exemplarisch für die unzulässige Vermischung militärischer
Zielsetzungen mit humanitärer Hilfe ist das in Afghanistan praktizierte
Modell der "Regionalen Wiederaufbauteams". Die deutschen
Bundesregierung hat solche Teams in Kunduz und Faisabad stationiert.
Schon die Bezeichnung ist irreführend, weil sie suggeriert, als gehe es
vor allem um den zivilen Wiederaufbau. Die "PRTs"
wie sie nach dem amerikanischen Vorbild in Afghanistan heißen, folgen
aber primär einer militärischen Zielsetzung und Logik. Der wichtigste
Einwand, den Caritas international zusammen mit anderen
Hilfsorganisationen immer wieder in der Diskussion um die PRTs
vorgebracht hat, ist: die Wiederaufbauteams führen zu einer Verwischung
der Grenzen zwischen militärischen und zivilen Aufgaben und stellen
damit die Unabhängigkeit der Hilfsorganisationen in Frage. Die
Sicherheit der Helfer wird durch die PRTs nicht erhöht, sondern eher
gefährdet, weil die Helfer für verkleidete Soldaten halten werden und
umgekehrt.
Die Ärzte ohne Grenzen sehen dies genauso und kommen in einer
Pressemitteilung v. 28. August 2003 zum Schluß:
"Ärzte ohne Grenzen unterschätzt keineswegs die Gefahren
der Arbeit in
Afghanistan, lehnt jedoch militärischen Schutz für humanitäre
Organisationen ab."
( http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/Presse/Pressemitteilungen/2003/Pressemitteilung-2003-08-28-B.php
)
Ärzte ohne Grenzen ist seit 1980 nahezu ohne Unterbrechung in
Afghanistan tätig!
Peter Runge, Referent für Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe beim
Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen VENRO
( http://www.iwif.de/wf406-24.htm
):
Der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck begründete
im Jahr 2003 die Ausweitung des Bundeswehrmandats in Afghanistan auf
Kunduz auch damit, dass Hilfsorganisationen geschützt werden müssten.
Aus Sicht der Hilfsorganisationen ist ihre Unabhängigkeit und
Unparteilichkeit sowie die Verankerung in der lokalen Bevölkerung der
beste Schutz. [...] Hilfsorganisationen haben die Erfahrung gemacht,
dass verstärkte militärische Präsenz nicht unbedingt mehr Sicherheit
bringt. [...] Wo Soldaten aus politisch-militärischen Gründen als
Helfer auftreten, werden auch schnell den zivilen Helfern
politisch-militärische Interessen unterstellt.
[...]
Je mehr die Helfer sich unter den Schutz von Streitkräften
begeben und
damit "im Windschatten militärischer Interventionen"(7) agieren, desto
eher werden sie von den Feinden dieser Intervention bedroht.
Zur Ausweitung des Einsatzgebietes der Bundeswehr auf Kundus bemerkte
Uli Post, der Sprecher der Deutschen Welthungerhilfe:
„Wir arbeiten in Kundus seit Ende 2001 ohne Probleme. Wir
haben ein Vertrauensverhältnis mit der Bevölkerung, das wir nicht durch
Militär belasten wollen.“ (http://www.rootcauses.de/publ/barainte.htm
)
Selbstredend hat sich auch medico international häufig gegen
die immer "weitere Militarisierung der Politik gegenüber Afghanistan"
gewandt (siehe u.a.
http://www.medico-international.de/presse/pe/20040625afghan.asp
)
Soviel mal auf die Schnelle.
Ich hoffe ich konnte Ihnen damit behilflich sein und Sie nachdenklicher
bzgl. einer weiteren Verlängerung des Einsatzes stimmen.
Viele Grüße,
Joachim Guilliard
Lothar Binding schrieb:
Sehr
geehrter Herr Guillard,
vielen Dank für Ihre Äußerung. Ich werde meine Entscheidung aus den
Gesprächen mit meinen Gesprächen mit afghanischen Bekannten und
Freunden ableiten. Bitte senden Sie mir Kontaktadressen die Ihren
Hinweis " Hilfsorganisationen, die sich durch die Präsenz der Truppen
viel mehr gefährdet als geschützt sehen, fordern dies schon lange. "
konkretisieren. Ich möchte dort anrufen.
Viele Grüße, Ihr Lothar Binding
Joachim.Guilliard@t-online.de
schrieb:
Sehr geehrter Herr Binding,
sie müssen am 10. November 2006 erneut über eine Fortsetzung der
deutschen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom entscheiden.
Seit fünf Jahren führen die USA und ihre Nato-Verbündeten mit der
irreführenden Berufung auf das \"Selbstverteidigungsrecht\" im Rahmen
dieser Operation einen völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan.
Dieser Krieg hat Tausenden von Zivilisten das Leben gekostet.
In der selben Woche, in der die Fotos von Leichenschändungen für
Empörung sorgten, hatten Nato-Bomben bis zu 90 afghanische Zivilisten
ermordet worden.
Deutschland ist aktiv an diesem Krieg\" beteiligt, der weit weniger
\"gegen den Terror\" ausrichtet als er selbst Terror ist und schafft.
Aktiv mit dabei sind mindestens 100 Soldaten der im Dunklen
operierenden Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) Vermutlich haben
sie sowenig wie die meisten Ihrer Kolleg/inn/en eine Ahnung wo, gegen
wen und mit welchen Mitteln diese kämpften. Die glaubwürdigen Vorwürfe
von Murat Kurnaz, KSK-Soldaten hätten ihn misshandelt, lassen schlimmes
befürchten. Bekannt ist, dass die KSK zeitweilig das berüchtigte
Foltergefängnis auf dem US-Stützpunkt Bagram bewachten, das Symbol für
die Menschenrechtssituation im besetzten Land wurde, geprägt von
Brutalität und Willkür der Besatzer und den verbündeten Warlords. Der
Verdacht liegt nahe, dass sie auch Gefangene an die USA und ihr
verbrecherisches Lager- und Kerkersystem ausgeliefert haben und damit
auch selbst gegen die Genfer Konvention verstießen.
Parallel dazu sollen Nato-geführte ISAF-Truppen für Stabilität sorgen.
Davon ist das besetzte Land mit jedem Jahr weiter entfernt als zuvor.
Waren für die Menschen vor Ort die Aktionen der Operation Enduring
Freedom bisher schon nur schwer von denen der ISAF zu unterscheiden,
droht nun mit der Ausweitung des ISAF-Einsatzgebietes eine völlige
Vermischung.
Eine statistische Untersuchung im Irak ergab, dass seit März 2003 jeder
Vierzigste Opfer von Krieg und Besatzung wurde, wobei sich die Zahl
jedes Jahr beinahe verdoppelte. Eine Studie in Afghanistan würde kaum
zu einem wesentlich besseren Ergebnis führen.
Die Besatzung kann in Afghanistan sowenig wie im Irak einen Beitrag zur
Lösung der Probleme leisten, sondern ist eines der Hauptprobleme und
muss zügig beendet werden.
Ich bitte Sie daher eindringlich: stimmen Sie bei der Abstimmung im
Bundestag gegen die Verlängerung der Bundeswehr-Beteiligung an der
Operation Enduring Freedom. Helfen sie mit die Soldaten zurückzuholen.
Setzen Sie sich dafür ein, die 460 Millionen Euro, die der
Bundeswehreinsatz pro Jahr kosten würde, in zivile Projekte zu stecken.
Hilfsorganisationen, die sich durch die Präsenz der Truppen viel mehr
gefährdet als geschützt sehen, fordern dies schon lange.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Guilliard
Softwareingeneur, Heidelberg
Joachim Guilliard
Heidelberg
Joachim.Guilliard@t-online.de